Alles auf Stopp Fehlgeburt: Wo Frauen Hilfe finden, wenn sie ein Baby verloren haben
Köln - Gerade erst hatte man verstanden, dass ein Leben in einem wächst, sich zaghaft auf das eigene Kind gefreut und angefangen, Pläne zu machen. Und plötzlich steht alles auf Stopp. Zumindest sagt das der Kopf – das Herz kann es meist erst viel später richtig verstehen.
Eine Fehlgeburt ist eine einschneidende Erfahrung. Und jede Frau geht anders damit um. Manche Betroffene können bald nach vorne schauen, andere leiden lange unter dem Verlust. Gerade das ist für ihr Umfeld oft schwer nachzufühlen. Wahrscheinlich weil Fehlgeburten immer wieder passieren. Für die einzelne Mutter aber ist das meist kein Trost.
Wie können Frauen mit einer Fehlgeburt umgehen? Und wo finden Sie angemessene Hilfe? Ein Gespräch mit Gabrielle Stöcker, Frauenärztin und Beraterin bei der Pro Familia in Köln.
Sie betreuen bei Pro Familia Frauen, die eine Fehlgeburt erlebt haben. Welche Unterstützung brauchen Betroffene in dieser Situation? Und welche Hilfsmöglichkeiten gibt es?
Gabrielle Stöcker: Abschieds- und Trauerprozesse laufen ganz unterschiedlich ab. Das ist bei jeder Frau anders. Manchen Klientinnen, die in unsere Beratung kommen, hilft schon ein Gespräch, in dem sie erzählen können, wie es ihnen geht. Andere benötigen mehr Treffen und kommen regelmäßig. Manchmal ist so eine Fehlgeburt auch ein traumatisches Erlebnis und der Auslöser für eine richtige Depression, bei der therapeutische Hilfe benötigt wird. Das muss man ganz individuell gucken.
Selbsthilfegruppe „Hopes Angel“
Projekt „Die Schmetterlingskinder“
Informations- und Gedenkseite „Sternenkinder“
Viele Frauen sind in ihrem familiären und freundschaftlichen Umfeld sehr gut aufgehoben. Andere suchen den Austausch bei Selbsthilfegruppen, ihnen hilft das Wissen, dass sie mit der Situation nicht alleine sind. Es gibt viele Initiativen von Betroffenen im Internet, Beratungstelefone oder Hilfsangebote in Schwangeren-Beratungsstellen. Das Angebot ist riesig. Es müsste aber dringend institutionalisiert werden, damit die Frauen gleich schon nach dem ersten Arztbesuch wissen, welche Betreuungsmöglichkeiten es gibt.
Was sagen Sie einer Frau, die erschüttert zu Ihnen in die Beratung kommt?
Stöcker: Dass es in Ordnung, dass es ihr so geht, wie es ihr geht. Dass es ein Stück weit normal ist und Zeit braucht. Dass es Trauerarbeit ist, die sie leistet.
Das eigene Umfeld tut sich dagegen oft schwer, die richtigen Worte zu finden und angemessen auf eine Fehlgeburt zu reagieren - warum?
Stöcker: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen mit der Situation oft recht allein sind. Was auch daran liegt, dass über Fehlgeburten oft nicht gesprochen wird. Viele wissen, dass in den ersten drei Monaten eine Fehlgeburt passieren kann, deshalb wird das Schwangersein oft geheim gehalten. Es ist auch eine Art Selbstschutz der Frauen.
Bei einer Fehlgeburt kommt es dann zu einer besonderen Situation. Die Paare haben einen Verlust erlebt – das ist ihr Kind gewesen, auch wenn es noch winzig klein war –, das ganze Umfeld aber war noch nicht so richtig in Beziehung zu diesem Kind. Am Anfang gibt es viel Empathie und Mitleid mit dem Paar, aber dann ist es recht schnell wieder vorbei, so nach dem Motto: Jetzt muss es auch gut sein.
Die Frauen haben oft das Gefühl, dass wenig Verständnis dafür da ist, dass sie so traurig sind, obwohl das Kind noch so klein und die Schwangerschaft nach außen noch nicht sichtbar war. Aber für diese Frauen war das ihr Kind. Das muss man immer bedenken.
Mit einer Schwangerschaft sind auch oft ein Lebensentwurf und Pläne verbunden. Ist es auch ein Problem für die Frauen, wieder umzuplanen?
