Interview Interview: Kind und Karriere - Schluss mit dem schlechten Gewissen!
Viele Mütter kehren heute in den Beruf zurück, wenn ihre Kinder noch klein sind. Dass Mama auch zur Arbeit geht, scheint inzwischen kein Problem mehr zu sein. Doch hinter der oberflächlichen Selbstverständlichkeit stecken oft Vorbehalte. Immer noch wird gerne angenommen, dass kleine Kinder vor allem die Betreuung der Mutter brauchen.
Dieses hartnäckige Bild im Kopf führt dazu, dass Mütter oft Schuldgefühle haben und besonders hohe Ansprüche an sich stellen. Auch das Umfeld schaut ganz genau hin, was Mütter tun und leisten. Warum eigentlich? Wir haben Psychologie-Professorin Dr. Una M. Röhr-Sendlmeier von der Universität Bonn interviewt.
Eine Mutter, die einen Beruf ausübt, das ist heute keine Besonderheit mehr. Warum gibt es immer noch Vorbehalte und Zweifel gegenüber der arbeitenden Mutter?
Prof. Una Röhr-Sendlmeier: Im deutschsprachigen Raum hat sich ab dem Ende des 19. Jahrhunderts das Bild der Mutter an Heim und Herd, die für alle Belange der Familie und die Entwicklung der Kinder zuständig ist, als Ideal etabliert. Bis heute gibt es noch traditionelle Lager, die sagen, die Frau solle zuhause bleiben, weil die Kinder sonst nicht gedeihen.
In den 70er Jahren galt im Zuge der Forderung nach Gleichberechtigung die emanzipatorische Sichtweise, dass Frauen im Beruf dasselbe leisten können wie die Männer, aber nur wenn sie keine Kinder haben. Das führte dazu, dass bis heute in den Köpfen der Menschen existiert: entweder Hausfrau und Kinder oder Beruf und keine Kinder.
Aber es hat sich seither doch viel getan…
Sicher, seit etwa zehn Jahren gibt es ein Umdenken. Immer mehr Frauen fragen: Warum geht denn eigentlich nicht beides? Sie möchten ihre berufliche Qualifikation und ihren Kinderwunsch in Einklang bringen können. Neu ist auch, dass Männer alternative Modelle fordern, weil sie mehr von ihrer Familie haben wollen.
Trotzdem steht beim Thema Vereinbarkeit besonders die Mutter unter Druck…
Es gibt immer noch den enormen Anspruch, dass alles perfekt und vor allem von der Mutter erledigt werden muss. Und allgemein wird immer noch davon ausgegangen, dass es gänzlich von den Eltern abhängt, ob die Kinder gelingen oder versagen.
Natürlich sind die Eltern extrem wichtig, aber andere Umgebungsfaktoren, die die kindliche Entwicklung mitbestimmen, werden ganz ausgeblendet. Man muss sich einfach verabschieden von der Vorstellung, dass per se eine positive Entwicklung des Kindes dadurch garantiert sei, dass die Eltern anwesend sind. Denn eine sehr gute Betreuung durch sehr liebevolle Bezugspersonen kann für das Kind eine Bereicherung darstellen. Es profitiert von verschiedenen Personen, wenn die Betreuung regelmäßig und zuverlässig ist.
Viele Mütter haben dennoch Schuldgefühle, weil sie die Kinder in Fremdbetreuung geben und wollen dann eine noch bessere Mutter sein. Denken sie, sie müssten ihre Berufstätigkeit legitimieren – nach dem Motto: daheim klappt alles, dann darf ich auch arbeiten?
Das könnte man so sagen. Schuldgefühle können berechtigt sein, sie stellen sich aber vielfach auch ein, weil Perfektionismus vorherrscht. Wir haben festgestellt, dass das Geschlechtsrollenkonzept der Frauen eine große Rolle spielt. Diejenigen, die eine gleichberechtigte Partnerschaft leben und wissen, dass sie in der Kinderbetreuung gut unterstützt werden, haben auch bei längeren Arbeitszeiten weniger Schuldgefühle.
Ist der Anspruch, alles perfekt machen zu wollen, irrational?
