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Hungern als Machtmittel Hungern als Machtmittel: Ess-Störungen bei erwachsenen Frauen

Von Sandra Hoffmann 09.07.2003, 09:17
Betroffen sind nicht nur Mädchen - auch erwachsene Frauen reagieren auf seelische Probleme oft mit zwanghaftem Essverhalten. (Foto: DAK/Wigger/dpa/gms)
Betroffen sind nicht nur Mädchen - auch erwachsene Frauen reagieren auf seelische Probleme oft mit zwanghaftem Essverhalten. (Foto: DAK/Wigger/dpa/gms) DAK/Wigger

München/Berlin/dpa. - Jede Kalorie wird gezählt, jedes abgenommene Gramm als persönlicher Sieg und jede Gewichtszunahme als Niederlage angesehen: Wurden Ess-Störungen bislang meist als eine für Mädchen und jungen Frauen typische Krankheit wahrgenommen, sind mittlerweile auch zunehmend Frauen jenseits der 30 betroffen. Die Methoden im Kampf gegen vermeintliches Übergewicht sind die gleichen wie im jugendlichen Alter. Unterschiedlich sind jedoch die Auslöser.

«Beziehungsprobleme, eine Trennung, Gewalt in der Ehe oder auch die Anti-Aging-Welle - nicht altern dürfen und auch nicht altern können», zählt Marlene Höffner, Leiterin der Caritas-Fachambulanz für Ess-Störungen in München, als mögliche Ursachen auf. Dazu kommt der Zwang, auch im fortgeschrittenen Alter stets fit und gesund zu wirken, wie die Autorin Kathrin Seyfahrt in ihrem Buch «Der Traum von der jungen Figur. Ess-Störungen in der Lebensmitte» (Kösel-Verlag, ISBN 3-466-30637-X, 14,95 Euro) schreibt. Der Schönheitswahn kann laut Seyfahrt, die viele Jahre lang selber an Magersucht litt, jedoch nicht allein verantwortlich gemacht werden. Die betroffenen Frauen seien oft auf einer schwierigen Suche nach der eigenen Identität.

«Das Schönheitsideal spielt in diesem Alter nicht mehr so die Rolle», sagt auch Katharina Vogel, Psychologin und Soziologin und in der Beratungsstelle «Dick und dünn» in Berlin tätig. Die Beratungsstelle bietet ein spezielles Gruppenangebot für Frauen an, die älter sind als 35 Jahre - und verzeichnet eine steigende Nachfrage. «Allerdings ist das Krankheitsbild heute auch bekannter als noch vor 15 Jahren», so Vogel, die eine Veränderung der Lebensumstände als wichtigsten Auslöser für eine Ess-Störung in dieser Lebensphase hält.

Dass Frauen von krankhaften Ess-Störungen wesentlich stärker betroffen sind als Männer, liegt nach Einschätzung von Marlene Höffner zu einem großen Teil an mangelndem Selbstbewusstsein: «Es existiert ein hoher gesellschaftlicher Druck, einem bestimmten attraktiven Frauentyp zu entsprechen.»

«Magersucht ist etwas, das ziemlich offensichtlich ist», sagt Beate Ebert, Sozialpädagogin und Beraterin bei der Beratungsstelle «Waage» in Hamburg. «Erst bekommt die Frau dafür Komplimente und Lob, aber irgendwann schlägt es dann um.» Die betroffenen Frauen halte das aber nicht davon ab, mit ihren Abmagerungskuren weiterzumachen. «Das Gewicht kontrollieren zu können wird als ganz große Freiheit, als große Macht erlebt», beobachtet Ebert. Tatsächlich aber sei es ein Signal für große Machtlosigkeit im sonstigen Leben.

Den Betroffenen zu helfen ist trotz der speziell bei Magersucht vergleichsweise leicht zu erkennenden Anzeichen schwer - nicht zuletzt, weil viele Frauen ihre Erkrankung abstreiten. «Angehörige sollten immer wieder die eigene Position vertreten, zum Beispiel sagen: "Für mich bist du nicht zu dick!"», empfiehlt Marlene Höffner. Als sinnvoll habe es sich auch erwiesen, wenn Angehörige sich in Beratungsstellen darüber informieren, was sie tun können.

Nutzlos ist es nach Angaben der Expertinnen dagegen, eine essgestörte Frau mit Druck zu einer Beratungsstelle oder in eine Therapie zu schicken. «Wer geschickt wird, ist nicht bereit», so die Erfahrung von Beate Ebert. Trotzdem sollten Verwandte und Freunde nicht stumm abwarten oder sich abwehren lassen. Viele Essgestörte gerieten auf Dauer in eine soziale Isolation - umso wichtiger sei es, als Freundin jederzeit da zu sein.

Informationen: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) in Köln hat auf ihrer Homepage eine Liste mit Hilfseinrichtungen für Ess-Gestörte und ihr Umfeld zusammengestellt.