Stollen Stollen: Brot für die Fastenzeit
Halle (Saale)/MZ. - Dabei hat die Erfolgsgeschichte dieses Backwerks nicht in Sachsen begonnen, sondern in der geschichtsträchtigen Kulturlandschaft am Zusammenfluss von Saale und Unstrut.
In einer Urkunde, die im Stadtarchiv von Naumburg aufbewahrt wird, taucht der Begriff Stolle bereits 1329 auf. Auch im nahe gelegenen Zeitz, das einst zum Bistum Naumburg gehörte, wurde schon 1358 der Christstollen urkundlich erwähnt, viel früher als im benachbarten Sachsen.
Mehl, Wasser und Rüböl
Von 1317 bis 1334 hatte Bischof Heinrich I. in Naumburg das Sagen. Obwohl es in der Stadt schon viele Jahre eine selbständige Ratsverwaltung gab - erstmals wird sie 1305 erwähnt -, bedurfte alles, was in Bürgerstadt und Domfreiheit an Bauvorhaben, Rechtsgrundsätzen oder Gründungen verwirklicht werden sollte, einer Zustimmung des Bischofs. Nachdem er den Naumburger Fleischern im Jahre 1323 als ersten Handwerkern der Stadt das Recht zur Gründung einer Innung zugesprochen hatte, wollten auch die Bäcker ihre Berufsinteressen und gewerblichen Angelegenheiten in einer solchen Körperschaft wahren und regeln.
Die Erlaubnis für das Zunftprivileg erteilte Bischof Heinrich I. den Bäckern am 24. Juli 1329. Als Gegenleistung, dass "dissem Hantwerge den Becken" das Recht der Innungsgründung gestattet wurde, forderte der Bischof für sich und seine Nachfolger alle Jahre zu Ostern zwölf Schillinge, ebenso zu St. Michael "und an des heiligen Crist(us) Abende zwey lange weyssene Brothe, die man Stollen nennet, gemacht von eynem halben Scheffel Weysses uns und unsem Nachkommlingen in unsem Hof gelobet haben verbunden zu geben und zu reichen."
Da solcherart Gebäck seinerzeit als Brot für das Fasten in der Adventszeit üblich war, wurde der Teig vermutlich nur aus Weizenmehl, Wasser und Rüböl geknetet. Nach den damaligen Fastenregeln der katholischen Kirche war weder die Verwendung von Butter noch von Milch erlaubt. An Vanille, Rosinen, Korinthen, Mandeln, Zitronat, Orangeat oder Marzipan war gar nicht zu denken. Mit solcher Art Beigaben wird der Weihnachtsstollen erst seit dem 19. Jahrhundert gebacken.
Weil Bischof Heinrich I. auf einer Anlieferung des Stollens am Christabend, also am Ende der Fastenzeit, bestanden hat, ist es aber durchaus denkbar, dass der Naumburger Bäckerzins als feineres Festtagsbrot aus hellem Weizenmehl, süßem Honig und Schmalz gefertigt wurde. Doch diese dem heutigen Stollen ähnelnde Variante soll erst 1427 in Schloss Hartenstein bei Torgau vom kurfürstlichen Hofkoch Heinrich Drasdow gebacken worden sein. In einer Weihnachtspredigt ist 1571 die Rede von "Christstollen, Zucker, Pfefferkuchen und mancherley Confekt und Bilde aus diesen allen". Überdauert hat die mittelhochdeutsche Bezeichnung der länglichen Kuchenlaibe als Stollen. Beibehalten über alle Jahrhunderte wurde auch die Form des Stollens als so genanntes Gebildebrot. So geformtes Backwerk wurde auch für andere Gelegenheiten gebacken.
Stollengroschen für den Teig
In dem Jubiläumsband "Quedlinburgische Geschichte" von 1922 werden als Gebildebrote Martinshörnchen, Fastnachtspfannkuchen, auch Kräpfel oder Prilken genannt, Mandel- und Plunderbrezeln und Weihnachtswecken aufgezählt. In der Altmark wurde derartiges Fastengebäck als Prilleken bezeichnet. In einem Stendaler Rezept aus dem Jahre 1803 ist zu lesen: "Dies ist ein Gebackenes, ohne welches mancher seine Fasten nicht glaubt hinbringen zu können; das aber äußerst ungesund ist, weil es zähe ist und fett gemacht wird." Dass der mit Puderzucker überdeckte Stollen das in weiße Windeln gewickelte Jesuskind symbolisiert, ist eine Vermutung, für die es keinen Nachweis gibt. Unterschieden wird bis heute zwischen geschlagenen und gerissenen Stollen. Beim geschlagenen Stollen werden die seitlichen Teigränder nach oben gelegt. Der gerissene Stollen entsteht durch einen Längsschnitt in die Teigrolle. Wichtig ist, dass die goldgelb gebackenen Laibe beim Herausziehen aus dem Ofen und dem Überziehen mit einer dicken weißen Zuckerschicht nicht brechen. Wenn das passiert, so besagt ein Aberglaube der Bäcker, wird jemand aus der Verwandtschaft sterben. Dabei ist es gleichgültig, ob der Stollen aus einem vom Bäcker zubereiteten Teig entstand oder von Hausfrauen in die Backstube gebracht worden ist. Trotz des großen Angebots an industriell Gefertigtem wird das Backen von Stollen und allerlei Gebäck bis heute in vielen Familien als Teil der Vorbereitung auf Weihnachten pflegt.
Während Plätzchen und Lebkuchen in den eigenen Herd geschoben werden und die Stuben mit ihrem Duft erfüllen, wird der Stollenteig - manchmal auch alle Zutaten - oft noch wie eh und je in den frühen Morgenstunden zum Bäcker getragen. Damit die Laibe in seinen Backofen geschoben wurden, mussten einst Stollengroschen gezahlt werden, meist einer pro Pfund Teig.
Wie viele Stollen, Striezel, Schittchen oder Wecken, die Bezeichnung ist regional unterschiedlich , nach Hause getragen werden konnten, entschied sich meist erst in der Backstube nach Umrechnung der verwendeten Menge Mehl. Und da nicht nur das Gebäck einer Familie in den Ofen kam, wurde es mit geschnitzten oder farbigen Stollenzeichen markiert, damit jeder seine Stollen herausfinden konnte.
Im Buch "Advent, Advent" aus dem Verlag Janos Stekovics beschreibt der Autor Ernst Krziwanie weitere Bräuche der Weihnachtszeit zwischen Altmark, Unstrut, Harz und Fläming. Es kostet 14,80 Euro.