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Narrenturm in Wien Narrenturm in Wien: Dieses Museum in Wien ist zum Gruseln

Von Christoph Driessen 04.12.2014, 12:51
Dieser Mensch kann nicht gesund gewesen sein: übergroßes Schädel-Skelett.
Dieser Mensch kann nicht gesund gewesen sein: übergroßes Schädel-Skelett. NHM Wien, Kurt Kracher Lizenz

Wien und der Tod - das sei eine ewige Liebe, sagt man. Die Todessehnsucht habe in Wien Heimatrecht. Da gibt es den Zentralfriedhof mit den Gräbern von Beethoven, Falco und drei Millionen anderen Toten, da gibt es die Katakomben unter dem Stephansdom mit ihren aufgestapelten Pestgerippen, und da gibt es die Kaisergruft, letzte Ruhestätte der Habsburger. Doch keine dieser Attraktionen hinterlässt einen so bleibenden Eindruck wie der Narrenturm mit seiner pathologisch-anatomischen Sammlung. Besucher seien gewarnt: Die Bilder aus diesem Turm werden sie so schnell nicht mehr los.

Der Narrenturm wurde 1784 - zu Lebzeiten Mozarts - fertiggestellt. Er ist ein kreisrunder, fünfstöckiger Zylinder mit 139 Zellen, in denen Geisteskranke festgekettet waren. Alle Gänge verlaufen im Kreis, so dass man den Drehwurm bekommt, wenn man sie zu schnell entlangläuft. Anstelle von Narren beherbergen die Zellen heute alle vorstellbaren und unvorstellbaren Monstrositäten. Der Narrenturm gilt als das größte und älteste pathologische Museum der Welt.

Man kann die etwa 50.000 Objekte grob in zwei Bereiche einteilen: in Spiritus eingelegte Leichen oder Leichenteile und wächserne Nachbildungen erkrankter Körperteile. In der Epoche vor Erfindung der Farbfotografie waren diese Modelle bei der Ausbildung junger Mediziner unerlässlich.

Die Anfertigung der sogenannten Moulagen war extrem teuer: „Eine Moulage herzustellen, dauert 48 Stunden im Dauereinsatz“, erläutert Prof. Maria Teschler-Nicola, Direktorin der Anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums, der die Sammlung seit 2012 angegliedert ist. Dementsprechend sind manche Moulagen - und mögen sie auch ein Vaginalkarzinom darstellen - wie Kunstwerke eingerahmt. 90 Prozent der Patienten sollen noch gelebt haben, als ihnen die Wachsabdrücke abgenommen wurden.

Es ist unmöglich, das Museum zu besuchen, ohne mit eigenen Ängsten vor Krankheit und Tod konfrontiert zu werden. „Primäreffekt der Syphilis am männlichen Geschlechtsteil“, steht auf einem alten Lehrposter, an dem sich gerade eine Schülergruppe entlangschiebt. Wegschauen kann man nicht, denn links und rechts sind weitere Unerträglichkeiten ausgestellt: Pestlunge, Aleppo-Beule, Tuberkulose des Fingers, Erfrierungen dritten Grades, Pockengesicht... Da wirkt die Körpersteinsammlung eines lang verblichenen Urologen geradezu putzig.

Welche gruseligen Ausstellungsstücke noch gezeigt werden, lesen Sie auf der nächsten Seite. Außerdem: Bildergalerie mit Fotos.

Eine makabere Geschichte verbirgt sich hinter den ausgestellten Pestkulturen: Sie waren 1897 von Wiener Medizinern zu Forschungszwecken aus Indien eingeführt worden. Durch Unvorsichtigkeit steckte sich ein Spitalsdiener bei einem Versuchs-Meerschweinchen an und infizierte auch gleich noch den Leiter der Expedition, Hermann Müller, der den eigenen qualvollen Krankheitsverlauf bis zum letzten Atemzug dokumentierte. Die insgesamt drei Pestopfer zu einer Zeit, als die Krankheit in Europa längst ausgerottet war, versetzten die ganze Stadt in Panik und Aufruhr. „Das ist Wien!“, seufzt Teschler-Nicola.

