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Tätowierungen Tätowierungen: Sind die Farben gesundheitsschädigend?

Von Michael Aust 15.06.2014, 14:49
Ein tätowierter Körper ist Geschmacksache. Immer mehr Menschen tragen solchen Hautschmuck.
Ein tätowierter Körper ist Geschmacksache. Immer mehr Menschen tragen solchen Hautschmuck. Reuters Lizenz

Halle (Saale)/MZ - Zehn Prozent der Deutschen sind Umfragen zufolge tätowiert, bei den 30- bis 39-Jährigen sogar jeder Vierte. Tendenz? Weiter steigend. Als „Feldversuch mit unklarem Ausgang“ bezeichnet Professor Jürgen Bäumler die aktuelle Verbreitung der jahrtausendealten Körperkunst. Denn, so der Dermatologe der Uniklinik Regensburg: „Niemand kann sagen, was genau die Farben im Körper anrichten.“ Dass mindestens ein Drittel der Pigmente nicht am Ort der Tätowierung verbleibt, legt eine von Bäumler geleitete Studie nahe: Zusammen mit US-Kollegen tätowierte er 2012 Labormäuse, um zu sehen, ob sich die Substanzen unter der Haut im Körper ausbreiten. Das Ergebnis: Nach sechs Wochen war ein Drittel der Partikel nicht mehr am Einstichort, sondern irgendwo im Körper versickert. Als Bäumler 2013 dasselbe Experiment an Schweinen wiederholen wollte - Tiere, deren Haut der menschlichen ähnlicher ist - wurde das Vorhaben aus ethischen Gründen verboten. So bleibt unklar, wie viel Farbe sich bei Schweinen - und Menschen - in den Körper verflüchtigt.

Weder Arznei noch Kosmetik

Und das ist nicht der einzige blinde Fleck der Tattoo-Forschung. Das Risiko, sich beim Tätowierprozess selbst mit Keimen zu infizieren, ist zwar dank verbesserter Hygiene in den meisten Studios stark gesunken. Die größere Gefahr könnte laut Experten aber von den Farben selbst ausgehen. Und zwar nicht nur von den billigen und verunreinigten aus Fernost, mit denen sich mancher im Internet eindeckt. Sondern womöglich auch von denen, die keine der laut Tätowiermittelverordnung verbotenen Stoffe enthalten.

Ein Tattoo entsteht, indem ein Tätowierer die Haut seines Kunden mit Nadeln verletzt. Diese werden entweder in Farbe getaucht oder auf der Haut befindet sich bereits Farbe. Mit Hilfe einer Tätowiermaschine werden eine oder mehrere Nadeln - je nach gewünschtem Effekt - in die zweite Hautschicht, die sogenannte Lederhaut, gestochen. Auf diese Weise entsteht nach und nach ein Bild oder ein Text auf der Haut. Durch die kleinen Wunden gelangen die Farbpigmente in tiefere Hautschichten, wo sie dauerhaft bleiben. (ma)

„Tattoofarben können aus vielen unterschiedlichen Einzelsubstanzen bestehen. Die 2008 beschlossene Verordnung regelt genau, welche heute nicht mehr in Tätowiermitteln enthalten sein dürfen“, sagt Dr. Annegret Blume, Expertin für verbrauchernahe Produkte beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Zum Beispiel bestimmte Azo-Farbstoffe, die im Verdacht stehen, unter Einwirkung von UV-Licht in gesundheitsschädliche Stoffe zu zerfallen. Um sicherzustellen, dass diese problematischen Substanzen nicht mehr verwendet werden, schicken die Landesuntersuchungsämter regelmäßig Prüfer in Tattoostudios.

