Teil 19: Impfen und Schwangerschaft Impfen und Schwangerschaft: Rechtzeitig über Schutz für Mutter und Baby nachdenken

Halle (Saale) - Die Gynäkologin Dörte Meisel lässt sich von jeder Patientin, die sie behandelt, nicht nur den Regelkalender, sondern auch den Impfausweis zeigen. „So habe ich die Möglichkeit, gerade bei Frauen mit Kinderwunsch schon im Vorfeld den Impfstatus auf Vollständigkeit zu überprüfen und gegebenenfalls fehlende Impfungen nachzuholen“, sagt die Ärztin, die auch Landesvorsitzende des Berufsverbandes der Frauenärzte ist.
Vielen jungen Frauen sei gar nicht bewusst, wie wichtig das Impfen im Falle einer Schwangerschaft sowohl für die werdende Mutter als auch für das ungeborene Kind ist, fügt sie hinzu. Krankheiten seien dann nämlich sehr gefährlich.
An erster Stelle nennt Meisel die Röteln. „Es gibt eine Rötelnviruserkrankung, die im Mutterleib auf das Kind übertragen wird“, erklärt sie. Das führe zu schlimmen Schäden bei den Kindern. „Sie sind sehgeschädigt, viele sogar blind. Sie haben oft Herzfehler und sind geistig behindert“, fügt die Gynäkologin hinzu.
Dagegen kann mit einer zweimaligen Impfung mit dem Dreifachimpfstoff gegen Mumps, Masern und Röteln vorgebeugt werden. Eigentlich schon in der frühen Kindheit. Dennoch fehle dieser Schutz bei vielen jungen Frauen entweder ganz oder er sei unvollständig, sagt Meisel.
Das müsse unbedingt vor der Schwangerschaft geändert werden. Denn während der Schwangerschaft könne dieser Impfstoff nicht verabreicht werden. Der Grund: Es handelt sich um einen Lebendimpfstoff. Das heißt, er besteht aus abgeschwächten lebenden Viren, die zwar nicht mehr krank machen, aber das Immunsystem aktivieren. „Da dieses bei Schwangeren geschwächt ist, könnte eine Impfung für Mutter und Kind gefährlich werden“, erklärt Meisel.
Und sie weist vor diesem Hintergrund darauf hin, dass das Paar nach einer entsprechenden Nachholimpfung einen Monat mit der Erfüllung des Kinderwunsches warten muss. „Da sollte sicher verhütet werden.“ Zwar sei bisher keine embryonale Rötelnerkrankung durch eine Impfung bekanntgeworden. „Aber kein Arzt wird dieses Risiko eingehen“, betont sie.
Übrigens wird bei Schwangeren der Rötelnschutz genau überprüft. Das ist so in der Mutterschutzrichtlinie festgelegt. Möglicherweise genügt dafür ein Blick in den Impfausweis. Wenn dort aber nicht zwei entsprechende Impfungen dokumentiert sind, wird untersucht, ob das Blut der werdenden Mutter in ausreichender Zahl Antikörper gegen Röteln aufweist.
Möglicherweise bange Wochen für die Schwangere
Und wenn das nicht der Fall ist? „Dann heißt es Zittern bis zur 20. Schwangerschaftswoche“, sagt Meisel. Bis zu diesem Zeitpunkt sei der Embryo besonders gefährdet. Und mindestens bis zu diesem Zeitpunkt müsse die zukünftige Mutter, die engmaschig kontrolliert wird, ganz besonders auf sich achtgeben.
Wichtig sei es, dass dann auch ihre Familie einen sicheren Schutz habe - um die Schwangere nicht anzustecken. Für Kindergärtnerinnen, Lehrerinnen oder Beschäftigte in medizinischen Berufen sei das sogar der Grund für ein absolutes Beschäftigungsverbot.
