Dänische Gemütlichkeit Dänische Gemütlichkeit: Warum wir gerade jetzt mehr "Hygge" brauchen
Die Dänen gelten diverser Studien zufolge als das glücklichste Volk der Welt. So steht es zum Beispiel im World Happiness Report der Vereinten Nationen: Die Deutschen landen im weltweiten Glücksvergleich dagegen nur auf Platz 16.
Wie machen die Dänen das? Am immer guten Wetter und den vielen Sonnenstunden im hohen Norden kann es schließlich nicht liegen. Das dänische Geheimnis laut verschiedener kürzlich erschienener Ratgeber: Hygge. Bitte, was?
Diese Szene könnte das Phänomen erklären: Draußen peitscht ein Sturm gegen die Fensterscheiben, auf dem Tisch brennt eine Kerze, daneben dampft eine Kanne Tee. Ein paar Bücher und Zeitschriften liegen herum, auf dem Sofa fläzen sich die besten Freunde oder die versammelte Familie. Das Besondere: Es ist nicht Sonntagnachmittag, sondern Montag, fünf Uhr.
Absolute Gemütlichkeit zelebrieren
Hinter Hygge steckt eine Lebensphilosophie, die die absolute Gemütlichkeit zelebriert, auch oder gerade im Alltag und nicht nur an ausgewählten Sonn- und Feiertagen, wenn alle beruflichen Projekte erledigt, die ganze Wäsche gebügelt und die Steuererklärung gemacht ist.
„Die Definitionen reichen von einer 'Kunst der Innigkeit' über die 'Gemütlichkeit der Seele' und 'Abwesenheit jeglicher Störfaktoren' bis hin zu 'Freude an der Gegenwart beruhigender Dinge'“, schreibt der dänische Glücksforscher Meik Wiking in seinem kürzlich erschienen Buch „Hygge. Ein Lebensgefühl, das einfach glücklich macht“. Klingt zu esoterisch? Das Konzept drehe sich nicht um Dinge, sondern um Erlebnisse und Atmosphäre, stellt Wiking klar: „Es geht darum, mit unseren Lieben zusammen zu sein. Uns zu Hause zu fühlen. Um das Gefühl, in Sicherheit zu sein, abgeschirmt von der Welt, an einem Ort, wo wir nicht wachsam sein müssen.“
Hygge-Hype: Rückzug ins Private
Kein Wunder, dass der Hype um Hygge derzeit auch andere europäische Länder erreicht. Wenn die Welt da draußen besonders unsicher und anstrengend erscheint, ist der Rückzug ins Private schließlich besonders attraktiv. Das Wort 'hygge' stammt laut Wiking ursprünglich aus dem Norwegischen und bedeutet 'Wohlbefinden'. Aber wieso ist es in der skandinavischen Kultur so fest verankert? Und was genau macht dieses Lebensgefühl aus? Wikings Eckpunkte im Überblick:
Zu Hause
Vielleicht ist dieser Hype des Sich-Gemütlich-Zusammensetzens nur in einem skandinavischen Land möglich, wo es draußen häufig kalt und unwirtlich ist. So war es für die Menschen in Skandinavien immer wichtiger, ihr zu Hause heimelig zu gestalten. Das Heim der Dänen ist sozusagen ihr „Hygge-Hauptquartier“, der Nukleus der Glückseligkeit. Das soziale Leben spiele sich im Gegensatz zu anderen Ländern nicht so sehr in Bars, Restaurants und Cafés ab, sondern viel öfter zu Hause, schreibt Wiking. Sieben von zehn Dänen erleben demnach am meisten Hygge, wenn sie zu Hause sind. Und auch Wiking räumt ein: „Ja, die Dänen lieben Design, und wenn man eine dänische Wohnung betritt, kommt man sich manchmal vor wie in einer Zeitschrift für Inneneinrichtung.“ Und wahrscheinlich ist es auch kein Zufall, dass eine Möbelkette wie Ikea aus Skandinavien stammt.
