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Trockenschnitt sechs Euro Friseursalon in der Lindenstraße in Aschersleben: Rolf und Lars Oertel frisieren nur Herren

Von Kerstin Beier 07.11.2017, 06:55
Rolf Oertel in seiner Welt. Die Geschäfte führt inzwischen sein Sohn Lars, doch der 66-Jährige ist weiter für seine Stammkunden da.
Rolf Oertel in seiner Welt. Die Geschäfte führt inzwischen sein Sohn Lars, doch der 66-Jährige ist weiter für seine Stammkunden da. Lucia Grün

Aschersleben - Bei „Rolle“ gibt’s den Trockenschnitt noch für sechs Euro. Nass acht fuffzig. Und das seit Jahren schon. Doch nicht allein deshalb kommen die Männer - alt oder jung, wohlhabend oder arm - zu Rolf „Rolle“ und Lars Oertel in die Friseur-Stube an der Lindenstraße.

„Für mich ist das hier ein Stück Alt-Aschersleben“, sagt der Rentner Walter Zufelde. Rolle, ein Mehringer, sei zwar ein „Zugereister“, sagt er, während er sich in den betagten Friseurstuhl fallen lässt. Aber inzwischen schon „eingefleischt“.

Das mit dem „Alt“ stimmt. Schick geht anders. Keine Spur von Chromglanz und Salon-Schnickschnack im Stübchen. Dafür altmodisch vertäfelte Wände, wacklig-sparsames Mobiliar, ganz viel ehrliche Gemütlichkeit und herzlich-offene Worte.

Ein Bier für durstige Kunden

Und wenn’s sein muss, gibt’s hier auch ein Bierchen für durstige Kunden. In Selbstbedienung direkt aus dem Kasten. „Es ist ’ne richtige Männerstube hier“, sagt ein jüngerer Kunde und meint, Luxus brauche es nicht beim Frisieren. Er sei selbst Handwerker und wisse aus Erfahrung: Die mit dem tollsten Werkzeug und den dicksten Autos seien nicht immer die besten Fachleute.

Rolf Oertel stammt aus einer reinen Friseurfamilie. Es war fast folgerichtig, dass auch er den Beruf erlernte. Ab 1968 ging er im Salon in der Oberstraße in die Lehre, einem reinen Frauenbetrieb. Dort blieb er auch - bis auf ein paar Jahre, in denen er aufgrund von Alkoholproblemen den Salon wechseln musste.

Rolf Oertel kennt die Biografien seiner Stammkunden

Rolf Oertel macht kein Geheimnis daraus. Die Kunden wissen es ohnehin, so wie auch er die Lebensgeschichten seiner Stammkunden kennt. Ehrlichkeit kommt gut an bei ihm, und so will er es auch selber halten. „Hier wird Deutsch gesprochen“, bestätigt einer der Kunden und sagt: „Solange ich nicht mit dem Rollstuhl kommen muss, komm’ ich hierher.“

Vor einem Wendepunkt stand Rolf Oertel, als sein Sohn Lars 15 war. Seine Frau war tödlich verunglückt, er musste plötzlich die Kurve kriegen, Verantwortung tragen. Er unterzog sich einer Entziehungskur und blieb trocken. „Ich hab’ heute auch ohne Alkohol Spaß“, sagt er.

Dass auch sein Junge das Friseurhandwerk erlernte, war zunächst der Not geschuldet. Denn als Lars 1991 mit der Schule fertig wurde, machte ein Betrieb nach dem anderen dicht. Keine guten Aussichten für einen jungen Mann am Anfang seines Berufslebens. Und so stand die Idee im Raum, sich mit einem Salon selbstständig zu machen.

Lars Oertel fand tatsächlich Gefallen am Friseurhandwerk. Für seine Großeltern war es das Größte, nun auch die nächste Generation in den eigenen Fußstapfen zu sehen. Dass der Enkel im Jahr 2000 gar Meisterehren erwarb, erlebten sie nicht mehr.

Umzug in ehemalige Pförtnerbude

Die ersten Geschäftsräume fand Rolf Oertel in der ehemaligen Sämereiverkaufsstelle in der Lindenstraße. Ein Jahr später zog er um in die umgebaute ehemalige Pförtnerbude des Saatgutbetriebes - ein uriges Räumchen hinter Backsteinfassade und Rundbogenfenstern.

Mit seinen 66 Jahren könnte sich Rolf Oertel eigentlich zur Ruhe setzen. Die Geschäfte hat er an den 43-jährigen Lars übergeben. Sein Sohn hat ihn angestellt, und der Mann mit dem für ihn typischen, mittlerweile ergrauten Zopf kommt „nicht wegen Geld“ her. Zu Hause wüsste er vor Langeweile nicht, „was er den ganzen Tag machen soll“.

Zumal in seiner Männerwirtschaft „nichts dreckig“ würde und es im Moment im Garten eh nichts zu tun gebe. Er braucht die Gespräche, das Geflachse und gutmütige Necken, das auch die Kunden hier schätzen. „Das Zwischenmenschliche gibt es ja kaum noch“, sagt Rolf Oertel. Und weil er sich seinen langjährigen Kunden verpflichtet fühlt, geht er zu ihnen, wenn sie krank und gebrechlich geworden sind.

„Mehr ist nicht zu retten an dem Kopp“

Inzwischen ist Walter Zufelde fertig frisiert, Rolle streicht noch einmal mit der Hand über den Hinterkopf des Mannes und hält ihm den Spiegel hin. „Mehr ist nicht zu retten an dem Kopp“, brummt er und hilft dem Kunden aus dem Stuhl. Der lacht und erzählt, dass seine Frau schon mit dem Mittagessen wartet.

Frauen, Politik und die Widrigkeiten des Lebens sind überhaupt die bevorzugten Themen in der Frisierstube. Schon sitzt der nächste auf dem Stuhl, und Rolle beginnt umgehend mit der Arbeit. Die Kunden müssen nicht mehr sagen, wie sie sich ihre Frisur vorstellen. Rolle weiß es schon. Und er sagt: „Wenn ich eines Tages mal nicht mehr Haare schneiden kann, will ich sterben.“ (mz)