Mütter, die im Beruf und der Familie alles perfekt machen wollen, werfen sich selbst oft Dinge vor, die objektiv betrachtet kein Grund für Schuldgefühle sind. Ein Beispiel: Eine Mutter geht morgens früher aus dem Haus und der Vater kleidet das Kind an und bringt es zum Kindergarten.
Mittags holt die Mutter das Kind ab und sieht, dass das Kind alte abgenutzte Schuhe an hat. Die Mutter macht sich Vorwürfe und denkt: Oh Gott, wäre ich doch bloß da gewesen, um dich anzuziehen! Für das Wohlergehen eines Kindes ist dies aber in der Regel überhaupt nicht relevant. Das sind häufig Schranken im Kopf der Mütter.
Bleiben wir noch beim Beispiel mit den dreckigen Schuhen. Der Mutter ist das unangenehm, weil sie an die Blicke der anderen denkt. Ständig vergleichen sich Eltern. Kommen wir da vom Leistungsprinzip nicht runter?
Natürlich ist soziale Akzeptanz und Anerkennung ein wichtiger Motor für Verhalten. Aber die Frage, die sich jeder stellen sollte, ist: Wo setze ich meine Prioritäten? Man kann ja mit solchen Dingen auch souverän umgehen.
Es wird aber ja immer kommentiert und bewertet, was Mütter machen. Wieso ist der Blick auf die Mutter so gnadenlos?
Wir in Deutschland sind eine Gesellschaft, die sehr auf Leistung achtet. Und da werden Tätigkeiten von Müttern auch auf einer Leistungsskala gemessen, weil wir gerne in vieler Hinsicht perfekt sein wollen. Das ist ja im Grunde nicht falsch, aber wenn es die Menschen schädigt, also zu viel Stress aufbaut und psychischen Druck macht, wird es zum Bumerang. Dann ist das vermeintlich Perfekte am Ende wenig wert.
Könnte man also sagen, dass sowohl die Gesellschaft als auch die Mütter selbst sich den Druck machen?
Ja, es sind auch die Mütter selbst, die gesetzte Standards erfüllen wollen. Aber ihr soziales Umfeld könnte sie sehr entlasten. Die Väter zum Beispiel sind enorm wichtig. Wenn sie ihre Partnerinnen im Alltag entlasten, profitieren alle davon. Erst einmal natürlich die Mütter, sie spüren weniger Druck, weil sie nicht die alleinige Verantwortung tragen. Es ist aber auch sehr gut für die Väter, weil sie nicht mehr nur Ernährer und Versorger sind; sie können die Entwicklung ihrer Kinder miterleben und –prägen. Und für die Kinder ist es enorm wichtig, dass sie mehr als einen Ansprechpartner haben.
Übrigens haben unsere Studien gezeigt, dass Kinder auch im Hinblick auf schulische Leistungen gerade von der Berufstätigkeit von Müttern und der vermehrten Zeit mit ihren Vätern profitieren. Kinder, die in einem traditionellen Familienschema aufwachsen, lernen am Vorbild, dass es ein bestimmtes eingeschränktes Verhaltensrepertoire für Frauen und Männer gibt. Anders bei Kindern, die erleben, dass beide Eltern beides können. Tatsächlich waren Söhne von Müttern, die eine gleichberechtige Partnerschaft und Erziehung befürworteten, besser im Fach Deutsch.
„Zufriedene Mütter erziehen anders“
Wir sollten also unsere Vorstellungen von der „perfekten Mutter“ überdenken?
Es wird immer unterstellt, eine Frau, die zuhause bleibt, sei die perfekte Mutter. Tatsächlich aber setzen nicht alle Hausfrauen ihre Energie wirklich optimal für die Familie ein. Eine Studie des Bundesfamilienministeriums zeigte, dass etliche Frauen, die vermeintlich der Familie zuliebe zuhause blieben, häufig Dinge taten, die gar nichts mit der Familie zu tun hatten. Und die Kinder erleben weniger engagierte Mütter oft als gelangweilt, passiv und konsumierend. Solche Mütter vermitteln den Kindern ein schräges Bild vom Erwachsensein.
Eine Mutter, die dagegen viele Aufgaben beherzt in Angriff nimmt, Spaß an Tätigkeiten hat, die auch mit ihr selbst zu tun haben, und das positiv in die Familie hineinträgt, ist ein wunderbares Rollenbild für Kinder. Dieses positive Verhalten ist natürlich nicht ausschließlich mit Berufstätigkeit verbunden.
