Nach der Geburt Nach der Geburt: Warum müssen Mütter gleich wieder sexy sein?
Alle klatschen begeistert, wenn Promi-Mamas wie Doutzen Kroes, Heidi Klum oder Michelle Hunziker zwei Monate nach der Geburt ihren schlanken Super-Body präsentierten. Auch eine befreundete Neu-Mutter, die sofort wieder in ihre alten Hosen passt, erntet überall Bewunderung. Denn das Ideal heißt: Top-Figur nach der Geburt, und zwar so schnell wie möglich! Vom Kreißsaal in die Röhrenjeans, in atemberaubender Geschwindigkeit.
Mit Disziplin gegen schlimme Mama-Kilos
Nach außen hin sind wir natürlich alle weit davon entfernt, in diesen Kategorien zu denken oder gar zu messen. Eigentlich wissen wir, dass so etwas Banales wie das Aussehen nach der Geburt doch keine Rolle spielt, es geht ja schließlich um viel Wichtigeres: neu geschaffenes Leben. Und doch bemerken wir, wenn eine junge Mama besonders viel zugelegt hat oder versagen uns selbst das Stück Kuchen, um „so schnell wie möglich wieder runter zu kommen“ vom Schwangerschaftsgewicht.
Die allgemeine Ansage ist klar: Mit ein bisschen Disziplin kann man die Schwangerschaftskilos sofort wegtrainieren. Frauenzeitschriften stellen Zehn-Punkte-Pläne gegen überflüssige Mama-Kilos auf. Es gibt zahlreiche Fitness-Programme, die auf neue Mütter zugeschnitten sind, nach dem Motto „zur sexy Mum in nur acht Wochen“. Ein Trainings-Programm wirbt sogar mit dem Titel „M.I.L.F.-Macher“ (M.I.L.F. = Mom I'd like to fuck).
Manche hungern schon in der Schwangerschaft
Manchmal fängt der Schlankheitswahn sogar schon viel früher an: Frauen fahren die Kalorien bereits in der Schwangerschaft zurück. Außer dem Bauch soll am besten nichts auf ein Baby hindeuten – schon gar nicht von hinten. Die heutige Schwangerschaftskleidung ist eng auf dieses Ideal zugeschnitten.
Werdende Muttis auf Diät, das kann auch richtig gefährlich werden. Einige entwickeln sogar Essstörungen. In einer Studie der Universität London aus dem Jahr 2013, bei der 739 Schwangere befragt wurden, gab jede vierte an, besorgt zu sein, wie sich die Schwangerschaft auf Gewicht und Figur auswirkt. Bei einer von 15 Frauen wurde eine Essstörung diagnostiziert. Das könne, so die Studie, nicht nur der Mutter schaden, sondern auch dem Baby.
Um ein paar Kilos zu sparen, lassen einige Frauen ihr Baby sogar etwas früher per Kaiserschnitt holen. Und in Brasilien buchen manche Mütter im Zuge eines Kaiserschnitts sogar direkt noch gleich eine Bauchstraffung mit. Einzelne Promis lassen ihre Babys gleich von Leihmüttern austragen - auch wegen der Schwangerschaftsfolgen für den Körper, so wird gemunkelt.
Diät-Ziele statt Bonding mit dem Baby
„Die Medien suggerieren, dass das Wichtigste rund um die Geburt ist, danach den nicht-schwangeren Körper zurückzugewinnen“, schreibt die Psychoanalytikerin Susie Orbach in einem Fachtext der britischen Regierung. Bilder von Promi-Müttern, die sechs Wochen nach Geburt wieder abgemagert sind, würden dabei den Fokus wegnehmen von der Tatsache, dass sich Mutter und Baby in der Phase nach der Geburt kennenlernen und einen gemeinsamen Rhythmus finden sollen.
Probleme mit dem Körper und ein gestörtes Verhältnis zum Essen könnten sich zudem von der Mutter auf das Kind übertragen, sagt Orbach. „Die Art und Weise, wie sie isst, ihre Einstellung zu Gesundheit, Essen und Hunger […], das alles wird wortlos an ihr Baby weitergegeben: das Positive wie das Negative.“
Wenn der Baby-Bauch nach der Geburt bleibt
Der Figur-Fanatismus bei Müttern ist natürlich nur ein Teil des allgemeinen Schlankheitswahns unserer Gesellschaft, der von den Medien zelebriert und befeuert wird. Trotz dieses Wissens ist es für die meisten Frauen schwer, sich vom Ideal-Bild der „Super-Frau“ freizumachen, die Karriere und Kinder lässig unter einen Hut bringt und dabei schlank und sexy ist. Viele Neu-Mamas senken die Köpfe, wenn sie Bilder von wunderschönen Model-Müttern sehen, und schauen kritisch an sich herunter, zum ehemaligen Babybauch, der bei ihnen einfach noch zu sehen ist – manchmal monatelang oder auch für immer.
