Kind und Karriere Mamas sind "Organisationstalente"
Kind oder Karriere? Mitunter lässt sich beides vereinbaren. Zwei freiberufliche Komponistinnen erzählen von ihren Erfahrungen – in Halle und sogar im Bundestag.
Der Start in die Selbstständigkeit gestaltete sich bei Vanessa Donelly wenig glamourös: „Ich habe bei null angefangen“, erzählt die Komponistin. Sie schreibt unter anderem Musik für die Krimiserie Soko Leipzig und hat beim Kongress bei den Filmmusiktagen in Halle von ihren Erfahrungen als Selbstständige und Mutter erzählt.
„Meine Eltern haben eine Baufirma, sodass ich auf der Baustelle groß geworden bin. Als Teenager wusste ich aber, dass die Baubranche nichts für mich ist und dass ich Filmmusik machen will.“ Die Selbstständigkeit war damit programmiert: „Wer Filmmusik macht, arbeitet in aller Regel als Freiberufler“, sagt Donelly. „So war für mich nicht die Frage, ob das mit der Selbstständigkeit klappt – sondern nur, wann.“
Lesen Sie auch das Interview mit Kaja Ebstein im Rahmen der Filmmusiktage in Halle: Katja Ebstein wollte ihren Landsleuten in Westdeutschland zeigen, wie schön die damalige DDR war und radelte fürs Fernsehen quer durchs Land. Frau Ebstein, wollte damals niemand mit Ihnen in den Westen flüchten?
Nach ihrem Musikstudium schrieb sie hunderte Mails an Größen der Filmbranche. „Sieben Jahre lang habe ich Klinken geputzt und versucht, irgendwie in die Branche reinzukommen“, erzählt Donelly. Als im August 2019 ihre Tochter zur Welt kam, plante sie ein Jahr lang auszusetzen. „Drei Monate später kam ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte“ – vom Filmemacher Peter Zeitlinger, der vor allem durch den oscar-nominierten Film „Begegnungen am Ende der Welt“ bekannt wurde.
„Es wird unterschätzt, dass das Mamasein auch Qualitäten mit sich bringt, etwa Orga- nisationstalent und Multitasking- Fähigkeiten.“
Vanessa Donelly
„Das war der Startschuss für meine Karriere“, sagt Donelly. Und gleich doppelt eine Herausforderung: „Um das Projekt zu schaffen, habe ich alles dem Drei-Stunden-Rhythmus meines Babys angepasst. Ich habe alle drei Stunden gestillt, dazwischen ist mein Mann manchmal stundenlang mit unserer Tochter spazieren gegangen.
Wenn wir beide arbeiten mussten, saß ich mit ihr in der Trage wippend auf einem Ball oder habe sie mit einer Hand in einer Federwiege geschaukelt, während ich mit der anderen Musik eingespielt habe.“
Ein Kind ist kein Hindernis
Das Projekt wurde ein Erfolg. Trotzdem blieb Donellys Sorge, dass ihre Tochter ihr als Nachteil ausgelegt werden könnte. So ist der Musikerin eine Szene besonders in Erinnerung geblieben: „Irgendwann nach der Abgabe rief mich Alexander Hemmpel an, der eine Musikagentur in Berlin besitzt. Ich wusste, da muss ich rangehen – war aber gerade beim Stillen.“
Als Hemmpel fragte, was das für ein Geräusch sei, zögerte Donelly. „Ich hatte Angst, dass das mein letzter Film wird, dass er sagt: ,Okay, lass die mal Mama sein, und ich suche mir Leute, die hundertprozentig für die Filmmusik da sind.’ Sie entschied sich trotzdem für die Wahrheit. Zum Glück: „Zu einem späteren Zeitpunkt rief er mich an und sagte: ,Schick mir mal deine Sachen rüber. Denn wer ein solches Projekt mit Kind schafft, schafft alles.’
Mittlerweile ist Hemmpel nicht mehr nur Donellys Agent, sondern auch ihr Krisenhelfer und ein guter Freund. Umso wichtiger findet es Donelly, dass sich das Bild von arbeitenden Müttern in der Gesellschaft ändert: „Es wird unterschätzt, dass das Mamasein auch ganz bestimmte Qualitäten mit sich bringt, etwa Organisationstalent und Multitasking-Fähigkeiten.“
Elternschaft als Chance
Klar benennen, dass man ein Kind hat oder nicht? Diese Frage hat sich auch die Filmkomponistin Anna Kühlein gestellt, die unter anderem für die Filmmusik für den Mehrteiler Ku’Damm ’59 bekannt ist und ebenfalls bei den Filmmusiktagen in Halle spricht. Zusammen mit ihrer Frau und dem einjährigen Sohn lebt Kühlein in Leipzig. „Vor seiner Geburt beschäftigte mich die Frage, ob es von meinen Auftraggebern negativ beurteilt werden könnte, dass ich ein Kind habe“, sagt Kühlein.