Bizarr ist auch der Totenschädel eines Teilnehmers der ersten Weltumseglung der österreichischen Kriegsmarine von 1858: Der Kopf wurde von seinen Kameraden angeblich aus dem Magen eines Haifisches geborgen. Zu den ältesten Stücken gehören der ausgestopfte Körper eines vierjährigen Mädchens, das 1750 an Hautinfektionen starb, sowie Bein- und Beckenknochen eines 2,40 Meter großen Türken, der sich 1683 an der Belagerung Wiens beteiligt hatte. Das berühmteste Exponat, das jemals im Narrenturm aufbewahrt wurde, ruht nun schon seit 14 Jahren in den Anatomiegräbern des Wiener Zentralfriedhofs: Es war der abgetrennte Kopf des Sissi-Mörders Luigi Lucheni. Der Anarchist hatte der Kaiserin 1898 mit einer Feile ins Herz gestochen. Sein Gehirn sollte im Narrenturm untersucht werden, doch dazu kam es nie.

Die Feuchtpräparate sind nicht allgemein zugänglich, sondern nur nach vorheriger Anmeldung. „Wir haben immer im Hinterkopf, dass da eigentlich ein Mensch dahintersteckt“, erläutert Eduard Winter. Er ist der Verwalter der Sammlung, ein erstaunlich munterer junger Mann mit Spitzbart und weißem Kittel. Natürlich sei so ein Präparat auch „ein bisschen grauselig“, sagt er. Außer auf Köpfe reagieren Besucher vor allem auf Hände. „Hände schockieren extrem, weil man selbst ununterbrochen auf seine Hände schaut und jede Hand individuell ist“, sagt Winter. „Ich sage auch zu jedem Lehrer: Bitte drauf vorbereiten!“

Ihn selbst belastet sein Arbeitsplatz nicht im Geringsten. „Im Gegenteil, für mich ist es aufbauend: Ich geh' hier durch und denke: „Ein Glück, die Krankheit da, die kannst du heute auch nicht mehr bekommen!““ Ähnlich dürfte auch zu erklären sein, warum sich überhaupt jedes Jahr 25.000 Menschen dem Horror dieses Museums aussetzen: Indem man die Entstellungen der Kranken betrachtet, vergewissert man sich der eigenen Normalität.

Am Ende posiert Winter mit der Moulage eines Lepragesichts fürs Foto. „Die Vorlage hierfür haben wir auch als Feuchtpräparat“, erläutert er seiner Chefin Teschler-Nicola. „Soll ich es Ihnen zeigen?“ Aber die Frau Professorin winkt ab: „Ach, lassen Sie mal.“ Genug ist genug.

Informationen für Besucher

Geöffnet mittwochs 10 bis 18 Uhr und samstags 10 bis 13 Uhr. Eintritt zwei Euro, immer zur vollen Stunde werden Führungen angeboten. Außerdem können außerhalb der festen Öffnungszeiten Führungen für Gruppen ab zwölf Personen mit unterschiedlichen Schwerpunkten vereinbart werden. Bereits seit mehreren Jahren wird der Narrenturm bei laufendem Museumsbetrieb saniert. Danach soll auch die Sammlung völlig neu präsentiert werden. (dpa)

WARNUNG: Klicken Sie die Fotostrecke nur an, wenn Sie starke Nerven haben.

Im Narrenturm wurden einst die Geisteskranken gefangen gehalten.
Im Narrenturm wurden einst die Geisteskranken gefangen gehalten.
Naturhistorisches Museum Wien/Kurt Kracher Lizenz
Zählen zu den harmlosen Exponaten: Skelette in einer Vitrine.
Zählen zu den harmlosen Exponaten: Skelette in einer Vitrine.
NHM Wien, Kurt Kracher Lizenz
Kabinett des Schreckens: In Schränken lagern Dutzende Schädel.
Kabinett des Schreckens: In Schränken lagern Dutzende Schädel.
Christoph Driessen/ dpa Lizenz
Dieser Kopf wurde angeblich aus dem Magen eines Haifisches geborgen.
Dieser Kopf wurde angeblich aus dem Magen eines Haifisches geborgen.
C. Driessen/ dpa Lizenz
Eduard Winter ist Verwalter der Sammlung. In den Händen hält er die Moulage eines Leprakopfes.
Eduard Winter ist Verwalter der Sammlung. In den Händen hält er die Moulage eines Leprakopfes.
Christoph Driessen/ dpa Lizenz