Stöcker: Das ist sicherlich sehr vielschichtig. Gesellschaftlich ist das mit dem Kinderwunsch völlig anders als vor 200 Jahren. Es gibt sichere Verhütungsmethoden, Frauen wollen sich erst beruflich festigen und sagen dann: Jetzt haben wir ein Gefühl von Sicherheit, jetzt möchten wir ein Kind haben. Oft klappt der Kinderwunsch sofort, dann ist alles wie geplant gelaufen. Man fühlt sich sicher.
Wenn aber eine Fehlgeburt passiert, läuft plötzlich gar nichts mehr nach Plan. Die Schwangerschaft war ja auch verknüpft mit Vorstellungen und Erwartungsfreude. Und das ist plötzlich von einem Tag auf den anderen jäh zu Ende. Es ist ein absoluter Kontrollverlust. Und auf einmal macht die Psyche Sachen, die man nicht mehr unter Kontrolle hat. Das muss man erst einmal aushalten. Auch eine Folgeschwangerschaft kann durch Ängste sehr belastet sein.
Warum machen sich so viele Frauen Vorwürfe und suchen die Schuld bei sich selbst?
Stöcker: Hier passiert etwas, dass man sich unheimlich gewünscht und geplant hat – und dann geht es schief. Manchmal habe ich das Gefühl, dass besonders vorbildliche Schwangere am meisten mit sich hadern. Sie fragen sich Dinge wie: Hab ich zu schwer gehoben? War es das Glas Wein, das ich zu viel getrunken habe, als ich noch nichts vom Baby wusste?
Man sucht einen Grund. Menschen können mit Dingen, die ihnen passieren, oft besser umgehen, wenn sie eine Erklärung haben. Wir leben einfach in einem Zeitalter, in dem wir mit Schicksalsschlägen der Natur nur schwer zurecht kommen. Und eine Fehlgeburt ist genau das. Ein nicht unerheblicher Teil an Schwangerschaften (ca. 15 Prozent, Anm.d.Red.) entwickelt sich eben nicht weiter, ohne dass man die Ursache dafür herausfindet. Fakt ist: Keine Frau muss sich für eine Fehlgeburt schämen oder die Schuld bei sich suchen. Sie kann wirklich nichts dafür!
Hilft es den Frauen, zu wissen, dass eine Fehlgeburt in gewisser Weise „normal“ ist?
Stöcker: Es tröstet sie in dem Moment nicht unbedingt. Auch nicht eine Aussage wie: „In ein paar Monaten werden sie wieder schwanger“. Sie haben jetzt erst einmal diesen Verlust zu verarbeiten. Aber es ist für viele Frauen auf längere Sicht doch hilfreich und tröstlich.
Was kann man als Außenstehender tun, um zu unterstützen?
Stöcker: Da sein. Wertschätzen. Die Empfindungen der Frau anerkennen. Auch wenn sie nicht reden möchte. Und auch Verständnis haben, wenn eine Frau Wochen oder Monate später noch trauert. Wenn sie noch nicht bereit ist, es noch einmal zu versuchen oder Angst hat, dass es wieder passiert.
Manche betroffene Frauen haben nach einer Fehlgeburt oft besonders den Eindruck, dass alle um sie herum schwanger sind. Sie halten es dann für sich schwer aus, andere Babys auf den Arm zu nehmen. Als Freund sollte man dann verstehen, dass es nicht persönlich gemeint ist, sondern eben sehr weh tut.
Oft wollen gerade die Männer zunächst für ihre Frau stark sein. Ich finde es aber sehr wichtig, dass auch die Väter einen Ansprechpartner haben – sie haben schließlich auch ihr Kind verloren.
Wenn eine Frau den Verdacht auf eine Fehlgeburt hat, wie sollte sie ganz konkret reagieren?
Stöcker: Hat die Frau das Gefühl, etwas könnte nicht stimmen oder treten Unterbauchschmerzen oder Blutungen auf, sollte sie zum Frauenarzt oder in eine Notfall-Ambulanz gehen.
Was macht der Arzt dort?
Stöcker: Es wird erst einmal im Ultraschall geschaut, wie die Lage ist. Nicht jede Blutung bedeutet gleich eine Fehlgeburt. Manchmal reicht es, wenn eine Frau sich schont, oft wird sie dafür krank geschrieben. Es kann aber auch sein, dass der Arzt feststellt, dass die Schwangerschaft sich nicht weiterentwickelt hat oder keine Herztöne mehr da sind. Manchmal wird das auch unerwartet bei einer regulären Vorsorgeuntersuchung erkannt.
