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Streit um Umgangsrecht der Tochter Mutter: „Ich war über 15 Jahre lang psychischer Gewalt ausgesetzt“

Nach 20 Jahren Beziehung trennt sich eine Mutter von ihrem gewalttätigen Partner. Nun kämpft sie um das Wohl ihrer Tochter in einem zermürbenden Prozess – den sie zu verlieren droht.

Von Helene Kilb 10.02.2025, 11:29
Bei einer Trennung der Eltern ist es schwer, die beste Lösung für das Kind zu finden.
Bei einer Trennung der Eltern ist es schwer, die beste Lösung für das Kind zu finden. (Symbolfoto: dpa)

Wenn Talisa Meier (Name von der Redaktion geändert) an die Zeit mit ihrem heutigen Expartner zurückdenkt, kann sie den permanenten Druck noch immer spüren: „Er stellte alles infrage, was ich tat“, sagt Meier, die aus einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt stammt. „Lob habe ich nie bekommen, nur Kritik. Wenn etwas nicht gut lief, war es meine Schuld.“

In seinen Augen war und tat sie nie genug – mit Folgen: „Mein Selbstwertgefühl ist komplett zerstört“, sagt Meier. Auch die gemeinsame Tochter Emma (Name von der Redaktion geändert), die 2017 zur Welt kam, habe unter ihrem Vater gelitten: „Sie musste artig sein und spuren“, sagt Meier. „Andernfalls galten ihr Strafen wie Liebesentzug, er nahm ihr die Kuscheltiere weg oder rastete aus.“ Und die Mutter sagt weiter: „Ich war über 15 Jahre lang psychischer Gewalt ausgesetzt.“

Trennung vom Vater mit Segen – vorerst

Zweifel an der Beziehung kamen Meier trotzdem erst im Jahr 2021 während einer vierwöchigen Kur. Sie bat ihren Partner, an sich zu arbeiten, besuchte eine Mutter-Kind-Reha. Hier traf sie einen anderen Mann, ein Wendepunkt in ihrem Leben.

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„Er zeigte mir, dass Menschen auch anders sein können, liebevoll und gerecht“, sagt Meier. Sie entschied sich, sich von ihrem Partner zu trennen. „Zu Beginn hat er Späße darüber gemacht und wollte mir weismachen, dass ich ohne ihn das Haus nicht halten und den Kühlschrank füllen könne. Ich hatte Angst, alles zu verlieren.“

Zum Jahresende änderte er seine Meinung und versprach, auszuziehen. Der neuen Liebe gab er zunächst seinen Segen. Doch das änderte sich rasch. In einer Nacht im Januar 2022 soll er gemeinsam mit zwei Bekannten Sturm beim neuen Partner seiner Ex-Frau geklingelt haben. Nach dessen Darstellung malträtierte er ihn 20 Minuten lang mit Axt und Brechstange.

„Ich sollte eingestehen, dass ich schuld bin, dass seine Partnerin sich von ihm abgewendet hat und dafür sorgen, dass sie sich ihm wieder zuwendet“, sagt das Opfer. Meiers neuer Partner stellte Strafanzeige. Im darauffolgenden Strafverfahren verurteilte ein Amtsgericht Meiers Expartner zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Meiers Expartner legte Berufung ein, weshalb nun weiter die Unschuldsvermutung gilt. Meiers neuer Partner brauchte Monate, um körperlich und seelisch wieder auf die Beine zu kommen. Währenddessen informierte sich Talisa Meier beim Jugendamt und suchte eine Rechtsanwältin auf, mit deren Hilfe sie das alleinige Sorgerecht für ihre Tochter erwirken wollte.

„Sie hat vor Angst geweint, sich eingenässt und eingekotet“

Mutter über ihre Tochter

Die Nachricht von ihrem Expartner ließ nicht lange auf sich warten. Er klagte das Umgangsrecht mit seiner Tochter ein, im Herbst 2022 wurde der Fall vor einem Amtsgericht verhandelt. Dieses ordnete an, dass Emma ihren Vater regelmäßig stunden- und sogar tageweise sehen sollte, in Begleitung einer Mitarbeiterin des Paritätischen, die vom Jugendamt beauftragt wurde.

„Die zuständige Mitarbeiterin kannte ich bereits“, erzählt Meier. „Im Vorfeld sagte sie mir: ,Mit Ihnen und Ihrer Tochter funktioniert es ja, nur der Vater muss sich bemühen.’“ Das zeigte auch die Reaktion der damals Fünfjährigen auf bevorstehende Umgänge: „Sie hat vor Angst geweint, sich eingenässt und eingekotet“, sagt ihre Mutter. „Die Mitarbeiterin des Paritätischen will davon aber nichts mitbekommen haben.“

Einzelfall oder strukturelles Problem in der Rechtssprechung?

Meier zog vor das Oberlandesgericht Naumburg. Hier sollte das Mädchen selbst angehört werden. Aus Sicht der Mutter sei die Situation sehr schwierig gewesen. Die Fünfjährige sei nach dem Termin völlig eingeschüchtert gewesen. Meier erzählt, dass sich ihre Tochter übergangen fühlte.

„Ich will da nicht hin“, habe sie ihrer Mutter gesagt, die versuchte zu vermitteln. Es nützte nichts. Gerichtsentscheidungen, die für Betroffene schwer nachvollziehbar sind, Richter, die aus Sicht Beteiligter parteiisch erscheinen, und Mütter, die sich über mangelndes Gehör beschweren – dass das kein Einzelfall ist, davon ist der Soziologe Wolfgang Hammer überzeugt.

