Kinderbetreuung Kinderbetreuung: Das Kita-Dilemma - endlich drin aber unzufrieden
Wie hoch ist denn Euer Betreuungsschlüssel? Diese Frage stellen sich Eltern von Krippen- und Kindergartenkindern oft, wenn sie aufeinander treffen. Dann wird verglichen. Neidisch vernehme ich, dass sich woanders zwei Erzieher und eine Praktikantin um zehn Kinder kümmern. „Aber nicht Vollzeit?“, frage ich leicht zerknirscht nach. „Doch, beide acht Stunden!“, so die stolze Antwort. In solchen Momenten kriege ich schlechte Laune. Warum sind die Unterschiede so groß? Das ist ungerecht!
In unserer Berliner Kita, der Träger ist die Diakonie, kümmern sich zwei Erzieherinnen mit Teilzeitstellen um zehn Kinder. Meistens ist von beiden nur eine Erzieherin da. Momentan ist eine krank und die andere im Urlaub. Dann wird die Gruppe auf die Etage verteilt und es kümmern sich andere Erzieher um unsere Krippenkinder.
Qualität bleibt auf der Strecke
Diese Betreuungssituation liegt an einem unzureichenden Personalschlüssel. In deutschen Kitas fehlen 120.000 Erzieher/innen. Das hat eine Studie der Bertelsmann Stiftung im vergangenen Jahr ergeben. Der Experte für Kleinkindpädagogik Prof. Dr. Wolfgang Tietze kennt das Problem. Er fordert nach der Ausbauoffensive dringend eine Qualitätsoffensive in der Betreuung. Seit Jahren untersuchen er und sein Team die Qualität von Kindertageseinrichtungen. Sein Resümee: Keine bundesweiten Standards, wenig Transparenz, großes regionales Gefälle. Es ist reine Glückssache, eine gute Kita zu finden.
Unterschiede zwischen den Kitas sind riesig
Während sich in Baden-Württemberg und Bremen im Schnitt eine Erzieherin um drei unter Dreijährige kümmern kann, kommen in Sachsen, Mecklenburg und Berlin sechs bis sieben Kleinkinder auf eine Erzieherin. Von Pädagogen wird ein Betreuungsschlüssel von eins zu drei empfohlen. Nur so blieben neben Wickeln, Füttern und Aufpassen genügend Zeit für Bindung, Bildung und Beschäftigung. Denn es gilt der Grundsatz Bindung gleich Bildung. Gute Beziehungen zwischen Kindern und Erziehern sind entscheidend für die Betreuungsqualität.
Warum sind die Unterschiede zwischen den Einrichtungen so groß? Das kritisiert auch der Pädagoge Wolfang Tietze. „Mir hat jedenfalls noch niemand erklärt, warum ein Kind in Flensburg andere Bedürfnisse haben soll als eines in Füssen. Das ist ja bei den Schulen das gleiche.“ Tietze fordert gemeinsame Standards, unabhängig von Bundesländern und auch von Trägern.
Neue Suche - der Kitawechsel
Als im Februar „unsere“ Erzieherin, die letzte, die seit der Eingewöhnung übrig geblieben war, kündigte, weinten einige Eltern auf dem Elternabend. Was nun? Zum dritten Mal innerhalb von anderthalb Jahren kamen neue Erzieher. Unmut machte sich breit. Fest entschlossen wollten einige Eltern die Kita wechseln, auch die Autorin, ich. Doch wohin?
Ich schaute mir andere Einrichtungen an. Bei den Waldorf-Kitas ist kein Reinkommen. Da muss man selbst schon ein „Waldi“ gewesen sein, um überhaupt Chancen zu haben. In Barenboims Berliner Musikkindergarten hatte ich unser Kind schon drei Mal vergeblich angemeldet. Als ich endlich die Leiterin an der Strippe habe, meint sie genervt, 400 Anmeldungen lägen auf ihrem Tisch. Elterninitiativen kommen wegen der Öffnungszeiten nicht in Frage. Was sollen wir vor neun Uhr und nach 16 Uhr mit unserem Kind machen?
Was tun, wenn selbst die Kita mit gutem Ruf ihre Mankos hat? Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.
Vom Regen in die Traufe?
Also habe ich mir eine städtische Kita mit gutem Ruf um die Ecke angeschaut. Die Leiterin hat die interessierte Elterngruppe durch das Gebäude geführt und das neue Konzept der „offenen Gruppen“ erklärt. Doch dann fiel ein Satz, der alle Begeisterung verpuffen ließ. „Ich rede ganz offen mit Ihnen. Wir haben bei den über Dreijährigen fünfzehn Kinder in einer Gruppe. Meistens werden sie von einem Erzieher betreut. Anders geht das nicht. Wenn ein Erzieher krank ist, rufe ich bei der Zeitarbeit an. Da kriegt man aber nicht unbedingt pädagogisch geschultes Personal.“ Enttäuschung machte sich breit, denn der Betreuungsschlüssel ist ja noch schlechter als bei uns.
Perspektivwechsel
Nach diesem Besuch setzte bei uns zuhause ein Umdenken ein. Wir schauten auf unser Kind. Klar, die frühen Betreuerwechsel mit zwei Jahren waren schlimm. Aber jetzt ist unser Sohn drei Jahre alt und geht so gern in die Kita, wie ein Kind eben gern in die Kita geht. Meistens will er nicht hin, am Nachmittag will er aber auch nicht weg. Wir sind zum Schluss gekommen, dass wir als Eltern unzufriedener mit der ganzen Situation sind als unser Sohn selbst.
Deshalb haben wir angefangen, Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Zwar werden bei uns keine Ausflüge, weder in den nahen Park noch ins Puppentheater angeboten, es gibt kein Bio-Essen und ich bin mir nicht einmal sicher, ob schon jemals eine Erzieherin etwas in das obligatorische Sprachlerntagebuch eingetragen hat, dafür aber geht er seit mittlerweile anderthalb Jahren in diese Einrichtung, kennt den Weg, das Gebäude und die Kinder seiner Gruppe. Er wird zu Geburtstagen eingeladen, wir Eltern entlasten uns gegenseitig, indem wir abwechselnd die Kinder abholen.
Wir bleiben also in der stinknormalen Kita. Es ist keine Entscheidung die von Herzen kommt. Ich hätte mir eine bessere Betreuung in den ersten drei Jahren gewünscht und wünsche sie mir auch für die Zeit bis zur Einschulung. Allerdings hat unser Sohn Glück. Einen Tag in der Woche verbringt er bei seiner Oma. Wir gehen mit ihm ins Puppentheater, lesen viel vor und haben ein Wochenendgrundstück.
Familie wichtiger als Kita
Untersuchungen bestätigen, dass der familiäre Hintergrund nach wie vor einen größeren Einfluss auf die Entwicklung der Kinder hat als die Kita. Unser Sohn wird zuhause so gefördert, dass ihm eine mittelmäßige Kita nicht schadet. Problematisch ist es allerdings für Kinder, die nicht so viel Förderung von zuhause mitbekommen. Diese Kinder könnten in ihrer Entwicklung richtig von einer guten Kita profitieren. Und darum ist es wichtig, dass für alle Kinder die Qualität der Kitas verbessert wird.