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Wie sich Burnout vermeiden lässt Was uns krank macht

Manchmal ist es einfach zu viel: Permanenter Stress hinterlässt Spuren. Experten erklären, wie Menschen gerade im Job ihre psychische Gesundheit schützen können.

Von Lutz Würbach 09.10.2024, 15:03
Die psychische Belastung berufstätiger Menschen ist laut mehrerer Studien in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen.
Die psychische Belastung berufstätiger Menschen ist laut mehrerer Studien in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen. Foto: DPA

Arbeit kann psychisch krank machen – Familie auch. „Es wird immer dann problematisch, wenn zu viele Reize auf uns einwirken“, sagt Dr. Beatrice Brußig. „Termindruck und Stress, aber auch Mobbing können dafür ausschlaggebend sein“, so die Expertin vom Integrationsfachdienst Halle/Merseburg.

Es gehe ebenso um Unzufriedenheit und das Gefühl, der Situation ausgeliefert zu sein, erklärt Oberarzt Dr. Michael Brütting. Empfundener Kontrollverlust könne psychische Probleme auslösen, sagt der Ärztliche Leiter der Psychiatrischen Institutsambulanz der Klinik und Poliklinik für die Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Martin-Luther-Universität. „Oft spielt darüber hinaus die Angst, zu versagen, eine Rolle“, fügt Brußig hinzu.

Ob der Stress in der Familie auftritt oder im Job, ist der Psyche ziemlich egal. Wichtig ist, dass Betroffene lernen, mit der Situation umzugehen. Im besten Fall sind sie widerstandsfähig genug, um nicht in ein tiefes Loch zu fallen. Oder aber sie finden wieder einen Weg heraus.

Nicht immer perfekt sein

Was kann dabei helfen? „Auf jeden Fall die Einsicht, dass man nicht immer perfekt sein muss“, sagt Brütting. Nach seinen Worten ist es auf jeden Fall von Vorteil, wenn jemand akzeptiert, dass es auch mal ein Ende gibt. Also nicht immer agieren nach dem Motto schneller, besser, mehr. „Dieser ständige Drang nach Maximierung ist ungesund“, sagt der Arzt.

Keine klugen Ratschläge geben

In Zeiten des Arbeitskräftemangels spielt für Unternehmen die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zunehmend eine Rolle. Wenn ein Chef meint, dass einer seiner Mitarbeiter womöglich ein gesundheitliches Problem hat, sollte er ihn in einem vertrauten Gespräch darauf ansprechen. Der Arbeitgeber habe darüber hinaus die Möglichkeit, sich externen Rat zu holen, sagt Doreen Seidel, Teamleiterin Berufliche Rehabilitation und Teilhabe der Agentur für Arbeit Sachsen-Anhalt Süd. Anlaufpunkt sei unter anderem das Integrationsamt.

Wovon die Experten sowohl den Kollegen als auch Vorgesetzten von psychisch angeschlagenen Mitarbeitern abraten: schlaue Ratschläge geben. Die bringen demnach dem Betroffenen gar nichts. Besser sei es, Hilfe anzubieten. „Es kann sich schon gut anfühlen, wenn Betroffene merken, dass sich andere Menschen für sie interessieren“, sagt Brütting. Allerdings sollte niemand sofort Begeisterung für die angebotene Unterstützung erwarten. Manche Menschen brauchen in schwierigen Lebenssituationen auch ein bisschen Zeit, um sich neu zu organisieren.

BEM - was ist das?

Abgesehen von guten Worten der Kollegen kommt in etlichen Fällen das sogenannte Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ins Spiel. Es ist ein gesetzlich vorgeschriebenes Instrument, um Arbeitnehmern nach längerer Krankheit möglichst frühzeitig zurück ins Arbeitsleben zu verhelfen. Kurz gesagt, der Mitarbeiter kehrt in kleinen Schritten zurück an seinen Arbeitsplatz. Das können anfangs zwei Stunden am Tag sein, dann vielleicht vier und so weiter.

Seidel verweist darauf, dass es in diesem BEM-Verfahren auch darum gehen soll, möglichst die Dinge aus dem Weg zu räumen, die den Mitarbeiter in die psychische Krise geführt haben. Da sei einiges denkbar, sagt sie. Das fange bei einer möglichen neuen Organisation der Arbeitsabläufe an und könne bis zur Zuweisung einer anderen Tätigkeit führen. „Wenn sich nichts ändert, fangen die Probleme irgendwann wieder von vorne an“, erklärt die Teamleiterin.

