Monopoli Monopoli: Wo ist die Schlossallee?
Halle (Saale)/MZ. - Die Straße ist eng, keine zwei Meter breit. Von den Balkonen hängt Wäsche, die Geländer sind rostig, von irgendwoher dudelt das Radio durchs offene Fenster - und manchmal mischt sich die Brandung ein: Ihre Brecher schlagen gegen die nahe Festungsmauer am Largo Castello, dem Schlossplatz am Altstadtrand von Monopoli. Ein Hotel gibt es in der schmalen und kaum 50 Meter langen Schlossstraße weit und breit nicht - aber wenigstens ein Handtuch hängt zum Trocknen aus einem der Fenster, das irgendwer mal in einem Hotel hat mitgehen lassen. Es trägt das eingewebte Logo der Billigherbergskette Ibis.
Auf dem Monopoly-Spielplan ist die Schlossallee die teuerste Adresse. Wer ein bisschen Würfelglück hat und es schafft, sie zu kaufen und dort ein Hotel zu bauen, hat das vor über 100 Jahren erfundene Gesellschaftsspiel so gut wie gewonnen. In Monopoli an der Adria zählt diese Adresse wenig: nicht teuer, nicht besonders edel, keine Allee, sondern eine Gasse. Aber sehr stimmungsvoll. "Ein Hotel in unserer Straße?" Die Frau auf dem Balkon lacht zwischen ihren roten und violetten Topfblumen hervor: "Zu eng, zu alt, zu schön. Das hat noch keiner versucht", ruft sie herunter.
Manche Adresse aus dem Spekulanten- und Immobilienhai-Spiel findet sich tatsächlich in der süditalienischen Wirklichkeit wieder - von der Hafen- über die See- bis zur Schlossstraße: 49 000 Einwohner hat die Küstenstadt in Apulien. 42 Kilometer südlich von Bari klebt sie auf einem Kliff, geht auf eine griechische Gründung aus vorchristlicher Zeit zurück, war lange Schmuggler-Hochburg, gleichzeitig ein Bollwerk gegen Adria-Piraten, ist noch immer ein Fischerort. Wer hin will, braucht nicht erst über "Los" zu gehen, muss keine Ereigniskarte ziehen und normalerweise auch nicht ins Gefängnis - obwohl es ganz in der Nähe eine große Haftanstalt gibt.
Dicke Bargeld-Bündel wie bei dem weltweit verbreiteten Brettspiel gleichen Namens braucht auch niemand. Denn das echte Monopoli ist preiswert geblieben: 2,50 Euro kostet ein Kännchen Tee im Freien auf der Piazza Garibaldi in der Altstadt, 1,70 Euro die Tasse Cappuccino, zehn Euro ein paar Schritte weiter die stattliche Mittelmeer-Brasse vom Grill, 13 Euro das zehngängige Antipasti-Menü im besten Lokal der Altstadt.
Der ganz große Tourismus ist hier noch nicht angekommen - außer im August. Dann tummeln sich die Norditaliener in den vor allem auf Familien ausgelegten Ferienanlagen am südlichen Stadtrand und feiern den Hochsommer. Den Rest des Jahres bestimmt provinzielle Ruhe das Bild in Monopoli. Und anders als im Spiel gibt es auch nur einen Bahnhof, an dem wenig los ist. Der einzige Wartesaal hat 18 unbequeme Drahtstühlchen. Stündlich fahren Züge ins 35 Fahrtminuten entfernte Bari - und einmal am Tag in fast fünf Stunden nordwärts nach Rom.
Drei Hotels gibt es im Zentrum von Monopoli - und über 50 Bed & Breakfast-Pensionen mit zum Teil nur einem Zimmer. In der Altstadt sind sie eingezogen, wo Leerstand herrschte - und es gab viel Leerstand. Weil es dort bis vor sechs Jahren keine Straßenbeleuchtung gab und kaum einer bei Dunkelheit einen Schritt in das Labyrinth setzen wollte. Das taten nur die Schmuggler - und ein paar Leute, die dort geboren waren und einfach nicht weg wollten.
Roberto Perricci hat das Haus seiner Großmutter übernommen - 200 Meter von der Schlossstraße, fünf Gehminuten von der Hafenstraße, fünfzehn vom Bahnhof. Der Mann ist unter die Hoteliers gegangen - mit drei Zimmern in der Festungsmauer. Aus Omas Küche wurde eine Suite mit Balkon. Mehr Meerblick geht nicht. Er zählt zu den Monopoli-Gewinnern. Sein Haus ist nun fast rund ums Jahr ausgebucht. Und Oma ist begeistert - auch von der neuen Dachterrasse. Sie wohnt inzwischen in der Neustadt, kam einmal zum Schlafen vorbei und übernachtete, wo sie 50 Jahre lang gekocht hatte. Was sie gesagt hat? "Nicht viel", erinnert sich Roberto. "Nur bravo."
Sieben verschiedene Monopoly-Versionen hat derweil Vito Palmitessa im Regal, 120 Mal verkauft der Mann, Besitzer des größten Spielwarenladens der Stadt, es hier jedes Jahr. Ob er es selber spielt? "Sehr gerne", sagt Palmitessa und strahlt. Und wer gewinnt? "Immer die Kinder", sagt er. "Die sind raffinierter." Seine Lieblingsstraße? "Die teuerste. Die Schlossallee." Auch, weil sie im wirklichen Leben so schön ist - mit den Balkonen, den Blumentöpfen, der Wäsche über der Straße. Und dem Meeresrauschen.