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Familie Familie: Wenn Kinder für die Eltern haften

22.10.2002, 08:36

Karlsruhe/dpa. - Eltern haften für ihre Kinder - der Grundsatz gilt, solange die noch jung sind. Sind die Kinder aber 40, 50 oder 60 Jahre alt und die Eltern um die 80, dann kehrt sich diese Regel nicht selten um: Wenn die Eltern ins Pflegeheim müssen und Rente oder Vermögen die teilweise enormen Kosten nicht mehr abdecken, dann müssen die Kinder einspringen - sie sind ihren Eltern zum Unterhalt verpflichtet. In einem Grundsatzverfahren prüft der Bundesgerichtshof am kommenden Mittwoch (23.10.), ob diese mitunter erheblichen Belastungen etwas verringert werden können.

   Der Fall zeigt, dass es um viel Geld geht. Die Eltern des Betroffenen, der inzwischen selbst Rentner ist, wurden 1990 in einem Altenheim untergebracht. 1995 waren ihre Ersparnisse aufgebraucht, der Landkreis Mainz-Bingen zahlte Sozialhilfe, bis beide Eltern im Laufe des Jahres 1996 starben. Daraufhin bat das Sozialamt den Sohn zur Kasse: Weil der Anspruch auf Elternunterhalt gesetzlich auf den Staat übergeht, forderte die Behörde fast 43 000 Euro. Das Oberlandesgericht Koblenz gab ihr weitgehend Recht: Der Mann musste sein Vermögen angreifen - womit seine eigene Altersvorsorge schrumpft.

   Der Rückgriff des Sozialamts auf die Kinder ist in diesen Fällen zulässig und üblich. Dennoch ist ungewiss, ob das Urteil in Karlsruhe Bestand haben wird. Zumindest wird das Thema Elternunterhalt in der Fachwelt heftig diskutiert. Der Deutsche Juristentag forderte vor einigen Wochen in Berlin, die Kinder etwas schonender zu behandeln. Denn immerhin zahlen die 40- bis 60-Jährigen ja bereits in die Sozialkassen ein und leisten so einen erheblichen Beitrag zur Generationensolidarität. Außerdem müssen sie für Unterhalt und Ausbildung der eigenen Kinder aufkommen - nicht selten bis weit ins Erwachsenenalter.

   Soziologen sprechen deshalb von der «Sandwich-Generation», die gleichsam eingeklemmt ist zwischen den Ansprüchen von Kindern und Eltern. Verschärft wird das Problem durch die demographische Entwicklung: Die Lebenserwartung hat sich in den letzten 100 Jahren verdoppelt und liegt inzwischen bei etwa 80 (Frauen) beziehungsweise 75 Jahren (Männer). Laut Altenbericht 2002 ist rund ein Fünftel der 80- bis 84-Jährigen pflegebedürftig. Bei den über 90-Jährigen schnellt die Quote auf mehr als die Hälfte.

   Deshalb werden Forderungen laut, die unterhaltspflichtigen Kinder über einen größeren «Selbstbehalt», der vom Einkommen nicht abgeknapst werden darf, oder eine Ausweitung des gegen Regress abgesicherten «Schonvermögens» stärker vor dem Zugriff des Sozialamts zu schützen. Freilich gilt nach der Rechtsprechung des BGH schon jetzt, dass etwa ein Einfamilienhaus nicht versilbert werden muss, um die Heimrechnung der Eltern zu begleichen.

   Mit der vom kommenden Jahr an geltenden Grundsicherung für ältere Menschen wird die Rückgriffsmöglichkeit der Sozialbehörden weiter eingeschränkt. Der frühere Vorsitzende des Deutschen Familiengerichtstags, Siegfried Willutzki, sieht darin eine allgemeine Tendenz: «Solidarität wird vor allem im Bereich der Kernfamilie erwartet - also vorrangig gegenüber den Kindern.»

   Die Sozialhilfeträger sehen angesichts leerer Kassen solche Entwicklungen mit Sorge. Denn aus der Überleitung von Unterhaltsansprüchen für Pflegeleistungen - nicht nur gegen Eltern, sondern etwa auch gegen Ehemänner - sind im vergangenen Jahr insgesamt immerhin rund 40 Millionen Euro in die öffentlichen Kassen geflossen. Werden nun die Angehörigen entlastet, muss die öffentliche Hand hier Einbußen hinnehmen. Eine Heimunterbringung kann leicht 3000 Euro im Monat kosten - da reichen auch Grundsicherung und Pflegeversicherung nicht mehr aus, so dass Sozialhilfe fällig wird.

   Irene Vorholz vom Deutschen Landkreistag sieht in der Entlastung der Angehörigen ein falsches Signal: Man müsse den Beistand innerhalb der Familie fördern und nicht durch staatliche Leistungen ersetzen. Willutzki dagegen ist nicht sicher, ob Solidarität durch Pflichten gefördert wird. Manches spreche dafür, dass man über Freiwilligkeit ebenso viel erreiche.