Beim Chef nachfragen

So ein BEM-Verfahren ist also zielgerichtet, aber auch relativ komplex. Brütting empfiehlt Menschen, die sich im Job nur noch gestresst fühlen, schon frühzeitig gegenzusteuern. „Ich habe Angst, meinen Arbeitsplatz zu verlieren? Dann sollte ich meinen Vorgesetzten fragen, ob es tatsächlich einen Grund dafür gibt“, schlägt der Arzt vor. Oder eine Nummer kleiner: „Den Chef fragen, ob er mit meiner Arbeit zufrieden ist.“ Eine positive Reaktion des Vorgesetzten setzt mit Sicherheit das Stresslevel deutlich nach unten.

Die Reißleine ziehen

Nicht jede Krise endet mit Burnout. Dieser Zustand totaler körperlicher, emotionaler und geistiger Erschöpfung ist inzwischen als Krankheit anerkannt. Umso wichtiger ist es, dass es erst gar nicht so weit kommt. Brütting und Brußig raten allen, die überhaupt keine Freude mehr an ihrer Arbeit – oder ihrem Familienleben – haben, quasi die Reißleine zu ziehen. Dazu gehört nach ihren Worten eine ehrliche Bestandsaufnahme: Was tut mir gut? Was brauche ich? Was tut mir nicht gut und brauche ich demzufolge auch nicht?

Dieser Analyse muss dann die Handlung folgen. „Es ist ratsam, dass sich die Betreffenden nach Vertrauenspersonen umschauen“, sagt Brußig. Im Betrieb könnte diesbezüglich zum Beispiel jemand von der Personalvertretung infrage kommen. Manchmal reicht das aber nicht, dann sollte laut dem Mediziner etwa eine Therapie in Betracht gezogen werden. „Sie muss nicht zwangsläufig in einer Klinik stattfinden“, sagt Brütting. Es gebe unter anderem ambulante Angebote. Abgesehen davon sei ebenso eine Reha denkbar.

Nicht einfach aussitzen

„Wichtig ist, dass die betreffenden Menschen lernen, ihre Belastung auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren“, sagt der Arzt. Wenn sich dieser Zustand nicht immer wieder von allein einpegelt, weil etwa die Widerstandfähigkeit dem Stress nicht gewachsen ist, muss etwas passieren. „Nichts machen, macht krank.“

Erster Anlaufpunkt für Menschen, die sich an der Grenze zur totalen psychischen Erschöpfung sehen, ist der Hausarzt. Laut Brußig haben auch etliche Krankenkassen für solche Situationen eigene Anlaufpunkte, wo Versicherte Hilfe bekommen. Fragen lohnt sich. „Es ist wichtig, dass niemand zu lange zu Hause sitzt und nichts tut“, sagt sie. Was über etwa vier Wochen hinausgeht, bezeichnet beispielsweise Brütting als zu lang.

Stillhalten kann natürlich einen triftigen Grund haben. Zum Beispiel die Angst vor der Rückkehr an den Arbeitsplatz nach längerer Krankheit. Was werden die Kollegen sagen? Was erwartet mich am Arbeitsplatz? Werde ich es diesmal schaffen? Solche Gedanken erzeugen neuen Stress – oder eben ein Gefühl der Ohnmacht.

Wer unter solchen Voraussetzungen zurück in seinen Job gehe, brauche dort eine klare Tagesstruktur, sagt Brußig. Und die Tätigkeit müsse den Möglichkeiten des Mitarbeiters entsprechen. Es nütze nicht, mehr von ihm zu verlangen, als er tatsächlich in der Lage ist, zu leisten. „Im anderen Fall erlebt der Mitarbeiter Misserfolg um Misserfolg“, so Brußig. „Dann ist abzusehen, wie es endet.“

Amtshilfe für Arbeitgeber

Der Arbeitgeber muss Veränderungen garantieren können. Dabei bekommt er möglicherweise Unterstützung. Unter bestimmten Voraussetzungen haben Arbeitgeber nämlich die Möglichkeit, in derartigen Situationen beim Integrationsamt einen Ausgleich zu beantragen. Laut Brußig muss hierfür etwa eine Schwerbehinderung beziehungsweise Gleichstellung des Mitarbeiters vorliegen.

Brütting verweist noch auf einen anderen Aspekt: „Auch gesellschaftliche Verhältnisse können Menschen krank machen. Es gibt zurzeit viele Ängste: vor Krieg, vor Armut, den Job zu verlieren, die Wohnung nicht mehr heizen zu können – das belastet. Positive Nachrichten finden kaum Gehör“, erklärt der Arzt. In dieser Situation sollte jeder für sich festlegen, was er an Informationen eigentlich konsumieren will. „Was ist mein gesundes Maß?“ Und da kann es nach seinen Worten durchaus gesund sein, das Smartphone auch mal auszuschalten und wegzulegen – also ein reizfreies Nichtstun.