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Volkskrankheit Rheuma Volkskrankheit Rheuma: Frieren gegen Schmerzen

20.03.2002, 09:31

Bonn/Sendenhorst/dpa. - Heute wird Kälte auch als Ganzkörpertherapie gegenentzündliches Rheuma eingesetzt. «Kälte hilft, die Zerstörung vonGelenken aufzuhalten, und bringt den Patienten neue Lebensqualität»,sagt Professor Michael Hammer, Rheumatologe am St. Josef-Stift inSendenhorst (Nordrhein-Westfalen).

Rund 60 deutsche Fachkliniken haben für die Kältetherapiespezielle Kammern eingerichtet, die wie ein Kühlschrankfunktionieren: In einem Vorraum wird die Luft zunächst getrocknet unddann auf minus 110 bis minus 160 Grad heruntergekühlt. In Badehoseoder Badeanzug bewegen sich die Rheumageplagten für eine bis dreiMinuten unter ärztlicher Aufsicht in der Kältekammer. Die Haut wirddabei von normalen 35 Grad auf rund 10 Grad abgekühlt.

Um sich in der eisigen Umgebung vor Erfrierungen zu schützen,tragen die Patienten Mund- und Ohrenschutz sowie Handschuhe, Sockenund Schuhe. «Für einige Minuten lässt sich das gut aushalten»,erläutert Michael Hammer. «Die Patienten spüren sofort eineSchmerzlinderung.»

Die häufigsten Formen von entzündlichem Rheuma sindGelenkentzündung (Chronische Polyarthritis) und Versteifung derWirbelsäule (Morbus Bechterew). Mindestens drei Millionen Menschen inDeutschland leiden nach Angaben der Rheumaliga in Bonn unter diesenKrankheiten. Betroffen sind alle Altersgruppen, darunter auch vieleKinder. Die Ursache ist in den meisten Fällen eine Fehlsteuerung desImmunsystems. Was solche Fehlfunktionen auslöst, ist bisher nichtbekannt. Sicher ist dagegen der gefährliche Verlauf: «Bei mangelnderBehandlung führt sie zur Zerstörung der Gelenke», sagt Hammer.

Die Kältetherapie setzt im Körper eine Reaktionskette in Gang: Dasentzündungsauslösende Enzym (Kollagenase) wird gehemmt und abgebaut.Die Schmerzempfänger in der Haut werden blockiert. Gleichzeitig ziehtsich das Gewebe zusammen, und die Schwellung um die entzündetenGelenke geht zurück.

Nach Verlassen der Kältekammer wird die Haut intensiv durchblutet.«Die Patienten fühlen sich angenehm erfrischt, aufgewärmt undmotiviert», erklärt Hammer. Bis zu sechs Stunden hält die Wirkung an.So ermöglicht die Kältetherapie den Rheumageplagten Bewegungen, diesie sonst nur unter Schmerzen oder gar nicht vollbringen können.

Das macht die Behandlung zur idealen Ergänzung für andereTherapien. Krankengymnastik nach dem Aufenthalt im Kälteraum regt denAbtransport der entzündungsverursachenden Stoffe aus dem Gewebe an.Die vom Rheuma versteiften Gelenke werden beweglicher und kräftiger.«Heilen lässt sich Rheuma nicht, aber wenn die Krankheit aufgehaltenwird, ist das schon ein wichtiger Fortschritt», sagt Hammer.

Die Idee der Kältekammer stammt aus Japan. Professor ReinhardFricke richtete 1984 am St. Josef-Stift in Sendenhorst die ersteKältekammer Europas ein. Die Wirkung sprach sich unter Betroffenenschnell herum. Während Ärzte noch am Nutzen der Kältetherapiezweifelten, waren Patienten schnell davon überzeugt.

«Es war eine Abstimmung mit den Füßen», berichtet Michael Hammer,der die Rheumaklinik in Sendenhorst als Nachfolger von ReinhardFricke leitet. «Die wenigen Kliniken, die eine Kältekammereingerichtet hatten, bekamen enormen Zulauf.» Heute setzen auch Kur-und Rehakliniken auf die Kältebehandlung.