Kommentar zum Rauchen Rauchen: Die Zigarette liegt in den letzten Zügen

Berlin - Vielleicht ist es das leise Knistern, das das Herunterbrennen des Papiers verursacht, noch ehe der Rauch vollständig in die Mundhöhle aufgenommen ist. Der Moment, in dem man eine Zigarette wie ein zu Beobachtungszwecken entzündetes Objekt betrachtet, entfaltet sich für den Raucher zum Augenblick des Triumphes.
Der weiche Tabakstift liegt leicht zwischen den Fingern, beinahe schwerelos signalisiert er langsam vergehende Zeit. Bald darauf löst der beißende Druck des Rauchs auf der Lunge einen schrillen Alarm im Gehirn aus, der einen Sekundenbruchteil später bereits widerrufen wird, wenn sich das beklemmende Empfinden in ein wohliges Gefühl verwandelt. Nichts, so hat es den Anschein, vermag dieses Erleben zu stören.
Aber damit könnte es bald vorbei sein, die Zigarette liegt in den letzten Zügen. So jedenfalls kann man die Überlegungen des Tabakkonzerns Philipp Morris deuten, der sich künftig vollständig auf die Produktion von E-Zigaretten zu verlegen beabsichtigt. Verbrannt wird hier nichts mehr. Noch gravierender dürfte in der Welt, in der man raucht, die Ankündigung der Hersteller der Kultmarke Gauloises aufgefasst worden sein, seine Zigaretten nicht mehr in Frankreich zu produzieren. Diese Nachricht vermag selbst Nichtraucher anzurühren, war die hellblaue Schachtel mit den Filterlosen doch eine Art heimliches nationales Symbol der Franzosen, gleich nach dem Baguette.
Mit der Zigarette verschwindet eine ganze Welt
Natürlich hatte sich in den zurückliegenden Jahrzehnten auch die Marke Gauloises modernisiert. Die immer noch recht kräftigen Gauloises blond (in dunkelblauer und roter Packung) sprachen nun auch weibliche Verbraucherinnen an. Die klassische Packung Gauloises aber war ein Männerprodukt, was zum Rauchen für alle, die auf den herben Charme der symbolischen Selbstschädigung setzten.
Es ist eine ganze Welt, die mit der Zigarette verschwindet. Mehr als andere Handlungen und Ausdrucksformen gehört das Rauchen zur sozialen Praxis, und der Umgang damit erzählt Geschichten vom gesellschaftlichen Tun und Lassen. Das Wissen über die gesundheitlichen Folgen dieser lässigen Form des Zeitdiebstahls gehörte seit jeher dazu. Rauchend wie nichtrauchend verhält man sich zu seiner Umwelt und gestaltet das eigene Ich. Wie immer man auch dazu stehen mag: Rauchen ist bedeutsam, es stellte lange ein herausragendes Merkmal unserer kulturellen Prägung dar.
Das schlechte Gewissen hat immer mitgeraucht
Zwar galten Raucher seit jeher als personifizierter Ausdruck schlechter Gewohnheiten, und es gibt kaum einen, der dies nicht eingeräumt hätte. Das schlechte Gewissen hat immer mitgeraucht. Wie hätte es auch anders sein können? Rauchen trägt zum gesellschaftlichen Gelingen nichts bei. Aber man hatte sich doch daran gewöhnt, dass es vorkommt. Mehr noch: Weil es als schlechte Gewohnheit grassiert, bekräftigt es die Existenz und die Notwendigkeit der guten.
Das schlechte Beispiel, das die Raucher weder aufgeben wollen noch können, stabilisiert den Kanon der Tugenden. Im Raucher manifestieren sich die täglich sich vollziehenden Kämpfe des einzelnen, ein besserer Mensch zu werden. Die Gesellschaft der Nichtraucher hat lange Zeit milde auf ihn geblickt, weil sie ihre unentdeckten Kämpfe in seinen gut aufgehoben wusste. Nichtraucher genossen, wenn man so will, am Leiden des Rauchers ihre Co-Abhängigkeit. Das gesellschaftlich anerkannte Laster hat nicht zuletzt auch eine Stellvertreterfunktion. Es schützt vor den schlimmeren unbenannten.
Seit längerem auf dem Rückzug
Der Abschied von der Zigarette kommt nicht überraschend. Als soziale Praxis ist das Rauchen bereits seit längerem auf dem Rückzug. Die gesundheitspolitische Vernunft und das wachsende Bedürfnis, den schlechten Geruch hinter sich zu lassen, gingen dabei stabile Bündnisse ein. Aber es vollzog sich nicht ohne soziale Triumphe für den Raucher. Wenn er raus musste auf den Balkon oder vor die Tür, fanden sich immer auch welche, die aus Gründen der Geselligkeit mitgingen. Die Tugendhaften blieben nicht selten beschämt am Tisch zurück. Das Ausmerzen einer gesellschaftlichen Sucht vollzieht sich nicht ohne soziale Verluste.
Der Kulturhistoriker Wolfgang Schivelbusch geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass jede Droge ihre Zeit hat. „Die Vorgänge, die die Genussmittel im menschlichen Organismus bewirken, vollenden sozusagen chemisch, was geistig, kulturell und politisch schon vorher angelegt war.“ Wenn das Rauchen jetzt aus der Öffentlichkeit verbannt wird und selbst die sie herstellende Industrie auf andere Optionen setzt, besagt das nur, als dass die gesellschaftlichen Folgekosten höher eingeschätzt werden als der Nutzen. Das, was das Rauchen bewirkt haben mag, können andere Substanzen heute besser. Was bleibt, sind die Kämpfe der einzelnen, es wieder loszuwerden.