Kinder Kinder: Gestresste junge Menschen brauchen Entspannung

Bielefeld/dpa. - «Allerdings steht fest, dass im Umfeld der Kinder heutestärker als früher Faktoren auftreten, die Stress auslösen.»
So können einschneidende Lebensereignisse wie die Scheidung derEltern, die Geburt eines Geschwisterkindes oder der Übergang vomKindergarten in die Schule für Kinder Stress bedeuten. Gehirn undSeele der Kleinen werden aber auch täglich unter Druck gesetzt. «AufKinder prasseln heute im Alltag Informationen und Reize aller Artnieder - von immer mehr und immer schneller geschnittenen Videoclipsbis zu komplexen Situationen im Straßenverkehr», erklärt MichaelaSpeldrich von der Techniker Krankenkasse in Hamburg.
Hinzu kommen der alltägliche Leistungs- und Konkurrenzdruck in derSchule und die damit schon frühzeitig verbundene Zukunftsangst. Aberauch die Häufung von Freizeitangeboten - vom Klavierunterricht überdas Fußballturnier bis zum Kindergeburtstag - spielt eine Rolle. Undletztlich färbt auch Anspannung der Eltern auf ihre Kinder ab.
Diese Faktoren müssen jedoch nicht zwangsläufig zu Stress führen.Er entsteht, wenn Termine mit Ängsten und Sorgen verbunden sind undaus Forderung Überforderung wird. «Dann ist das Gleichgewichtzwischen Anspannung und Entspannung im Körper gestört», sagt SusanneGrohs-von Reichenbach, Entspannungspädagogin aus München.
Registrieren Eltern Stress-Symptome an ihren Kindern oder klagendiese sogar ausdrücklich über Stress, ist es höchste Zeiteinzugreifen. Zunächst müssen die Ursachen gefunden werden. Hierheißt es: Zuhören. Was erzählt das Kind über seine Ängste? «Alsnächstes sollte der Alltag unter die Lupe genommen und möglichst umStressfaktoren reduziert werden», sagt Grohs-von Reichenbach. «Einguter Schlüssel ist Weglassen: Wo gibt es zuviel Ansprache? ZuvielAngebot? Zuviel Medien?»
Allerdings lässt Stress sich nicht einfach wegplanen. Denn dienächste Klassenarbeit kommt bestimmt. Deshalb muss das Kind lernen,mit solchen Belastungen umzugehen. Zum einen können Phasen in denTagesablauf eingebaut werden, in denen gezielt Anspannung durchBewegung und Toben abgebaut wird. Genauso wichtig sindEntspannungsoasen. «Kinder brauchen Zeit, um in Ruhe zu spielen, umReize zu verarbeiten, um abzudrehen», sagt die Pädagogin. Hier seiauch die Vorbildfunktion der Eltern gefragt.
Und schließlich gilt es, das Selbstbewusstsein des Kindes zustärken, damit es sich weniger leicht verunsichern lässt. «Elternkönnen nicht nur loben, sondern auch bewusst Situationen suchen oderschaffen, in denen das Kind Erfolgserlebnisse hat», sagt JosephKanders, Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und JugendärzteNiedersachsen aus Delmenhorst.
Erst, wenn Eltern mit diesen Ansätzen nicht weiter kommen, solltensie weitere Angebote machen - wie Entspannungskurse in Kindergartenoder Volkshochschule, bei der Krankenkasse oder einem ausgebildetenEntspannungspädagogen. Sie sind jedoch ein neuer Termin im täglichenTerminkalender - und damit möglicherweise ein neuer Stressfaktor.
«Kinder reagieren sehr unterschiedlich auf systematischeEntspannungsmethoden wie autogenes Training. Sie sollten ausprobierenund selbst entscheiden können», erklärt Psychologe Lohaus. DieWirkung solcher Kurse sei jedoch begrenzt. «Zwar ist derEntspannungseffekt erwiesen. Jedoch können Kinder im Grundschulalternoch nicht selbstständig erlernte Entspannungsmethoden in eine neueSituation übertragen und diese damit gezielt anwenden.» Bei akuterÜberforderung seien solche Kurse kein Ersatz für eine Psychotherapie.
Damit die nicht erst notwendig wird, heißt es: Vorbeugen - durchVermeidung von Reizüberflutung, eine entsprechende Tagesplanung,gemeinsames Entspannen und eine Stärkung des Selbstbewusstseins.
SERVICE-KASTEN: Schlafstörungen können ein Symptom von Stress sein
Kinder reagieren sehr unterschiedlich auf Stress: «Typisch sindpsychosomatische Störungen wie Magen-Darm-Probleme,Einschlafstörungen oder Kopfschmerzen. Schon Grundschulkinder klagenheute über Migräne», erklärt Joseph Kanders, Sprecher desBerufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Niedersachsen ausDelmenhorst. «Häufig werden auch bereits vorhandene Erkrankungen wieAsthma, Neurodermitis oder Allergien beschleunigt.»
Der Psychologe Arnold Lohaus, Professor für Psychologie an derUniversität Bielefeld, beobachtet große Geschlechtsunterschiede.«Mädchen sind weit häufiger von Stress betroffen als Jungen. Das kannteilweise durch Geschlechterrollen erklärt werden.» Außerdem seiendie Reaktionen sehr unterschiedlich: Mädchen reagierten vor allemnach innen, beispielsweise indem sie depressiv oder ängstlich werden.«Bei Jungen sind die Reaktionen hingegen meist external: Sie werdenaggressiv und schlagen über die Stränge.»