Spät verweigern: Viele fallen durch die Musterung
Berlin/Bockhorn/dpa. - Zivi oder Bund? Glaubt man Wehrdienst-Kritikern, haben immer mehr junge Männer die Chance, um beides herumzukommen. Der Trick: Möglichst lange mit der Verweigerung warten.
Denn die Bundeswehr braucht heute weniger Rekruten als früher. Deshalb werden mehr Männer ausgemustert als noch vor zehn Jahren, erklärt die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer (KDV) in Bockhorn (Niedersachsen). Ihr Tipp: Sich zurücklehnen und abwarten.
Von den 2008 gemusterten jungen Männern wurden laut dem Bundesverteidigungsministerium in Berlin 53,2 Prozent als «wehrdienstfähig» eingestuft. Fast jeder Zweite war also nicht tauglich. «Deshalb kann man ruhig erstmal die Musterung abwarten, bevor man verweigert», rät Peter Tobiassen von der Zentralstelle KDV.
Theoretisch macht es keinen Unterschied, ob ein Mann erst verweigert und dann zur Musterung geht oder umgekehrt. In der Praxis gebe es aber sehr wohl Unterschiede, sagt Tobiassen. Wer zu früh einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer (KDV-Antrag) stellt, werde eher tauglich gemustert als andere.
Dies belegten Zahlen der Bundesregierung von 2007. Demnach stellten 2006 etwa 140 800 Wehrpflichtige einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Rund 109 900 Anträge gingen vor oder bei der Musterung ein. Sie gehen an das Bundesamt für den Zivildienst (BAZ), wenn Antragsteller tauglich sind.
Laut der Zentralstelle KDV wurden 2006 rund 40 Prozent der Gemusterten als «nicht wehrdienstfähig» eingestuft. Entsprechend hätten nur rund 65 800 Anträge an das BAZ weitergeleitet werden müssen. Es seien aber rund 78 900 Anträge gewesen, etwa 13 000 mehr, «als nach dem statistischen Durchschnitt zu erwarten gewesen wäre».
Naheliegend wäre, dass für Verweigerer andere Maßstäben gelten als für künftige Rekruten - schließlich müssen sie nicht kämpfen. Das sei allerdings nicht zulässig, erklärt der Rechtsanwalt Thomas Schulte aus Berlin, der sich mit Wehrdienstrecht beschäftigt. Laut Gesetz müsse die Musterung immer nach den gleichen Kriterien erfolgen.
Laut dem Bundesverteidigungsministerium ist das auch der Fall. Es bestreitet die KDV-Darstellung: Alle Untersuchungen erfolgten nach zentralen Dienstvorschriften, die klare Vorgaben machten, erklärt ein Sprecher. Das Ungleichgewicht erkläre sich so: Wehrpflichtige, die davon ausgehen, dass sie untauglich sind, machten sich vor der Musterung gar nicht die Mühe, einen KDV-Antrag zu stellen. Wer damit rechnet, tauglich zu sein, überlege dagegen schon vorher, ob er verweigern will. Deshalb seien unter den Verweigerern mehr Taugliche als unter denjenigen, die nicht verweigert haben.
Ob es nun eine Ungleichbehandlung gibt oder nicht, lässt sich nicht nachweisen. Wer es nicht darauf ankommen lassen will, könne den Musterungsbescheid abwarten und erst danach den KDV-Antrag stellen, rät Tobiassen. «Man sollte den Antrag spätestens so stellen, dass er vor der Einberufung noch bearbeitet werden kann», ergänzt Schulte. Ein bis drei Wochen reichten dafür in der Regel aus. Sonst kann es passieren, dass Verweigerer zunächst doch in die Kaserne müssen.
Bleibt die Frage, ob ein später Verweigerer noch einen Zivildienstplatz bekommt. Bundesweit gibt es dem Bundesamt für Zivildienst zufolge rund 110 000 anerkannte Plätze. Im Jahresschnitt sind rund 64 000 Zivildienstleistende im Dienst. Auch für Kurzentschlossene sind also theoretisch genug Plätze frei.
Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer: www.zentralstelle-kdv.de
Bundesamt für den Zivildienst: www.zivildienst.de
Bundesverteidigungsministerium: www.bmvg.de