Dass der Bauch nach der Entbindung nicht sofort wie weggezaubert ist, scheint tatsächlich noch nicht allgemein bekannt. Warum sonst hätten sich so viele gewundert, als das erste Foto von Kate Middleton mit ihrem Sohn George veröffentlicht wurde, und sie darauf mit einem „dicken“ Bauch zu sehen war. Zum Thema Nach-Baby-Bauch hat jüngst Schauspielerin Jennifer Garner für Aufsehen und Aufatmen bei vielen Müttern gesorgt. Ein amerikanisches Boulevard-Blatt hatte angesichts einer kleinen Wölbung schon eine neue Schwangerschaft verkündet, als Garner öffentlichkeitswirksam klarstellte, dass der Baby-Bauch („my baby-bump“) da sei und da bleibe, sie habe eben drei Kinder geboren.
Schadet Fitness nach der Geburt? Wie viel Training verträgt der Körper überhaupt? Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.
Fakt ist, eine Frau nach der Geburt befindet sich in einer Sondersituation: Sie hat gerade körperliche Höchstleistungen vollbracht, ein Kind ausgetragen und geboren. Ihr Körper muss sich erst einmal erholen. Angefangen bei möglichen Geburtsverletzungen, die heilen müssen über die Gebärmutter, die sich zurückbilden und den Beckenboden, der wieder stabilisiert werden muss, bis hin zu Bändern und Bindegewebe, die arg strapaziert sind.
Zu frühes Training kann Schaden anrichten
„Medizinisch gesehen braucht der Körper etwa ein Jahr Regenerationszeit“, sagt Frauenarzt Heinz-Günter Biermann aus Köln. Wie schnell er sich erhole und wie sehr er sich auf Dauer verändere, das hänge auch von der Veranlagung ab. Frauen sollte bewusst sein: „Schwanger werden bedeutet auch, dass man akzeptiert, den Körper unter Umständen nicht so zurückzubekommen, wie er vorher war.“
Und schadet es, wenn Frauen direkt nach der Geburt den Kilos an den Kragen gehen? Sei eine Frau schon vor der Schwangerschaft sehr fit gewesen, könne sie relativ schnell wieder trainieren, sagt Dr. Biermann, es müsse aber das richtige Programm sein. Bei untrainierten Frauen oder nach einer schweren Geburt könne ein zu intensives Training auch Schaden anrichten. Wenn Frauen stillen, müssten sie zudem mit ihren Kräften haushalten. Am besten sollten Mütter das zunächst mit ihrem Frauenarzt besprechen. „Bei der Beratung achte ich auf die Lebenssituation der Frau und hole sie dort ab, wo sie ist.“
Ein gutes Maß für sich selbst finden
Die amerikanische Fotografin und Mutter Ashlee Wells Jackson fotografiert für ihr „The 4th Trimester Bodies Project“ Mütter mit ihren Kindern. Sie will sie dadurch bestärken, zu sich und ihren Körpern zu stehen. Nach dem Motto: „Weil wir alle schön sind - trotz all der Dehnungsstreifen und Narben.“
Wie Frauen mit ihrem Körper umgehen und was sie für wichtig halten, das ist individuell und bleibt ihre Sache. Ob sie sich nun die erste Zeit mit Baby null um ihr Äußeres kümmern und ständig mit Schlabberpulli herumlaufen oder schnell wieder mit Fitness-Plänen an ihrem Body arbeiten wollen. Und doch, bevor wir vorschnell urteilen, man muss es realistisch sehen: Den wenigsten ist es ganz egal, wie sie aussehen. Auch Mütter wollen attraktiv sein – für sich, ihre Partner, ihr Umfeld. Warum auch nicht. Es geht hier auch nicht darum, dass Mütter nichts für sich tun sollen.
Es ist nur schade, dass Frauen sich keine Zeit mehr lassen, um sich an die neue Lebenssituation zu gewöhnen. Dass sie sich unter Druck setzen und sich die magische und erschöpfende Anfangsphase mit Baby noch so viel schwerer machen, nur um einem unrealistischen Körperideal nachzueifern. Es sollte eher darum gehen, ein gutes und gesundes Maß zu finden für sich selbst. Dazu gehört auch, sich mehr an eigenen Bedürfnissen als an öffentlichen Bildern zu orientieren – und die Heidi Klums dieser Welt einfach mal auszublenden.