Ganz ohne Windel? Ganz ohne Windel?: Über diese Erziehungsmethoden wird gestritten
Was ist die beste Ernährung für mein Baby – Brei oder Banane? Und soll ich den schreienden Säugling nachts stundenlang in der Wohnung herumtragen, oder ihn mal eine längere Zeit brüllen lassen? An Kindererziehung scheiden sich oft die Geister. Lesen Sie hier drei höchst umstrittene Ansätze.
1.„Ausscheidungskommunikation“: Windelfreie Sauberkeit
Wann Kinder trocken werden, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. In der Regel fangen Kleinkinder zwischen dem zweiten und dritten Geburtstag an, selbst auf Topf oder Toilette zu gehen. Davor ziehen die meisten Eltern in Deutschland ihren Sprösslingen täglich Windeln an. Wie denn auch sonst, fragen Sie? Es gibt tatsächlich eine Sauberkeits-Methode, die komplett ohne Pampers auskommen soll.
Einem alternativen Erziehungansatz zufolge ist es natürlicher, Babys keine Windeln anzuziehen. Stattdessen werden Kinder in windelfreien Haushalten von Anfang an aufs Töpfchen gesetzt. Die Methode beruht auf der sogenannten „Ausscheidungskommunikation“. Das mag hierzulande vielleicht höchst seltsam klingen, ist in vielen Teilen Asiens, Afrikas und Südamerikas aber gang und gäbe.
Kinder kommunizieren, wenn sie mal müssen
Das ist auch das Argument der Verfechter des Pampers-freien Prinzips – auf der Website des „Projekt Artgerecht“, das unter anderem „windelfrei“-Kurse für interessierte Eltern vermittelt, heißt es: „Babys sind von Geburt an 'dicht' und sie können ihre Blase vollständig entleeren. [...] Sie merken – auch im Schlaf – wann es soweit ist und teilen dies vom ersten Tag an auch mit.“
Kinder würden unter anderem über ihre Mimik und Gestik kommunizieren, wenn sie mal müssten, so die Theorie. Das soll den Eltern Zeit geben, die Kleinen dann über Toilette, Töpfchen, Waschbecken oder Rasen zu halten.
Viele Experten stehen der Methode jedoch skeptisch gegenüber. Verhaltensbiologin Gabriele Haug-Schnabel erklärt in der Süddeutschen Zeitung, dass die Blase eines eineinhalb-Jährigen dem Hirn noch nicht meldet, dass sie voll ist. Außerdem stellt sich die Frage, wie berufstätige Eltern eine solche Herausforderung meistern. Diese verbringen eher selten 24 Stunden am Tag mit ihren Kindern, und es ist vermutlich schwierig, Tagesmutter oder Kita-Erzieherin zu erklären, wie genau das Kind seinen Toiletten-Drang kommuniziert.
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2. „Die Ferber-Methode“: Schlafen lernen
Seit zwei Jahrzehnten lesen Eltern, deren Kinder nachts nicht durchschlafen, das Ratgeber-Buch „Jedes Kind kann schlafen lernen“ von Annette Kast-Zahn und Helmut Morgenroth. Das Prinzip: Wenn Baby (oder Kleinkind) nachts weint, sollen Eltern in immer länger werdenden Abständen nur kurz zum Kind ans Bettchen treten, beruhigen, dann das Zimmer wieder verlassen. Oft bedeutet das, das Kind auch für längere Zeit brüllen zu lassen.
Kinder sollen durch die Methode lernen, selbst wieder einzuschlafen, wenn sie nachts einmal wach werden. Angelerntes Verhalten, wie das Einschlafen nur auf dem Arm der Mutter oder im Kinderwagen, sollen dem Kind so wieder abgewöhnt werden.
Petition gegen Ratgeber-Buch
Dieser Ansatz, meist die „Ferber-Methode“ nach dem Schlafforscher Richard Ferber genannt, spaltet Experten und Elternschaft schon lange. Die einen schwören auf das Prinzip, andere halten es für unmenschlich. 2013 hatte eine Mutter sogar eine Petition gegen das Buch gestartet: „Kinder, die als Baby geferbert wurden [...], können im späteren Leben unter Schlaf- oder Bindungsstörungen, gemindertem Selbstwertgefühl bis hin zu psychosomatischen Erkrankungen leiden“, heißt es auf der Seite der Petition, die dazu auffordert, das Buch vom Markt zu nehmen.
Auch renommierte Experten sehen die Methode kritisch. In der Broschüre „Kinder brauchen uns auch nachts“ von Sybille Lüpold schreibt Schlafforscher Jürgen Zulley: „Viele Babys und Kleinkinder können nicht alleine einschlafen, sie brauchen dazu die Nähe der Eltern – und ich halte es für falsch, ihnen dieses gesunde Bedürfnis abtrainieren zu wollen.“
Anette Kast-Zahn, die Autorin des umstrittenen Buches, erklärt in einem Interview mit der „Welt“, dass es nicht darum geht, Kinder einfach allein zu lassen. Man müsse aber auch sehen, dass Schlafmangel und Schreien des Kindes bei Eltern Aggressionen wecken. Da wäre es besser, Eltern haben einen Plan, wie sie ihre Situation und die des Kindes verbessern können.
Nächte Seite: Fingerfood statt Babybrei
3. „Baby-led Weaning“: Fingerfood statt Babybrei
Nach dem Busen kommt der Brei – so handhaben viele Eltern die Beikosteinführung ihrer Kleinen. Ein aktueller Trend aus den USA behauptet aber: Kinder sollten selbst entscheiden, wann sie anfangen zu essen, und was sie essen.
Anstatt dem Sprössling also mit dem Löffel Möhren- und Fleischbrei zu füttern, soll das Kind beim „Baby-led Weaning“ (zu Deutsch „vom Baby geleitetes Abstillen“, beziehungsweise „vom Baby geführte Zufütterung“) selbst entscheiden, was es isst. Alles, was auf den Tellern von Eltern und Geschwistern liegt, soll Baby auch probieren dürfen – und zwar mit den eigenen Fingern und in eigener Geschwindigkeit.
Experten befürchten Nährstoffmängel
Kinder könnten so ihre motorischen Fähigkeiten verbessern und eine große Vielfalt an Geschmäckern, Farben und Konsistenzen beim Essen erfahren – statt einfach irgendeinen Brei auf dem Löffel serviert zu bekommen. Was zunächst sehr einleuchtend klingt, wird von Ernährungsexperten kritisch hinterfragt. Die Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin schreibt in ihrer „Monatsschrift Kinderheilkunde“, dass „die Selbstfütterung von Beikost mit der Hand in der Regel zu geringen Verzehrmengen an Beikost und insbesondere einer niedrigen Zufuhr an nährstoffreicher Nahrung“ führen würde. Das könnte erhebliche Risiken mit sich bringen. (mar)