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Australien Australien: Mit dem «Ghan» über den Kontinent

Von Christiane Oelrich 28.09.2010, 11:48
Erst seit 2004 ist die Strecke fertiggestellt: Der «Ghan» verbindet Adelaide im Süden Australiens mit Darwin im tropischen Norden. (Karte: SVEN-E. HAUSCHILDT)
Erst seit 2004 ist die Strecke fertiggestellt: Der «Ghan» verbindet Adelaide im Süden Australiens mit Darwin im tropischen Norden. (Karte: SVEN-E. HAUSCHILDT) dpa Grafik

Darwin/dpa. - Zwei Lokomotiven, 800 Meter Zug und 2979Kilometer Schienen vor der Brust: Zu Beginn der Bahnreise längsdurch Australien knistert am Bahnsteig in Darwin das Reisefieber. Inzweieinhalb Tagen zuckelt der «Ghan» durch den trockensten Kontinentder Welt, vom tropischen Norden bis nach Adelaide an der Südküste.Rotes Niemandsland und Wüste liegen vor den Reisenden - und je nachgebuchter Klasse Champagner-Begrüßung, Gourmet-Menüs undFederbetten. In jedem Fall aber gibt's jede Menge Naturspektakel vorden Fenstern.

Der Zug kriecht in Darwin aus dem Bahnhof und rollt imSchritttempo über Bahnübergänge und an ein paar Gärten vorbei. Derwuchtige «Ghan» sieht in der städtischen Enge wie ein Elefant imPorzellanladen aus. Seine Welt ist das Outback, das australischeHinterland, wo die Landschaft weit und die Bebauung extrem spärlichist. Dort gewinnt er an Fahrt und beschleunigt auf 115 Kilometer inder Stunde. Der Zug rast aber nicht - er reist. Nichts muss soschnell wie möglich gehen, keiner ist gehetzt. Denn für diePassagiere ist der Weg das Ziel. Wer es eilig hat, fliegt lieber.

Kaum sind die letzten Häuser von Darwin passiert, beginnt diezunächst noch grüne Weite. Aber das tropische Küstenklima verliertsich schnell; die üppig grünen Büsche und Bäume werden schon auf denersten 100 Kilometern immer spärlicher. Stahlblauer Himmel und weißeWölkchen hängen über der berühmten rostroten Erde des Landes.

Eine Riesenstaubwolke am Horizont verrät Leben - hier muss eineder teils Tausende Quadratkilometer großen Rinderfarmen sein. Im«Ghan» ist gerade Lunch angesagt: Gold- und Platinum-Gäste werdenfür den stolzen Preis, den sie hingeblättert haben, im Restaurant«Queen Adelaide» verwöhnt. Pilzragout und Lachssalat stehen auf demMenü.

Der Zug stoppt in Katherine, rund 320 Kilometer südlich vonDarwin. Die Passagiere können die spektakuläre Katherine-Schluchterkunden, in der mit Felsenmalereien der dort ansässigen Jawoyngibt, eines der mehr als 500 Ureinwohner- oder Aborigine-Stämme.Hier leben auch «Freshies», wie die Frisch- oder Süßwasser-Krokodileliebevoll genannt werden. «Salties», ihre Verwandten aus dem Meerund aus den Brackwasserzonen Nord-Australiens, verirren sichebenfalls manchmal hierher. Sie sind größer und wesentlichaggressiver. Wenn eines gesichtet wird, sind Paddelausflüge in derSchlucht verboten.

Nach dem Stopp in Katherine richtet sich die Zuggesellschaftlangsam auf den Abend ein. Die untergehende Sonne strahlt dieLandschaft glutrot an. Der Zug wirft auf der östlichen Seite langeSchatten auf die Steppe. Eine schnurgerade Straße kommt in Sicht,mit einem Stoppschild vor dem Bahnübergang. Wer in dieser Einödeleben mag? Menschen lassen sich nirgends blicken. Auch die 2979Kilometer lange Strecke ist fast schnurgerade. Wer rechts sitzt,bekommt den Sonnenuntergang mit, die Gäste auf der linken Seitemüssen auf «ihr» Naturspektakel, den Sonnenaufgang, bis zum Morgenwarten.

