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Für uns ist das ganz normal - Muttersprache Esperanto

Von Katharina Kolano 30.04.2008, 12:26

Steinfurt/dpa. - Die Kunstsprache Esperanto, die der Völkerverständigung dienen soll, sprechen in Deutschland rund 2000 Menschen. Nils Klünder hat sie von Geburt an gelernt.

Wenn sich Helmut Klünder mit seinem Sohn Nils unterhält, horchen manche Leute bei den gewechselten Worten verwundert auf: «Kiel estis via tago?» - «Dankon, bone». Doch was sich für viele so fremd anhört, bedeutet lediglich: «Wie war dein Tag?» und «Danke, gut». Die Klünders sprechen in der Plansprache Esperanto. Für den 15-jährigen Gymnasiasten Nils ist das Sprechen in der Kunstsprache selbstverständlich, denn er ist ein «Denaska Esperantisto», jemand der von Geburt an Esperanto sprechen gelernt hat. «Für uns ist das ganz normal», sagt der 59-jährige Helmut Klünder. «Es ist nichts besonderes, weil wir so viele kennen, die auch Esperanto sprechen.»

«Weltweit sprechen rund 100 000 Menschen fließend und regelmäßig Esperanto, davon leben etwa 2000 in Deutschland», sagt Rudolf Fischer, Vorsitzender des Deutschen Esperanto-Bundes (DEB). Die genaue Zahl der Sprecher sei schwierig einzuschätzen, da sich die Leute durch das Internet weniger in Vereinen und festen Gruppen organisieren. «Jedoch gibt es in Deutschland nur zehn bis 15 Familien, in denen zu Hause alle Familienmitglieder Esperanto sprechen», sagt Fischer.

Eine davon ist Familie Klünder, bei der Esperanto schon eine lange Tradition hat. «Alles begann bei meinem Großvater, der 1908 in einem Stenografenverein Esperanto lernte», erinnert sich Klünder. Er habe es dann seiner Tochter Margarete gelehrt, die es wiederum ihrem Sohn Helmut beibrachte. Die 93-jährige Mutter lebt mit im Haus und besuchte erst vor wenigen Wochen noch ein Esperanto-Treffen.

Die Kunstsprache Esperanto wurde Ende des 19. Jahrhunderts von dem polnischen Arzt Ludwig Zamenhof entwickelt, um mit einer leicht erlernbaren «neutralen Sprache» die Verständigung zwischen verschiedenen Volksgruppen erleichtern zu können. Der Wortschatz stammt zu etwa 60 Prozent aus romanischen Sprachen wie Latein, Spanisch oder Italienisch, viele Vokabeln sind auch aus dem Deutschen oder Englischen entlehnt. Während «dankon» vom deutschen «Danke» und «bone» vom französischen «bon» stammt, wurde aus dem Englischen zum Beispiel «jes» für «Ja» übernommen.

Dadurch bietet die Kunstsprache gegenüber der Weltsprache Englisch einige Vorteile, findet Fischer. «Esperanto ist eine gute Grundlage für das Erlernen vieler weiterer Sprachen.» Die Grammatik sei mit nur 16 Grundregeln besonders einfach und der Esperanto-Wortschatz entwickelt sich mit Begriffen wie «komputilo» für Computer auch ständig weiter.

Der Besuch von Sprachtreffen ist neben dem Internet die wichtigste Kontaktform für die weltweite Esperanto-Gemeinde. Auf einer Veranstaltung in Polen lernte Klünder auch seine mittlerweile verstorbene Frau kennen. «Man trifft dort nicht nur viele Bekannte und Freunde, gelegentlich funkt es auch», sagt er. Zu Hause blieb die Kunstsprache Alltag, auch für Nils. Der Schüler liest Comics in Esperanto und hat in der Sprachgemeinschaft viele Bekanntschaften: «Ich habe Freunde in ganz Deutschland und anderen Ländern, zum Beispiel einen guten Freund in England.»

International ist Esperanto, aus der noch weitere Plansprachen wie «Ido» oder «Interlingua» gebildet wurden, jedoch nur mäßig akzeptiert. «Der Wunsch war und ist immer noch da, Esperanto zur Zweitsprache für die ganze Welt zu machen», sagt Fischer. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war Esperanto besonders gefragt: «Die Leute hatten genug vom Krieg, sie hatten ideologische Motive, etwas für den Frieden und die Völkerverständigung tun zu müssen.»

Die interkulturelle Erziehung von klein auf ist für Rudolf Fischer ein wichtiges Motiv, warum Eltern ihren Kindern Esperanto beibringen. «Es zeigt sich weiter, dass die Kinder in der Schule leichter andere Fremdsprachen erlernen, außerdem fühlen sie sich integriert, wenn die Eltern untereinander oder mit Freunden Esperanto sprechen.»

Bei Familie Klünder gibt es oft Besuch von «Esperantisten» aus aller Welt, die auch Aufmerksamkeit von den Nachbarn bekommen: «Die Leute finden es schon interessant, welche Autos aus fremden Ländern bei uns vor der Tür parken», sagt Helmut Klünder. «Vor einiger Zeit kamen Esperanto-Freunde mit dem Pferdewagen aus Frankreich, und wenn so einer vor der Türe steht, da kriegen die Nachbarn naturgemäß wieder große Augen.»

Informationsseite über Esperanto: www.esperanto.de