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Kinderheim «Hilde Coppi» Kinderheim «Hilde Coppi»: Ein Stück Identität kehrte zurück

Von Hendrik Kranert 25.06.2002, 15:05

Dankerode/MZ. - 33 Schicksalsgenossen hat der Wahl-Braunschwender in den vergangenen Monaten wieder gefunden - eine Sisyphusarbeit. Nicht zu allen Namen, die Plate in den Verzeichnissen der Schule - die einzige Quelle - fand, gibt es wieder Gesichter. Manche sind bereits verstorben. Doch weit über 20 haben nach mehr als 45 Jahren den Weg in den Harz gefunden.

Wie Dieter Oberhack, den sie alle nur Opi, seine Schwester Omi nannten. "Die Spitznamen mochten wir nicht, doch man kannte uns", erinnert sich der Harzgeröder, der heute in Frankfurt/Main lebt. Oberhack geht es wie Plate - jahrelang hatte er die Erinnerung ans Heim verdrängt. Doch als er den Brief aus dem Harz in den Händen hielt, "da war es wie eine Befreiung". Namen sind an diesem Nachmittag der Schlüssel für die Erinnerungen. Immer wieder wird die Saaltür aufgeschoben, immer wieder schauen sie auf in das neue, fremde Gesicht. Doch sobald der Name fällt, ist alles klar: "Das ist doch Karin." Als von Edith gesprochen wird, raunt es im Chor: "Ja, die war doch immer mit Horst und Rudi zusammen." Dann werden aus den fremden wieder vertraute Gesichter. Immer wieder machen Fotoalben die Runde, ja ganze Kisten voller Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Immer wieder erkennt man diesen oder jene. Und selbst wenn der nicht im Saal ist, erinnert sich mancher: "Das war doch der." Ja, der Blonde, der immer vor dem Zimmer des Heimleiter Strafe stehen musste. Anekdoten werden erzählt und Witze gemacht: "Ich war klein, der, der nicht über den Lenker gucken konnte", berichtet Manfred Handwerk, der als einziger der Heimbewohner noch heute in Gernrode lebt. "Aber ich war immer artig." Der Saal lacht. "Artig", erklärt darauf hin einer, "artig waren wir doch alle."

Doch nicht nur ehemalige Heimkinder haben den Weg nach Dankerode gefunden. Die Töchter der einstigen Erzieherin sind gekommen, auch "Fräulein Marianne", die einstige Erzieherin. Und der inzwischen 90-jährige Erzieher Adolf Knappe aus Gernrode, dessen Bastelstunden unvergessen sind.

Diese Besucher sind eine Reverenz an Plates Aufruf zur Toleranz. Seine Erinnerungen an das Heim haben nicht bei allen positive Reaktionen hervor gebracht. Jürgen Plates Erinnerungen sind geprägt vom politischen Drill - andere empfanden das anders. "Jeder hat seine eigene Wahrheit und jedem sind seine eigenen Wahrnehmungen gestattet", bittet Plate eindringlich. Für manch'' einen bleibt die Bitte ungehört - sie wollten nicht kommen. Es sind die Ausnahmen. Die meisten haben "die Chance auf ein Wiedersehen und Wiederfinden der Identität", ergriffen.

Am Ende eines langen Nachmittags hat Jürgen Plate fünf weitere Adressen von verschollen geglaubten Heimkindern beisammen. Und das vielstimmige Versprechen, zum zweiten Treffen im nächsten Jahr wieder zu kommen.