Wenn klar ist, dass das Baby nicht mehr lebt, wie geht es danach weiter?
Stöcker: In bestimmten Fällen kann man der Natur ihren Lauf lassen. Irgendwann wird die Schwangerschaft vom Körper abgestoßen. Das ist ein Prozess, der sich über Tage hinziehen kann und mit krampfartigen Schmerzen und stärkeren Blutungen verbunden ist. Der Arzt erklärt der Frau, was auf sie zukommen kann und begleitet sie dabei. Alle paar Tage werden der Wert des Schwangerschaftshormons getestet und die Gebärmutter, falls notwendig, untersucht.
Also ist eine Fehlgeburt medizinisch gesehen kein Notfall?
Stöcker: Medizinisch in der Regel nicht. Aber für die Frauen ist es immer ein Notfall, eine Krisensituation. Patientinnen kommen in der Regel immer sofort in die Praxis oder Klinik. Sie sind sehr in Sorge. Schließlich befinden sie sich in einem wertvollen Zustand, es geht um ihr Kind.
Wann wird eine Ausschabung gemacht?
Stöcker: Das ist medizinisch nicht immer notwendig, vor allem nicht im sehr frühen Stadium einer Schwangerschaft, wird aber in Deutschland sehr häufig gemacht. Das muss im Einzelfall mit dem Arzt besprochen werden. Manche Frauen können es sich nicht vorstellen, noch Tage lang in diesem Zustand zu bleiben und wollen es schnell hinter sich bringen. Andere möchten lieber warten. Wenn keine Entzündungszeichen vorhanden sind, ist das in Ordnung.
Ab wann wird eine „Geburt“ eingeleitet?
Stöcker: Viele Kliniken leiten jenseits des dritten Schwangerschaftsmonats bereits eine Art Geburt ein. Man gibt Medikamente, um eine Wehentätigkeit anzuregen. Für viele Frauen ist das eine sehr belastende Situation, weil der Prozess lange und schmerzhaft sein kann.
Wir setzen uns bei Pro Familia für eine gute Versorgung der betroffenen Frauen ein. Dies bedeutet auch, dass in solchen Situationen, wie in anderen Ländern durchaus üblich, das dafür zugelassene Medikament Mifepriston zum Einsatz kommt. Es verkürzt und erleichtert den Prozess und vermindert auch in nicht unerheblichem Maße die damit verbundenen Schmerzen. Das ist aber bisher leider nicht in allen Kliniken Standard.
Was passiert mit dem toten Kind?
Bei totgeborenen Kindern über 500 Gramm besteht eine Meldepflicht und ein Bestattungsrecht. Aber auch gestorbene Kinder unter diesem Gewicht können beigesetzt werden. Einige Friedhöfe haben besondere Grabflächen für solche Sternenkinder. Manche Krankenhäuser bietet eine Trauer- und Bestattungsbegleitung an.
Stöcker: Das Bestattungsgesetz ist in Deutschland Ländersache. In allen Bundesländern haben die Eltern ein Bestattungsrecht. In den meisten gibt es eine Bestattungspflicht bei einem Geburtsgewicht über 500 Gramm. Nehmen die Eltern ihr Recht, sofern sie darüber informiert wurden, nicht in Anspruch, so liegt die Bestattungspflicht in einigen Ländern bei der Klinik oder der Einrichtung, in der die Fehlgeburt stattgefunden hat. Dies erfolgt über Sammelbestattungen so genannter Sternenkinder.
Sollte die Frau nach einer Fehlgeburt in die Rückbildung gehen?
Hebammen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen bieten Traumatherapien, Gesprächskreise oder Rückbildungskurse für Frauen nach einer Fehlgeburt an.
Stöcker: Nach einer frühen Fehlgeburt braucht man da sicherlich nichts zu machen. Das leistet die Natur ganz gut. Wenn es wirklich schon eine sehr fortgeschrittene Schwangerschaft war, nach einer Totgeburt zum Beispiel, dann macht es sicherlich Sinn. Das sollten dann aber Angebote sein, wo wirklich nur betroffene Frauen sind. Das kann ein guter Rahmen sein, in dem man sich austauschen kann. Eine Alternative wäre ein individuelles Angebot einer Hebamme zu nutzen, die im Übrigen auch Begleitung nach Tot- und Fehlgeburten anbieten.
Vielen Dank für das Gespräch.