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Dagegen sagt Christian Löffler, Vorsitzender des Bundes der Richter und Staatsanwälte in Sachsen-Anhalt: „Bei den [von Hammer] skizzierten Fällen handelt es sich um Ausnahmefälle. Umgangsregelungen auch bei Partnerschaftsgewalt fallen oft mit dem zumeist hoch emotionalen Ende der Beziehung der Kindeseltern zusammen.

Vor allem aber gehört – laut BGB Artikel 1626 – zum Wohl des Kindes nach dem Willen des Gesetzes der Umgang mit beiden Elternteilen.“ Folglich sei es für die Richterschaft besonders herausfordernd, die unterschiedlichen Schilderungen von Geschehnissen und wechselseitigen Vorwürfen der Kindeseltern, insbesondere bei Gewaltvorwürfen, zu differenzieren und zu entscheiden, was für das Wohl des Kindes am besten ist.

Kontaktverbot ist selten

Generell seien Mütter bei umgangs- und sorgerechtlichen Verfahren im Vorteil, sagt Christoph Pietzsch, Anwalt für Familienrecht in der Lutherstadt Wittenberg: „Gerade wenn die Kinder noch klein sind, beobachte ich eine Bevorzugung von Müttern.“ Aufgrund von Gewalterfahrungen einen vollständigen Umgangsausschluss zu erwirken, sei jedoch schwierig, sagt Pietzsch.

„Mütter müssen belegen, dass es sich nicht nur um einen pauschalen Vorwurf handelt, mit dem sie das Verfahren für sich entscheiden wollen“

Christoph Pietzsch, Anwalt für Familienrecht in der Lutherstadt Wittenberg

Erstens ist es nicht einfach, vor Gericht glaubhaft zu machen, dass man Opfer von Gewalt geworden ist. „Mütter müssen belegen, dass es sich nicht nur um einen pauschalen Vorwurf handelt, mit dem sie das Verfahren für sich entscheiden wollen“, so der Anwalt. Zweitens könne sich wohl jeder Täter während der kurzen Verhandlungsdauer zusammennehmen, um einen guten Eindruck beim Gericht zu hinterlassen.

Hinzu kommt: „In der Rechtsprechung gibt es bisher kein breites Verständnis dafür, dass das Miterleben häuslicher Gewalt eine Kindeswohlgefährdung bedeuten kann“, sagt Pietzsch. Und: Wie ein Verfahren ausgeht, werde leider von Personalnot und damit einhergehendem Entscheidungsdruck beeinflusst. „Die erste Anlaufstelle ist meist das Jugendamt, wo Eltern oft wochenlang auf einen Termin warten“, sagt Pietzsch.

Häufig setze das Jugendamt eine Lösung – etwa begleitete Umgänge – fest, ohne auf ein Urteil zu warten: „Dabei wäre es in Fällen von nicht belegter Gewalt oder Missbrauch wünschenswert, die Familiengerichte sehr viel eher einzubinden“, sagt Pietzsch. „Kommen die Vorwürfe erst im Verfahren zur Sprache, reagieren viele Richter zurückhaltend, wollen sich absichern und berufen sich auf den Gesetzestext, in dem eben steht, dass es zum Kindeswohl beide Elternteile braucht.“

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Zumal Richter seiner Erfahrung nach argumentieren, dass das gewählte Modell doch funktioniere: „Dann hört eine Mutter vielleicht: ,Die Trennung ist jetzt ein halbes Jahr her und mit den Umgängen klappt es doch seitdem, dann kann es für das Kind ja nicht so schlimm sein.’“ Insofern sei es ratsam, sich als Gewaltopfer frühzeitig Unterstützung von einem Familienrechtsanwalt zu suchen.

Flucht vor dem Vater als letzte Option

Als das Oberlandesgericht Naumburg weitere Umgänge anordnet, flüchtet Talisa Meier in ein Frauenhaus. Von dort aus sind Mutter und Tochter zu dem neuen Partner in eine Kinder- und Jugendhilfe-Einrichtung gezogen. Der Umzug selbst wurde in diesem Fall nicht infrage gestellt.

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Die Mutter erhielt jedoch die Auflage, das Kind zu den Umgängen mit dem Vater zu bringen und abzuholen – anstatt die Fahrtstrecke zu teilen. Die Mutter verweigert das. „Wir schützen meine Tochter vor den Umgängen“, sagt Meier. „Das tut Emma sehr, sehr gut. Bei mir und meinem neuen Partner hat sie ihren emotionalen Mittelpunkt und blüht total auf.“

Parallel zum laufenden Beschwerdeverfahren hat Meier Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. „Nachdem dieses nicht zur Entscheidung angenommen wurde, habe ich mich an die nächste und letzte Instanz gewendet: den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg“, sagt Meier.

Das Oberlandesgericht habe währenddessen ein Gutachten in Auftrag gegeben – „aber nicht, um die Vater-Kind-Interaktion zu beurteilen“, sagt Meier. „Es geht um die Frage, ob es aufgrund meiner Traumatisierung in Folge der Gewalterfahrungen nicht besser wäre, Emma fremd unterzubringen, etwa in einem Kinderheim.“

Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ berät seit 2013 rund um die Uhr zu allen Formen von Gewalt – neben Partnerschaftsgewalt auch Mobbing, Stalking, Zwangsverheiratung, Vergewaltigung und Menschenhandel. Die Beratung ist kostenlos und anonym. Hilfetelefon: 116 016