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Teil 32: Crystal Crystal Meth: So gefährlich ist die Droge bei Schwangerschaften für Mutter und Kind

Von Bärbel Böttcher 22.08.2016, 10:30
Dr. Sven Seeger (links) und Dr. Klaus Oettel beraten über die Betreuung  von Babys, die einen schweren Start ins Leben hatten.
Dr. Sven Seeger (links) und Dr. Klaus Oettel beraten über die Betreuung  von Babys, die einen schweren Start ins Leben hatten. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Es war eine dramatische Entbindung. Dr. Sven Seeger, Chefarzt für den Bereich Geburtshilfe der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle, erinnert sich noch Monate später an den Tag, an dem es im Kreißsaal um Minuten ging.

Eine junge Frau wurde mit starken Wehen in der Klinik aufgenommen. Die Ärzte, die die werdende Mutter bis dahin nie gesehen hatten, stellten fest, dass die Herzfrequenz des Kindes schlecht ist. „Wir mussten von akutem Sauerstoffmangel ausgehen“, sagt Seeger. Eine Ultraschall-Untersuchung bestätigte: Teile des Mutterkuchens, der für die Versorgung des Ungeborenen zuständig ist, hatten sich vorzeitig gelöst.

Not-Kaiserschnitt nach Ultraschall

„Daraufhin“, so der Arzt, „haben wir einen Not-Kaiserschnitt vorgenommen.“ Gerade noch rechtzeitig. „Zehn Minuten später, und das Kind wäre mit einem schweren Schaden, verursacht durch Sauerstoffmangel, auf die Welt gekommen“, fügt er hinzu.

Die Mutter verhielt sich nach der Geburt merkwürdig - sie war unruhig, beachtete den Säugling kaum. Später räumte sie ein, was die Ärzte längst vermutet hatten. Sie war Crystal-abhängig. Ihre Mutterschaftsvorsorge hatte die Frau total vernachlässigt. Die letzte ärztliche Konsultation lag Monate zurück.

Zeichen eines klassischen Crystal-Babys

Das alles erklärte nun auch, warum das Kind nach neun Monaten Schwangerschaft viel zu klein und mit einem zu geringen Kopfumfang auf die Welt gekommen war. Das seien typische Zeichen für Crystal-Babys, sagt Seeger.

„Entzugserscheinungen zeigte der Säugling zunächst nicht“, fügt Oberarzt Dr. Klaus Oettel hinzu, der sich in der Klinik schwerpunktmäßig um die medizinische Versorgung Neugeborener kümmert.

Was bei Crystal Meth nicht ungewöhnlich ist, wie der hallesche Suchtmediziner Peter Jeschke, mit dem das Krankenhaus in solchen Fällen eng zusammenarbeitet, ergänzt. „Allerdings ist mehrere Wochen nach der Geburt damit zu rechnen, dass das Kind nervös ist, einen gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus hat, dass Trinkstörungen auftreten, dass es sich nicht altersgerecht entwickelt“, sagt er.

Hohe Dunkelziffer an schwangeren Crystal-Abhängigen

Das Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara ist seit Jahren auf die Schwangerschaftsbetreuung, die Entbindung und die Versorgung Neugeborener von drogenabhängigen Frauen spezialisiert. Doch mit dem Einzug von Crystal hat diese Arbeit eine neue Dimension erreicht.

„Die Zahl der Schwangeren, die ein Problem mit Heroin oder Opiaten haben, die geht zurück“, sagt Seeger. Jetzt haben es die Ärzte eher mit den stimulierenden Substanzen, den Amphetaminen und Methamphetaminen, zu tun. Aber da gebe es eine hohe Dunkelziffer.

„Crystal-abhängige Frauen fallen in der Schwangerschaft nicht auf. Wenn sie es nicht freiwillig zugegeben, merken wir das gar nicht“, betont Seeger. In der Klinik gibt es für den Umgang etwa mit Heroin- oder Opiat-abhängigen Schwangeren ein klar strukturiertes Konzept. 

Durch frühzeitige Drogensubstitution könnten Schwangerschaftskomplikationen und drogenbedingte Erkrankungen des Neugeborenen vermindert werden.

„Unter bestimmten Umständen wird dann auch nach der Geburt mit einer Substitutionsbehandlung des Kindes begonnen, um seine Entzugssymptome zu lindern“, erklärt der Kinderarzt. Aber wegen der hohen Dunkelziffer geht dieses Konzept beim Crystal-Konsum häufig nicht mehr auf. Und es kommt  zu solchen Notsituationen wie eingangs beschrieben.

Wie das Krankenhaus mit Crystal-abhängigen Müttern umgeht

Bei der Patientin habe sich ganz deutlich gezeigt, was das medizinische Problem von Schwangeren ist, die Crystal konsumieren, sagt Seeger. Doch es sei nicht nur die stimulierende Substanz selber, die sich negativ auswirke.

Häufig seien es auch die Begleit-Effekte, die das Ungeborene schädigten: Tanzen bis zum Umfallen auf Partys, keine ausgewogene Ernährung, keine ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit - dafür aber zusätzlich der Konsum von Alkohol und/oder Zigaretten.