„Als er da war und ich es nach und nach kommuniziert habe, habe ich festgestellt, dass die Qualität der Arbeit zählt und nicht, ob man Mutter ist oder nicht.“ Sie stellte fest: Vor allem für die junge Generation der Filmschaffenden ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Selbstverständlichkeit und kein Ausschlusskriterium.
Mutter zu sein, beeinflusst Kühlein auch beruflich. „Wenn ich für Filme arbeite, die mit Familie zu tun haben, kann ich mich durchs Muttersein nochmal besser ins Thema einfühlen“, sagt sie. „Und insgesamt gehe ich jetzt noch mehr nach meinem Bauchgefühl, statt eine Idee manchmal erst ewig zu zerdenken.“
Arbeit und Alltag kombinieren
Was sowohl Anna Kühlein als auch Vanessa Donelly an der Selbstständigkeit besonders schätzen, ist die Flexibilität. „Die Vorstellung, erwachsen zu werden und von morgens bis abends im Büro zu sitzen wie meine Eltern, war schon als Kind für mich ganz schlimm“, sagt Anna Kühlein.
„Wenn ich für Filme arbeite, die mit Familie zu tun haben, kann ich mich durchs Muttersein nochmal besser ins Thema einfühlen“
Anna Kühlein
„Da wusste ich natürlich noch nicht, was Selbstständigkeit ist. Und das Komponieren auf meinem kleinen Keyboard war für mich nur ein Spiel.“ Als mit neun Jahren feststand, dass sie ihre Leidenschaft zum Beruf machen würde, hatte sich ein mögliches Angestelltendasein ohnehin erledigt. „Darum bin ich sehr froh“, sagt Kühlein.
„Kreativität funktioniert nicht auf Knopfdruck. Die Möglichkeit zu haben, dem kreativen Fluss nachgehen zu können, empfinde ich als großes Glück und Bereicherung.“ Entsprechend gut konnte sie sich von Anfang an auf die Bedürfnisse ihres jetzt einjährigen Sohns einstellen.
„Die ersten zwei Monate nach der Geburt habe ich mir komplett freigehalten und dann erst langsam wieder angefangen“, sagt Kühlein. „Dadurch, dass ich von zuhause aus arbeite, verpasse ich nichts von meinem Kind.“
Einzig bei Krankheit wird die Selbstständigkeit zum Nachteil: „Wenn wir alle flachliegen, bin ich ein bisschen neidisch auf Angestellte, die einfach beim Arbeitgeber anrufen und sich dann auskurieren“, sagt Kühlein. Das geht bei ihr nicht unbedingt: „Wenn es bei einem Projekt eine Deadline gibt, hängen andere Menschen mit dran, die für einen Zeitraum geblockt wurden. Deshalb baue ich mittlerweile einen Puffer ein und versuche, Projekte einige Tage vor Abgabe fertigzustellen.“
Mut und Selbstbewusstsein
Auch Donelly richtet sich hauptsächlich nach ihrer Tochter: „Wenn sie im Kindergarten ist, beginnt meine Arbeitszeit. Und wenn ich etwas nicht fertig bekommen habe, warte ich, bis sie schläft“, sagt Donelly. Leicht ist das nicht immer: „Wir hatten wirklich anstrengende Zeiten, etwa als mein Mann nebenbei studiert hat und dann in einem Drei-Schicht-Modell gearbeitet hat.“
Ein Jobwechsel entspannte die Situation. Zudem kümmern sich neben Donellys Mann auch andere Familienmitglieder und ein Au-pair-Mädchen bei Bedarf um die mittlerweile Fünfjährige. Was beiden Komponistinnen hilft, Familie und Arbeit gut zu vereinbaren, ist ein gesundes Selbstbewusstsein.
„Mir ist es in erster Linie wichtig, dass ich meinem Sohn, meiner Frau und mir selbst gerecht werde“, sagt Kühlein. Donelly kennt die Selbstzweifel und den Druck, eine „gute“ Mutter sein zu müssen, schon eher. „Das trifft mich schon, wenn jemand in unserer kleinen Stadt sagt: „Ach, die ist ja schon wieder unterwegs!“
Zuletzt sprach sie im Kulturausschuss des Deutschen Bundestags über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Kunst- und Kulturbranche. „Meine Eltern haben mich dazu erzogen, einfach mein Ding zu machen“, sagt Donelly. Und ihr Mann sage immer: „Du musst dich nicht schlecht fühlen, es läuft doch auch ohne dich alles super hier.“