Ähnliches gilt übrigens für Windpocken. „Auch sie sind in der Schwangerschaft mit schwersten Schäden für das Kind verbunden“, sagt die Medizinerin. Und auch hier bezahlt die Kasse eine Blutabnahme, bei der festgestellt werden kann, ob ein entsprechender Schutz vorhanden ist.
Für genauso wichtig hält Meisel für Schwangere die Grippeschutzimpfung. Erstens weil ihre Abwehr geschwächt sei. Und zweitens weil sie - wie auch bei den vorher genannten Impfungen - Antikörper an das Kind weitergeben, das davon in den ersten Lebenswochen profitiere. Nestschutz wird das genannt. „Gegen Grippe kann eine Frau sogar während der Schwangerschaft geimpft werden“, unterstreicht Meisel. Aus Vorsicht geschehe das aber erst nach dem dritten Monat.
Und es gibt noch eine Impfung, die die Gynäkologin Frauen mit Kinderwunsch dringend ans Herz legt: Das ist die gegen Keuchhusten, die ab der 32. Schwangerschaftswoche nachgeholt werden könne.
Hier gebe es nämlich keinen Nestschutz. Das Neugeborene könne von den Antikörpern der Mutter nicht profitieren. Deshalb sei es auf den sogenannten Riegelungsschutz angewiesen. Das heißt, alle, die sich in der Umgebung des Kindes aufhalten, sollten geimpft sein, um das Kind nicht anzustecken. Also auch der Vater, die Babysitter, Oma und Opa...
Die Ständige Impfkommission empfehle übrigens, die nächst fällige Tetanusimpfung mit der gegen Keuchhusten zu kombinieren. Zu einem vollständigen Impfschutz für Schwangere gehört für die Frauenärztin auch die Immunisierung gegen Hepatis B, eine Erkrankung der Leber, die durch Blut- oder Sexualkontakte übertragen wird.
Übrigens, bei Dörte Meisel werden auch die zukünftigen Väter nach ihrem Impfausweis gefragt. Und wenn der Lücken aufweist, dann schließt sie die. Frauenärzte dürften in Sachsen-Anhalt auch Männer impfen. „Die sind sehr willig und sehr tapfer, wenn sie sich impfen lassen“, sagt sie mit einem Augenzwinkern.
„Der Impfschutz“, so konstatiert Meisel, „wird immer lückenhafter.“ Sie erzählt von einem Vortrag, den sie vor etwa zehn Jahren gehört hat. Damals habe der Referent gesagt, dass nur 40 Prozent der Frauen einen vollständigen Impfschutz aufweisen könnten.
Sie habe das nicht geglaubt und dann in ihrer Praxis Strichlisten geführt. „Es ist so“, sagt sie. Viele wüssten nicht einmal, wo ihr Impfausweis liege. Die Ärztin sieht auch einen Grund dafür. „Seitdem wir impfen, haben die Krankheiten ihren Schrecken verloren“, sagt sie.
Kaum jemand wisse noch, was Diphtherie ist. Diese eitrige Halsentzündung sei früher Würgeengel der Kinder genannt worden, weil sie daran fast erstickt sind. Heute gebe es sie hierzulande gar nicht mehr.
„Auf den Impfschutz zu verzichten, das ist so, als wenn sie heute ein Auto ohne Airbag kaufen würden“, sagt Meisel. Auf die Idee käme kein Mensch. „Und eine Krankheit, die verhindert werden kann nicht zu verhindern, das ist schon schizophren.“ „Dabei“, so betont die Gynäkologin, „ist Impfen die natürlichste Sache der Welt.“
Eigentlich sei schon die Geburt eine Impfung. Denn das Kind komme aus der Fruchtblase, also einer hochsterilen Umgebung, durch die Scheide der Mutter auf die Welt. Dort treffe es auf Bakterien, auf Pilze... „Aber dadurch wird das Immunsystem des Kindes in Gang gesetzt. Impfen“, so unterstreicht sie, „ist etwas, was wir Mutter Natur abgeschaut haben.“ (mz)