Das alles, so der Arzt, führe zu einer Mangelversorgung und Programmierungsstörung in der Schwangerschaft, die sich zeitlebens bemerkbar mache. Zu den Langzeiteffekten gehörten unter anderem Verhaltensstörungen, eine höhere Adipositas- und Diabetes-Rate oder häufigere Herz-Kreislauferkrankungen.

Gesetzliche Grundlage zum Drogen-Screening in Arbeit

Vieles von dem ließe sich zumindest mildern, wenn die Frauen von Anfang an offen mit den Ärzten sprechen würden. Viele tun das erfahrungsgemäß nicht. Sollten angesichts dessen Schwangere, bei denen eine solche Problematik zu vermuten ist, zu einem Drogen-Screening verpflichtet werden? 

„Bisher fehlt dafür eine gesetzliche Grundlage“, sagt Seeger. Doch Suchtmediziner Jeschke, der aktuell an der Ausarbeitung einer bundesweiten Behandlungsleitlinie für Methamphetamin-bezogene Störungen beteiligt ist, stellt in Aussicht, dass Allgemeinärzte, Gynäkologen und Notfallambulanzen stärker für dieses Thema sensibilisiert werden sollen, dass ihnen in Zukunft zumindest die Möglichkeit eingeräumt werden soll, solche Tests durchzuführen, dass sie den Betroffenen zumindest ein derartiges Angebot unterbreiten können.

Von Crystal Meth abhängigen Müttern frühzeitig helfen

Seeger ist da eher skeptisch. Bisher sei in der Mutterschaftsrichtlinie von einem Drogen-Screening keine Rede. Dennoch würde auch er sich wünschen, „dass zum Schutz von Mutter und Kind ein solcher Test zu einer akzeptierten Selbstverständlichkeit wird, dass der Arzt ihn der Frau anbieten muss, so wie den HIV-Test“. Das würde es ihm bei entsprechendem Verdacht auch leichter machen, die Frau darauf anzusprechen.

Doch was passiert, wenn die Frau sich frühzeitig offenbart? Seeger und Oettel stellen zunächst einmal klar: Eine Frau, die illegale Drogen konsumiert, muss nicht die Befürchtung haben, dass ihr aufgrund dessen das Kind vom Jugendamt weggenommen wird. 

„Eine Frau, die sich möglichst frühzeitig ihren Behandlern gegenüber äußert, hat aber die Chance, dass die Schwangerschaft wegen der besonderen Risiken auch besonders intensiv überwacht wird“, sagt Seeger. Es könne etwa ein optimaler Entbindungszeitpunkt bestimmt, einer drohenden Frühgeburt entgegengewirkt oder Komplikationen wie etwa ein Schwangerschaftsbluthochdruck behandelt werden.

Außerdem, so fügt Jeschke hinzu, könne die Schwangere suchtmedizinisch behandelt werden. Zwar seien gerade bei Crystal-Konsum die Möglichkeiten begrenzt. „Es gibt keine Substanzen, die das Verlangen nach der Droge nachweisbar reduzieren“, unterstreicht der Mediziner. Aber die Entzugserscheinungen könnten gelindert werden.

Wenn das Wohl des Kindes in Gefahr ist

Und nicht zuletzt könne eine drogenabhängige Schwangere dann frühzeitig soziale und sozialpädagogische Hilfen in Anspruch nehmen. In der Klinik gibt es das Angebot der „Frühen Hilfen“. Im Rahmen dieses - zum Teil von der Stadt Halle finanzierten - Programmes wird ausgelotet, wie die Frau entlastet werden kann. Hilfen werden ganz individuell auf ihre konkrete Situation zugeschnitten.

„Einen Kontakt zum Jugendamt stellen wir nur mit Zustimmung der Schwangeren her - und nur, um die weitere Nachsorge zu gewährleisten“, unterstreicht Kinderarzt Oettel. „Wir organisieren ein Hilfeangebot, ob das angenommen wird oder nicht, das entscheiden dann andere.“

Manchmal allerdings sei eine Situation so desolat, dass von vornherein klar ist: Dort kann es das Kind nicht gut haben. „Wenn der Verdacht auf Kindswohlgefährdung besteht, dann gehen wir dem zunächst in einer dafür geschaffenen Struktur in der Klinik nach“, erläutert Seeger.

Es gebe Gespräche mit den Eltern, in denen diese sich erklären können. Erst wenn sich der Verdacht erhärte, sei die Klinik vor dem Gesetz verpflichtet, auch gegen den Willen der Eltern externe Stellen, sprich: das Jugendamt, einzuschalten. Aber das seien die wenigsten Fälle.

Einer davon war leider der der jungen Frau, die auf höchst dramatische Weise ihr Kind zur Welt gebracht hat. Sie hat den einwandfrei nachgewiesenen Crystal-Konsum lange Zeit geleugnet. Auch später zeigte sie keinerlei Einsicht. Zudem erwiesen sich die häuslichen und sozialen Umstände für das Neugeborenen als absolut ungeeignet. Den Ärzten blieb nichts weiter übrig als das Jugendamt zu informieren. Das hat das Kind erst einmal in Obhut genommen. (mz)

Dr. Sven Seeger (links) und Dr. Klaus Oettel beraten über die Betreuung  von Babys, die einen schweren Start ins Leben hatten.
Dr. Sven Seeger (links) und Dr. Klaus Oettel beraten über die Betreuung  von Babys, die einen schweren Start ins Leben hatten.
Andreas Stedtler