Zufriedenheit ist also ein gutes Vorbild?
Ja, wenn Wunsch und Wirklichkeit, was die Balance von Beruf und Familie betrifft übereinstimmen, ist das außerordentlich gut für Kinder. Es hat sich sogar herausgestellt, dass die Zufriedenheit von Kindern auch davon abhängt, welche Sicht sie von der Berufstätigkeit der Eltern vermittelt bekommen. Wenn eine Mutter ihre Schuldgefühle ständig vor sich herträgt, sehen die Kinder die Arbeit der Mutter auch als schlechte Sache.
Wir können sogar zeigen, dass Eltern, die mit Leib und Seele zu dem stehen, was sie tun, ihre Kinder anders erziehen. Mütter, die zuhause und unzufrieden sind, sehen ihre Kinder häufig als zu bändigendes Wesen, sind häufig viel autoritärer oder aber sie lassen die Kinder mit allem gewähren. Zufriedene Mütter – und das sind überwiegend Mütter, die auch im Beruf stehen - erziehen in der Regel demokratischer und sehen die Bedürfnisse aller Familienmitglieder.
Es gibt dennoch einen Trend, dass Frauen wieder selbst nähen, aufwändig backen und einrichten. 50er-Jahre-Hausfrau trifft Working Mum. Wie bewerten Sie dieses Phänomen?
Das sehe ich als Reaktion auf die lange erhobene Forderung, die Frau solle im Beruf die Ellenbogen ausfahren wie ein Mann. Es kommt zu einer Rückbesinnung. Frauen sagen sich, dass es doch auch noch eine Vielfalt anderer Tätigkeitsfelder gibt, die schön sind. Es ist ein ganz interessantes Phänomen.
Wir haben Familienvorstellungen im kulturellen Vergleich untersucht, und bei deutschen gut ausgebildeten jungen Frauen wird die Frage „Ich könnte mir auch vorstellen, eine Zeitlang nur Hausfrau und Mutter zu sein“ deutlich häufiger bejaht als von ähnlich gut ausgebildeten Frauen anderer Herkunft. Allerdings sagen nur knapp sechs Prozent der Frauen in Deutschland, so eine repräsentative Umfrage, dass sie sich vorstellen können, immer und ausschließlich Hausfrau und Mutter zu sein.
In der Realität ist es aber so, dass laut den neuesten Daten des Familienministeriums ein Drittel der Frauen mit Kindern unter 18 Jahren nicht berufstätig sind. Die meisten möchten gerne arbeiten, wissen aber nicht, wie sie das vereinbaren können.
Was muss passieren?
Wir brauchen Modelle, wie man Beruf und Familie gut vereinbaren kann – für Männer und Frauen. Das ist die Aufgabe der Gesellschaft. Es würden sehr viel mehr Paare Kinder bekommen, wenn akzeptiert wäre, dass Mütter wie Väter im Beruf und zuhause sind. Im Moment tritt ein Gesinnungswandel ein.
Eins ist wichtig: Die Arbeitswelt muss umdenken. Es sollte vermehrt die Möglichkeit geben, Home-Office-Tage einzulegen. Wenn jemand mit Spaß an der Sache und ohne Konflikte Dinge auch antizyklisch erledigen kann, zum Beispiel wenn das Kind schläft, dann führt das zu einer großen Entlastung. Wenn man dagegen weiß, dass niemand das Kind betreut, die Arbeit aber im Betrieb gemacht werden muss, dann sind die Eltern mit den Gedanken ganz woanders.
Kann der ständige Druck auch zu psychischen Problemen führen?
Wenn die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsaufgaben langfristig nicht gelingt, wenn eine Mutter keine Unterstützung erfährt und alles alleine perfekt machen will, hat sie wenig Gelegenheit aufzutanken, was zu Mut- und Kraftlosigkeit führen kann. Bei Spaß und Interesse an den gestellten Aufgaben und partnerschaftlichem Familienleben überwiegen aber eindeutig die positiven Aspekte.
Buch zum Thema:
Prof. Dr. Una M. Röhr-Sendlmeier: „Berufstätige Mütter und ihre Familien“, Logos Berlin, 29,80 Euro)