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Einsame «Ossis» suchen nach anderen Exilanten

Von Christian Deker 25.03.2008, 13:57

Vaihingen/dpa. - Vaihingen ­ Irgendwann war es Donata Kirsch leid, allein unter Schwaben zu sein. «Es stimmt, Kontakte kann man hier sehr schwer knüpfen», schrieb sie in das Gästebuch der Site «Ossitreff Baden-Württemberg». «Nette Mails sind sehr willkommen. Gruß an alle Umsiedler.»

Donata Kirsch war vor fünf Jahren aus dem sächsischen Görlitz nach Illingen bei Vaihingen an der Enz gezogen, um dort als Altenpflegehelferin zu arbeiten. Zurück ließ sie Familie und Freunde - hatte dafür aber endlich wieder einen Job.

Es sei wirklich schwer, einen Bekanntenkreis außerhalb der Arbeit aufzubauen, sagt die 54-jährige Sächsin. «Die Schwaben sind ziemlich eigenbrötlerisch und zugeknöpft, lieber etwas unter sich.» Sie habe durch Zufall vom «Ossitreff» im Internet erfahren und sich gedacht: «Wenn es so viele gibt, denen es auch so geht, dann probiere ich das mal.»

Die Website wurde vor sieben Jahren von Steffen Merten und einem seiner Arbeitskollegen ins Leben gerufen. Merten war damals gerade von Thüringen nach Baden-Württemberg gezogen, und stellte fest, dass es im Ländle etwas anders zugeht. «Hier ist man mehr oder weniger auf sich alleine gestellt», sagt der 43-jährige Busfahrer. Um das zu ändern, suchte er Kontakt zu anderen Ostdeutschen.

Seither veranstalten Merten und seine Mitstreiter jedes Jahr eine Ostrockparty. Im Oktober pilgern einige tausend Exil-«Ossis» nach Untergruppenbach bei Heilbronn und lauschen den Klängen aus der fernen und vergangenen Heimat. «Mittlerweile hat sich das so etabliert, dass die Musik eher zur Nebensache geworden ist und die Leute hauptsächlich kommen, um sich zu treffen», sagt Merten.

Ein weiterer Höhepunkt ist in diesem Jahr der Auftritt der DDR-Kultband «Puhdys». Am 19. April spielen die fünf Rocker in Mühlacker vor rund 1.300 Ossitreff-Fans viele alte und neue Lieder, wahrscheinlich auch ihren Klassiker «Alt wie ein Baum». Donata Kirsch und ihre Freundin Anett Gaumer werden mit dabei sein. «Das ist die Musik meiner Jugend», sagt Anett Gaumer. Es sei witzig, in der Menge zu stehen und die Dialekte zu hören. «Vertraute Töne», sagt sie.

Auch Anett Gaumer kommt ursprünglich aus Görlitz. Allerdings hat sie den Weg in Richtung Südwesten schon 1998 gefunden. Auch sie war lange arbeitslos und zog deshalb mit ihren beiden kleinen Kindern um. Im Kindergarten tat sie sich von Anfang an schwer, Kontakt zu den anderen Eltern aufzubauen.

Beim Grillen gebe es zwar öfters einen Plausch mit den Nachbarn über den Gartenzaun, sagt Donata Kirsch. «Aber keine tieferen Kontakte. Da wird gleich geblockt, wie bei einer unsichtbaren Mauer.» In der DDR sei man auf die Nachbarn angewiesen gewesen, die einem etwas besorgen konnten, sagt Gaumer.

Vor allem die Sprache und der Dialekt seien ein großes Hindernis. Im Büro würde sie viele Sprüche gar nicht verstehen, sagt die 40- jährige Sachbearbeiterin. «Neulich habe ich nachschauen müssen, was es eigentlich mit dem HB-Männchen auf sich hat. Das kannte ich nicht.» So würde man schnell ins Abseits geraten. Außerdem würde man als «Ossi» auf viel Desinteresse stoßen. «Viele Wessis interessiert gar nicht, was auf der anderen Seite der Mauer los war.»

Spätestens, wenn sie Rentnerin ist, will Donata Kirsch zurück in die Heimat. Dann sagt ihr alter Nachbar vielleicht wieder: «Schau mal, die aus dem Westen ist wieder da.»

«Ossitreff Baden-Württemberg»: www.ossitreff-bw.de (dpa)