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1930 in Wien Gymnasium Stephaneum Aschersleben: Schüler präsentieren Ergebnisse ihrer Studienwoche in Wien

Von Regine Lotzmann 02.10.2018, 09:40
Zeitreise: In Oskars Metzgerei wird um 1930 über Frauen hergezogen. Die Zwölftklässler präsentieren die Ergebnisse ihrer Deutsch-Facharbeiten auf fantasievolle Art und Weise.
Zeitreise: In Oskars Metzgerei wird um 1930 über Frauen hergezogen. Die Zwölftklässler präsentieren die Ergebnisse ihrer Deutsch-Facharbeiten auf fantasievolle Art und Weise. Regine Lotzmann

Aschersleben - Wenn Sissi über ihre Schwiegermutter lästert, hat das einen Hauch von schadenfroher Häme. Ach, wie hat die ihren Sohn, den Kaiser Franz, verzogen, zu einem Muttersöhnchen gar gemacht. Und trotzdem: Am Grab der Schwiegermutter würden nie frische Blumen liegen, an ihrem eigenen schon.

Zum Beweis hat Sissi gleich Fotos mitgebracht. Von ihrer Studienfahrt nach Wien. Denn hinter der blond gelockten Kaiserin von Österreich-Ungarn mit ihrem spitzenbesetzten, weitausladenden Kleid steckt Sophie Kretschmer, die in der Aula des Ascherslebener Gymnasiums Stephaneum gemeinsam mit ihren Mitstreitern die Ergebnisse ihrer Facharbeiten in Deutsch präsentiert.

Facharbeiten in Deutsch werden präsentiert

Um die Bücher und Reden österreichischer Schriftsteller, Politiker, Wissenschaftler und Künstler zum Leben erwecken zu können, haben die Zwölftklässler viel Fantasie eingebracht. Trafikanten, die einst in Österreich Zeitungen und Schreibwaren vertrieben, führten mit ihren neuesten Nachrichten durch das Programm.

Die Gäste durften durchs Schlüsselloch schauen und Bettgeschichten von Karl und Emma lauschen oder Richard Strauß beim Komponieren zusehen - mit Triller. In imposanten Kleidern schwebten Anna Sacher und Emilie Flöge herein, um über ihre Arbeit zu sprechen, einem Beispiel von früher Emanzipation.

Zwei Schlachter ziehen über Weibsbilder her

Die eine als Besitzerin und Geschäftsführerin des berühmten Hotels Sacher, die andere als Designerin, die die Frauen modisch von Enge und Gequältheit befreien wollte. Und dann waren da noch die beiden Schlachter aus Oskars Metzgerei um 1930, die über die Weibsbilder herzogen.

„Ich staune immer über die Schüler, wie sie sich neben ihren normalen Anforderungen noch so engagieren und wozu sie in der Lage sind“, sagt Klaus Winter. „Das ist Wien in einer neuen Fassung“, findet der Schulleiter des Gymnasiums, dessen Schüler mit finanzieller Unterstützung von Schulförderverein und dem Verein der ehemaligen Stephaneer nun schon zum dritten Mal zu einer Studienwoche in die österreichische Hauptstadt reisen konnten.

Schulförderverein und ehemalige Stephaneer ermöglichten die Studienwoche in Wien

Dort vervollständigten sie mit Hilfe von Andrea Janzen und vier weiteren Deutschlehrerinnen die Recherchen für ihre Studienarbeiten - und erlebten auch ein bisschen Kultur, wie etwa eine Aufführung in einem jüdischen Theater-Café. Solche Studienfahrten gibt es im Stephaneum auch in Biologie, Physik und seit diesem Jahr auch in Englisch. Sie sind das Praktische an der Theorie. Eine Fundgrube an Wissen.

„Ich fand das Literaturhaus toll, das war eine sehr schöne Atmosphäre“, sagt dann auch Deutschlehrerin Antje Kemper über den Studienort in Wien, in dem auf zwei Etagen 70.000 Werke untergebracht sind. Und ihr gefällt, was die Schüler daraus gemacht haben: in ihren Facharbeiten, dem Kolloquium und der Präsentation vor so vielen Menschen.

„Die Schüler sind über sich hinausgewachsen“

„Das war eine Herausforderung - die langen Texte zu lernen und die Interaktion“, schwärmt sie von ihren Schülern und sieht das als eine Riesenherausforderung an. „Die Schüler sind über sich hinausgewachsen“, sagt sie auch angesichts der fantasievollen Stände, die die Stephaneer zu ihren Büchern aufgebaut haben. Da zeigen blutige Messer das wahre Gesicht eines Wiener Nazis und Schreibtischtäters.

Da liegt eine in Müllsäcken verpackte „Leiche“ unter der Schulbank, die stumm die Unterdrückung von Frauen anklagt. Bei der Geschichte des Judentums hat sich gleich auch der Standinhaber in einen Juden verwandelt. Und eine Schülerin, die sich mit dem Roman „Die Wand“ und damit mit einer im Wald gefangenen Frau beschäftigte, hat gar ihren Hund mitgebracht.

Denn Tiere waren die einzigen Begleiter der Romanheldin. Die Ideen beeindrucken auch den Schulleiter: „Da lernt man die Schüler mal von einer ganz anderen Seite kennen.““ (mz)