Ostsee Ostsee: Insel für zwei Stunden
Halle (Saale)/MZ. - Als sich die "Seeadler" in den kleinen Nothafen an der Greifswalder Oie schiebt, steht Mathias Mähler schon in Jeans und Pulli an der Kaikante, um die Gäste des Tages in Empfang zu nehmen. Offiziell gilt die kleine Insel, die in der südlichen Ostsee etwa zwölf Kilometer vor Usedom liegt, zwar als unbewohnt. Doch der 29-jährige Thüringer mit dem dunklen Sechs-Tage-Bart leitet seit vier Jahren die Vogelschutzstation des Vereins Jordsand auf der Oie - und führt dort ein Robinsonleben mit kleinen Unterbrechungen.
Maximal 50 Besucher am Tag dürfen das winzige, unter Naturschutz stehende Eiland in der Pommerschen Bucht betreten, und auch das nur für kurze Zeit: Zwischen An- und Abfahrt der Fähre haben sie gerade mal zwei Stunden, um sich dort umzusehen. Doch Mathias Mähler winkt gelassen ab: "Die Oie ist ja bloß anderthalb Kilometer lang und misst an der breitesten Stelle 570 Meter. Das schafft man schon." Mit einem Schmunzeln gesteht er allerdings: "Ich selber brauche manchmal ziemlich lange von einem Ende zum anderen, weil ich ständig irgendwas entdecke."
Eine wechselvolle Geschichte hat die Insel schon hinter sich. Lange Zeit gehörte sie der Stadt Greifswald und diente als Sommerweide für deren Zuchtpferde, später war sie Fischereistützpunkt, wurde landwirtschaftlich und schließlich auch touristisch genutzt. Sogar ein kleines Hotel mit Restaurant gab es dort, den Inselhof, in dem Prominente wie Asta Nielsen und Thomas Mann gerne zu Besuch waren. Doch dann errichteten die Nationalsozialisten die Heeresversuchsanstalt Peenemünde und erklärten die Oie zum Teil eines militärischen Sperrgebiets. Ein paar alte Plattenwege und gesprengte Bunker künden noch heute von dieser Zeit, ansonsten hat sich die Natur ihr Refugium zurückerobert.
Mähler stellt eine Flasche mit selbstgemachtem Fliedersirup auf den Gartentisch. Er genießt das Leben auf der Oie, obwohl es zum Teil sehr spartanisch aussieht. Bis zum vergangenen Jahr beispielsweise gab es im alten Inselhof nur einen einzigen beheizbaren Raum, dann endlich konnte eine Heizungsanlage eingebaut werden. Um sie zu befeuern, hat der studierte Forstwirt beachtliche Holzlager angelegt - und er ist froh über den Kettensägenschein, den er während des Studiums erworben hat. Strom bezieht die Station aus der Kraft der Sonne, was im Sommer bei sparsamem Verbrauch gut funktioniert. Nur wenn es gar nicht anders geht, kommt zusätzlich ein Notstromaggregat zum Einsatz.
Für Mähler ist all das kein Problem. Seit ein Freund ihm vor elf Jahren die Insel zeigte, lässt sie ihn nicht mehr los. "Da ist einmal die Vielseitigkeit, rein landschaftlich schon. Man hat hier alles, vom richtig schönen, alten Urwald über Gebüsche, Offenland bis hin zum Schilfbereich, kleinen Tümpeln und natürlich die Ostsee." Auch die Aufgaben des Stationsleiters sind bunt: Er kümmert sich um die Heidschnucken, die ihm wiederum dabei helfen, das Zuwachsen der Insel zu verhindern. Er ist Gastgeber für die Touristen, die im Sommer täglich kommen und aus aller Herren Länder in das Naturparadies pilgern.
Vor allem aber ist der Vogelkundler natürlich im Dienste der Singvögel unterwegs. Im Sommer zählt er Eier und Nester, im Frühjahr und Herbst werden die durchreisenden Tiere beringt. "Wir betreiben hier die größte Beringungsstation Deutschlands, eine der größten Europas." Und mit einem Glänzen in den blauen Augen setzt er hinzu: "Manchmal sind hier zigtausende Vögel auf der Insel. Und auf der Wiese vorm Haus sitzen dann mal eben 30, 40 Rotkehlchen."
Jetzt, in der Vogelzugsaison, hat Mathias Mähler reichlich Unterstützung. Etwa ein Dutzend freiwilliger Helfer unterstützen ihn bei seiner Arbeit, es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Spätestens ab November aber wird es wieder still auf der Insel.
Die "Seeadler" legt nur noch in Ausnahmefällen im Nothafen an, dann nämlich, wenn der Teilzeit-Robinson auf der Oie ein Schiff anfordert, um einzukaufen.