Im Salon wird für die bessere Gesellschaft Schaumwein kredenzt,im Restaurant gibt es Känguru-Steak und Schweinerippchen. In denAbteilen lassen die «guten Feen» des Personals die Betten herunter.In der Goldklasse teilen sich zwei Reisende ein Abteil mitEtagenbetten, die Platinum-Kabinen haben ausgeklappte Doppelbetten.Es ist stockfinster draußen. Keine Lichtquelle trübt den Horizont.

Der Zug ruckelt unter der Oberaufsicht von Dean Duka sanft überdie Schienen. Er hält Kontakt mit den Lokomotivführern, die den Zugsteuern, immer geradeaus. «Ein Alarmknopf im Führerstand blinkt alle90 Sekunden. Wenn der Fahrer nicht draufdrückt, bleibt der Zugstehen», erklärt Duka. Nicht, dass die Fahrer Langeweile bekämen -sie müssen Weichen teils sogar von Hand umstellen. Die Strecke istweitgehend eingleisig. Immer wieder bleibt der Zug stehen, um einenFrachtzug oder den «Ghan» in der Gegenrichtung passieren zu lassen.

Dukas Albtraum in den gut 55 Stunden bis Adelaide: Verspätungdurch Überschwemmungen, Frachtzüge oder technische Probleme. «Werlange auf diese Reise gespart hat und in Katherine oder AliceSprings nicht genug Zeit für Ausflüge hat, wird zurecht stinksauer»,sagt er.

Der «Ghan» unternahm am 4. August 1929 seine Jungfernfahrt.Damals wurde ein Teilstück im Süden eröffnet, von Adelaide bis nachAlice Springs im Zentrum Australiens. Es sollte 75 Jahre dauern, bisdie Gleise im Jahr 2004 auch Darwin erreichten. Seinen Namen bekamder Zug von den Kameltreibern aus Afghanistan, die den Kontinent im19. Jahrhundert erschließen halfen.

Dean Duka ist an diesem Tag entspannt. Auf die Minute pünktlichrollt der Zug in Alice Springs ein. Viele Reisende unterbrechen dieFahrt hier für ein paar Tage. Es gibt jede Menge Ausflugsziele,darunter die spektakuläre Sandsteinformation Uluru, früher AyersRock genannt, und Hermannsburg, wo deutschstämmige Missionare im 19.Jahrhundert damit begannen, Ureinwohner zu Christen zu machen.

«Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren» steht aufDeutsch noch heute über dem Kircheneingang. Hier wurde im Jahr 1902der Aborigine-Maler Albert Namatjira geboren, der durch seineAquarelle mit den weißen Gummibäumen weltbekannt wurde. Als seineWerke gefragt und teuer wurden, machten die Briten ihn als erstenUreinwohner zum australischen Bürger - um Steuern eintreiben zukönnen.

Von Hermannsburg zwei Stunden entfernt ist das Palm Valley mitdem Aborigine-Namen Mpulungkinya. Hier sind die letzten Überresteder üppigen Tropenlandschaft zu sehen, die Australien einst nichtnur im Norden bedeckte. 12 300 Palmen stehen in der Schluchtzwischen den roten Felsen, teils mehr als 30 Meter hoch und 100 bis300 Jahre alt. Das Tal kann nach einer Fahrt in einem Bus mitAllradantrieb nur zu Fuß erkundet werden - und das ist ein Ohren-und Augenschmaus: Vögel, Zikaden, Bienen, rote Kerzenblumen, gelbeBüsche, so etwas wie blaue Mini-Veilchen und grüne Büsche in allenSchattierungen sind zu sehen.