Problematisch könnten allerdings auch die Farbpigmente selbst sein. „Das sind Chemikalien, die nie dafür gedacht waren, in den Körper einzudringen“, sagt Jürgen Bäumler. Die Nanopartikel seien für Industriezwecke entwickelt worden, und nicht für die Injektion unter die Haut. Auf Risiken und Nebenwirkungen geprüft ist keine davon. Was daran liegt, dass Tattoofarben regulatorisch aus dem Raster fallen: Sie gelten weder als Arzneimittel, weil mit ihnen kein therapeutischer Zweck verfolgt wird, noch als Kosmetikprodukt, weil sie nicht auf die Haut aufgetragen werden. So gilt für sie lediglich die Negativliste der Tätowiermittelverordnung. Eine sogenannte Positivliste gesundheitlich unbedenklicher Pigmente existiert bislang nicht - obwohl das BfR eine solche seit Jahren fordert. „Das Problem ist: Es will niemand haften für eine Positivliste“, sagt Bäumler.

Auch das BfR nicht. „Wir können eine Risikobewertung nur auf Basis von Daten machen“, sagt Annegret Blume. Pigmentproduzenten wie BASF aber argumentieren, dass ihre Produkte nicht für die Anwendung im Körper gedacht und daher keine Untersuchungen vorgeschrieben sind. Und die Tätowiermittelhersteller, die die Pigmente zu Pasten aufbereiten? „Das sind meist kleine Betriebe, die große Datensammlungen nicht stemmen können“, sagt Blume. „Eine Lösung wäre, dass sich Hersteller und Veredler zusammenschließen und gemeinsam Studien finanzieren.“

Stochern im Nebel

Darauf warten Tattoo-Fans bislang vergeblich. Auch deshalb müssen manche von ihnen weiter mit Nebenwirkungen rechnen, wie sie laut einer Studie von 2010 bei sechs Prozent der Tätowierten auch vier Wochen nach dem Stechen noch auftreten. Am häufigsten sind Fremdkörperreaktionen und Allergien. Wie Fremdkörperreaktionen entstehen, ist gut erklärbar: „Durch Tattoos kommt Material in die Haut, das dort nicht reingehört, und die Haut will es loswerden“, sagt Bäumler. In der Folge versuche der Körper, das Material über die Lymphe auszuspülen, weshalb Farben oft in die Lymphknoten wandern. Manchmal entstehen auch juckende Knötchen an der Einstichstelle, mit denen die Haut die Fremdkörper eindicken will. Und die Krebsgefahr? „Es gibt zurzeit keinen Beleg dafür, dass Tattoos Hautkrebs auslösen können“, sagt Bäumler. „Aber ich rate dennoch zur Vorsicht, weil belastbare Daten fehlen.“

Manchen Hautkunst-Fans gelten Forscher wie Bäumler wegen solcher Aussagen als Bedenkenträger. Sie verweisen lieber darauf, dass Körperkunstwerke auch das Selbstbewusstsein stärken und auf diese Art „therapeutisch wirken können“, wie Professor Aglaja Stirn, Psychosomatikerin im Westklinikum Hamburg, erklärt. Oder auf den französischen Tattoo-Forscher Nicolas Kluger, der 2012 im Fachjournal „Lancet“ in einer Meta-Studie alle in der medizinischen Literatur beschriebenen Fälle von Hautkrebs bei Tätowierten sichtete und nur 50 aufspürte. „Diese Zahl ist sehr niedrig, daher sollte man den Zusammenhang zwischen Tattoos und dem Hautkrebs als zufällig annehmen“, so sein Fazit.

So beruhigend dieses Ergebnis zunächst klingt - ein echter Beweis, dass von den im Körper flottierenden Farbpartikeln keine Gefahr ausgeht, ist es nicht. „Den könnte nur eine epidemiologische Studie erbringen, für die man über Jahre hinweg systematisch Daten erhebt“, sagt Bäumler. Nur: So etwas will bislang niemand finanzieren. „Ich habe nichts gegen Tattoos und bin kein Wanderprediger“, sagt Bäumler. Womöglich sei die winzige Menge der Partikel im Körper ja auch völlig ungefährlich. Vielleicht steige das Krebsrisiko aber auch „so an, als würde man jeden Tag eine Zigarette rauchen“. Nur wissenschaftliche Daten könnten hier Klarheit bringen. „Im Moment stochern wir alle im Nebel.“