Gemeinschaft
Gemeinschaft sei nicht nur ein wesentlicher Bestandteil von Hygge sondern auch ein Schlüsselelement des Glücks, erklärt Wiking. „Der wichtigste Glücksindikator sind unsere sozialen Beziehungen“, so der CEO des Kopenhagener Instituts für Glücksforschung. Die Dänen haben diesen essenziellen Teil des Glücks voll und ganz verinnerlicht. Sie setzen einfach andere Prioritäten als Deutsche: „Es gibt Leute, die beschreiben dänische Arbeitsplätze mit Hilfe der Anfangsszene von Familie Feuerstein: Wenn es fünf Uhr schlägt, sind die Leute weg, bevor man Yabadabadu sagen kann. Leute mit Kindern machen in der Regel um vier Uhr Schluss, der Rest um fünf. Alle gehen nach Hause und machen sich an die Zubereitung des Abendessens.“
Wie sehr das Konzept der Dänen überzeugt, beschreibt Cathy Strongman im Guardian, nachdem sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter von London nach Kopenhagen gezogen ist: „Wenn man am Wochenende arbeitet, halten einen die Dänen für verrückt. Sie sind der Ansicht, Familien brauchen am Ende des Tages Zeit, um zusammen zu spielen und zu essen. Am Ende jedes Tages. Und es funktioniert.“
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Warmes Licht
Essenzieller Bestandteil des Hygge-Konzepts: Warmes Licht. Ohne Kerzen sei Hygge nicht denkbar, schreibt Wiking. So zünden 28 Prozent der Dänen jeden Tag eine Kerze an. In Deutschland dürfte das nur an den Adventswochenenden üblich sein. Jeder Däne verbraucht dagegen etwa sechs Kilo Kerzenwachs pro Jahr. Damit sind sie nach Angaben europäischen Verbandes der Kerzenhersteller Spitzenreiter. Dieses warme und heimelige Licht, das Kerzen erzeugen, wollen Dänen möglichst durch ihre Zimmerlampen erzeugen. Neonröhren sind ihnen demnach ein Graus. „Die Besessenheit, was das Thema Licht angeht, hat wohl damit zu tun, dass die Dänen von Oktober bis März nicht besonders viel damit in Berührung kommen“, räumt Autor Wiking ein.
Deftiges Essen , Kaffee und Kuchen
Wer ein vollwertiges Hygge-Gefühl erzeugen will, sollte alle gesunden Lebensmittel außen vor lassen. In der guten Hygge-Stube gibt es Kaffee, Kuchen, Sahnetorte und etliche Süßigkeiten. Die Dänen essen doppelt so viele Süßigkeiten (8,2 Kilogramm pro Kopf pro Jahr) wie der Durchschnittseuropäer (4,2 Kilogramm pro Kopf pro Jahr). Außerdem mögen sie deftiges Essen, Fleischgerichte und Eintöpfe „Tatsächlich steht der hohe Verbrauch von Fleisch, Süßigkeiten und Kaffee in direkter Verbindung zu Hygge, eine Art, nett zu sich selbst zu sein, sich selbst zu verwöhnen und sich – und anderen – eine Pause von all den Anforderungen des gesunden Lebensstils zu gönnen“, schreibt Wiking. „Süßigkeiten sind hygge. Kuchen ist hygge. Kaffee oder heiße Schokolade sind hygge. Karottenstäbchen nicht wirklich.“
Der lässige Zwiebellook
Ein Hygge-Gefühl ist nicht möglich, wenn man friert, stellt Wiking klar. Deshalb setzten die Dänen auf den Zwiebellook: „Der Schlüssel, vier Jahreszeiten an einem einzigen Tag zu überstehen“. Außerdem ein unvermeidliches Hygge-Accessoire: der Schal. „Die Dänen lieben Schals so sehr, dass die Serie Borgen in England den Spitznamen „Scarf Watch“ bekam. Auch hyggelig: ein weites Obenrum.
Wer jetzt glaubt, es würde reichen, ein paar Ikea-Teelichter anzuzünden und mal ein Viertelstunde nicht aufs Handy zu schauen, liegt allerdings falsch. Die Gemütlichkeit sollte nicht nur übergezogen werden wie ein Norweger-Pulli – man sollte sie auch fühlen.