Jungala Kriss bringt Besuchern Alice Springs und Umgebung gerneauf dem Fahrrad näher. «Der Ort heißt in unserer Sprache Mparntwe»,sagt der Mann vom Stamm der Arrente. Er erzählt von den teilshunderte Kilometer lange Liederstraßen der Aborigines. Die Stämme,die an der Strecke wohnen, haben jeweils «ihre» Strophe, der nächsteStamm führt das Lied weiter. Jungala bleibt immer wieder stehen undlässt die Natur lebendig werden. Die Delle in der Bergkante - dasist der Ort, wo ein Hund einen Eindringling konfrontierte. Derrötlich gefärbte Felsbrocken sind die Innereien des besiegtenFremden. Zwei Hügel nebeneinander werden als «reisende Schwestern»vorgestellt.

Alice Springs macht einen gespaltenen Eindruck. Hier die weißenAustralier, da die Ureinwohner, die am Sonntag auf dem Flohmarkthinter den Ständen mit dem bunten Schnickschnack in der zweitenReihe auf der Wiese sitzen und Malereien verkaufen. «Wir arbeitendaran, zusammenzuwachsen», sagt Deborah Rock, die eine rustikale,aus Holzplanken des alten «Ghan»-Zugs gebaute Pension betreibt. Sieselbst hat gerade angefangen, die Sprache der Arrente zu lernen, undeine Gruppe engagierter Einwohner träumt davon, Alice Springsirgendwann offiziell zu einer zweisprachigen Stadt zu machen.

Mit dem «Ghan» geht es nachmittags weiter. Die «guten Feen» habenein Mini-Tübchen Gesichtscreme ins Bad gelegt - ein Geschenk nachder äußerst trockenen Luft von Alice Springs. Und dann beginnt dasSonnenuntergangsspektakel. Orange leuchtet der Horizont, darübergelb und weiter oben hellblau. Vor dem Fenster auf der anderenZugseite hat der Maler die Farben anders gemischt: Dunkelblau derHorizont, dann ein pinkfarbenes Band, Gelb und Hellblau. Das dunkleBlau breitet sich nach oben aus und verschluckt die Farbenpracht.Der Westen trotzt dem Dunkel noch: Vor dem Horizont zeigen sich dieBäume wie für immer verewigt als messerscharfe Scherenschnitte. Dieangeleuchtete Bühne wird aber immer schmaler.

Dann wird es Nacht, und nach einem weiteren farbenfrohenSonnenaufgang rückt vor Adelaide das Urbane langsam wieder insBlickfeld: Städtchen, Bahnübergänge, schließlich die Küstenstadt.

Außer in der Platinum-Klasse sind die Abteile nicht gerade üppig,aber der lange Zug bietet mit gemütlichem Salon und Restaurant jedeMenge Auslauf. Wer in der billigsten Kategorie im Ruhesessel reist,muss mit Komfort wie in der Economy Class eines Langstreckenflugsrechnen, während die Natur langsam an den Fenstern vorbeizieht.

Auf einem Schienenstrang durch menschenleere Wüsten: Von Darwin nach Adelaide ist der «Ghan» 2979 Kilometer unterwegs. (FOTO: THE GHAN/GREAT SOUTHERN RAIL/DPA)
Auf einem Schienenstrang durch menschenleere Wüsten: Von Darwin nach Adelaide ist der «Ghan» 2979 Kilometer unterwegs. (FOTO: THE GHAN/GREAT SOUTHERN RAIL/DPA)
dpa-tmn
Ausflug ins Palm Valley: Die «Ghan»-Reisenden sind nicht immer im Zug, sondern manchmal auch im Geländewagen unterwegs. (FOTO: CHRISTIANE OELRICH/DPA)
Ausflug ins Palm Valley: Die «Ghan»-Reisenden sind nicht immer im Zug, sondern manchmal auch im Geländewagen unterwegs. (FOTO: CHRISTIANE OELRICH/DPA)
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