Nach Australien ausgewandert Nach Australien ausgewandert: "Ich lebte ständig an der Armutsgrenze"

Perth/Westdorf - Weil der Westdorfer Christian Keller mit seinen Lebensumständen in Deutschland unzufrieden war, machte er sich auf, um sein Glück auf der anderen Seite der Welt zu finden: Australien. „Das Leben und die Arbeit hier sind toll“, schwärmt der 29-Jährige, „Erst hier - mit 27 Jahren - habe ich gelernt, Verantwortung für mein Leben zu übernehmen. Hier bin ich erwachsen geworden.“
Christian Keller hat 2009 in Aschersleben sein Realschulabschluss gemacht, danach absolvierte er in der Nähe von Stendal ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ). In Hoym ließ er sich dann zum Schweißer ausbilden, wo er anschließend auch übernommen wurde. 2015 bis 2017 wechselte er seinen Arbeitgeber und reiste für eine Leiharbeitsfirma in ganz Deutschland als Schweißer umher. In Aschersleben hatte er weiterhin seine Basis: Familie und Freunde, eine eigene Wohnung und ein Auto. Trotzdem war er unglücklich.
„Ich lebte ständig an der Armutsgrenze, konnte nicht mit Geld umgehen und hatte nicht das Gefühl, als Schweißer wirklich Aufstiegschancen zu haben und genügend Geld zu verdienen, um mir meine Träume zu erfüllen“, erzählt der 29-Jährige rückblickend.
In der Heimat alles hinter sich gelassen
Ein Kumpel, der selbst nach Australien zum Arbeiten und Reisen (auch als „Work and Travel“ bekannt) gegangen war, setzte bei ihm den nötigen Impuls. „Ich hatte ja nichts zu verlieren“, erzählt Christian Keller. Anfang 2017 fasste er den Entschluss, kündigte seine Wohnung, verkaufte sein Auto und ließ alles zurück, um in Australien neu anzufangen. Im Herbst 2017 ging es dann los.
„Die Leute hier sind - wenn auch teils oberflächlich - wahnsinnig nett und unglaublich entspannt“, ist der Westdorfer von der Mentalität begeistert. Am meisten aber bewundere er das bedingungslose Urvertrauen, was die Menschen in Australien zu einander haben. Während er in Deutschland das Gefühl hatte, das einem von anderen oft Steine in den Weg gelegt werden, sind die Menschen in Australien sehr hilfsbereit - ohne eine Gegenleistung zu erwarten und auch wenn sie einen gar nicht kennen.
Menschen in Australien sind hilfsbereit und vertrauen einander
Deshalb sei es in Australien auch so leicht, einen Job zu finden für ihn: „Hier wird eigentlich jedem eine Chance gegeben, sich zu beweisen“, erzählt der Westdorfer. Er sei noch nie der „Theorie-Mensch“ gewesen, sondern eher praktisch veranlagt. So etwas wie schriftliche Aufnahmetests bei Job-Bewerbungen seien unüblich, die Arbeitgeber interessieren sich in der Regel mehr dafür, was er schon alles gemacht habe und nicht, welchen Schulabschluss er hat. Man werde schnell eingestellt und zeige dann, was man kann.
„In Deutschland sind Handwerksberufe noch zu schlecht angesehen“, findet Christian Keller, „hier wird das Handwerk mehr wertgeschätzt und auch wesentlich besser bezahlt.“
Schneller ein gutes Leben verdienen
Weil in Australien die Verdienstmöglichkeiten in seiner Branche besser sind als in Deutschland, bezeichnet der 29-Jährige sich selbst als „Wirtschaftsflüchtling, weil ich hier die Möglichkeit habe, mir schneller ein gutes Leben zu verdienen und das mit mehr Freizeit.“
In den ersten anderthalb Jahren habe er in der Regel immer für zwei bis drei Monate für 60 Stunden die Woche gearbeitet und ist danach von seinem angesparten Lohn auf Reisen gegangen - bis das Geld wieder zur Neige ging, dann suchte er sich den nächsten Job. „Natürlich ist das immer mit einem bestimmten Risiko verbunden, dafür habe ich hier jedoch mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Wenn du was drauf hast, dann bekommst du hier schnell was - und wenn es nur zur Überbrückung ist. Da muss man eben flexibel sein“, erzählt Christian Keller, der das Ganze auch als große Freiheit ansieht und keinerlei sozialen Druck verspüre, jemanden etwas zu beweisen zu müssen.
„Deutsche müssen sich hier definitiv von ihrem akribischen Planungsempfinden verabschieden“
„Deutsche müssen sich hier definitiv von ihrem akribischen Planungsempfinden verabschieden und lernen, mit dem Fluss des Lebens zu gehen und das pure Sein zu genießen“, so der Westdorfer. Ein grober Plan reiche aus, um beispielsweise Visa-Bedingungen und Fristen nicht zu verpassen.
Aktuell sponsort sein derzeitiger Arbeitgeber sein Arbeitsvisum, für den er nun Vollzeit als Schweißer arbeitet. Sein Ziel ist es, bald das permanente Aufenthaltsrecht zu erlangen und als Schweißer in einer Miene zu arbeiten. Nach Deutschland will er nicht mehr zurück, auch wenn er seine Familie und Freunde sehr vermisse. „Am liebsten würde ich sie alle hier rüber holen“, sagt er lachend. „Ich lebe hier - jetzt - meinen Traum. In Deutschland wäre das so nie möglich gewesen für mich.“ (mz)