Deutschlands älteste Tätowierstube ist in Hamburg
Hamburg/dpa. - Hamburg, kurz nach dem Krieg: Die Stadt zerbombt, die Leute kämpfen ums Überleben. Paul Holzhaus erntet nur Kopfschütteln, als er 1946 beim Gewerbeamt der Hansestadt eine Tätowierstube anmeldet. Der Ruch der Unseriösität liegt über der Einrichtung.
Betrunkene Seeleute werden in die Stube geschleppt und zum Tätowieren überredet. Besonders beliebtes Motiv: der Anker. Während die Nadel über die blanken Matrosenkörper stichelt, leeren nebenan Komplizen die Taschen der Seemänner. Geschadet hat es dem Geschäft nicht, seit rund 60 Jahren kreist in Deutschlands ältester Tätowierstube ohne Unterlass die Nadel.
«Nach dem Krieg war Tätowieren durch das Dritte Reich und Hitler verpönt», erzählt der heutige Inhaber, Ernst Günter Götz. Die Tätowierstube füllte aber offensichtlich eine Marktlücke. «Der Kundenstamm nahm schnell zu. Legionäre, britische, amerikanische Soldaten und eben Seemänner verlangten Tattoos», sagt der 54-Jährige. Götz tätowierte zuvor US-Soldaten in Bad Kissingen, die Tätowierstube hat er 1984 «geerbt». «Hier kriegst du bis heute uralte Seemanns-Motive, die gibt's sonst nirgends mehr», sagt ein stämmiger, bärtiger Kunde. «Die ganzen Tribals und Arschgeweihe gab's damals noch nicht.»
Das kleine Geschäft mit den goldverzierten Stuckdecken unweit der Reeperbahn war bis Ende der 60er Jahre der einzige Tätowierladen in Deutschland. 1962 übernahm sie Herbert Hoffmann von Gründer Holzhaus, fragwürdige Geschäftspraktiken gehörten der Vergangenheit an. «Jugendliche unter 18 Jahren und Betrunkene werden nicht behandelt», steht noch heute auf einem Schild im Eingangsbereich. Mit Herbert Hoffmann und seinem Partner Karlmann Richter sowie mit Alfred Cornelissen, der in den 80er Jahren in der Stube aufkreuzte, arbeiteten drei Pioniere der deutschen Tattoo-Szene unter einem Dach. Der heutige Inhaber Götz ging bei ihnen in die Lehre.
Die Tätowierer am Hamburger Berg waren zunächst Exoten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, in der die gestochenen Körperbilder gesellschaftlich tabuisiert und kriminalisiert wurden. Wirkten sie nach außen wie bürgerliche Biedermänner - sie trugen zum Teil weiße Rauschebärte und viereckige Hornbrillen - waren sie darunter von Kopf bis Fuß tätowiert. Kaum ein Zentimeter auf ihrer Haut, der nicht von Palmen und Seejungfrauen, Tigern und Schlangen, Sternen und Herzen bedeckt war.
Über die Drei wurde der Doku-Film «Flammend' Herz» gedreht, der 2004 bei der Berlinale den Preis «Dialogue en Perspective» gewann. Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten war der damalige Tätowierstuben-Besitzer Herbert Hoffmann bereits 84 Jahre alt, seine Kompagnons Richter und Cornelissen hatten 90 Lenze auf dem Buckel. Der überraschte Zuschauer sah hunderte schwarze, blaue, rote und grüne Tattoos, die die längst welken Körper der drei Männer zierten.
Seit zehn Jahren ist der Tätowierladen auch im Handelsregister eingetragen und darf sich offiziell «Älteste Tätowierstube in Deutschland» nennen. Götz hat in jüngster Zeit Überraschendes festgestellt: «Wir sind heute wieder da, wo wir 1968 aufgehört haben.» Old-School-Motive - wie Götz es sagt - sind «in». Sternchen, Herzchen, Schwalben, Schriftzeichen und: Namen, Namen, Namen. «Ich warte täglich darauf, dass jemand kommt, der sich den Namen seines Hundes eintätowieren lassen will.» Auch Götz mit seinem grauen Vollbart und der Brille sieht wie seine Vorgänger recht bürgerlich aus, er könnte auch als Versicherungskaufmann durchgehen.
Fast zeitlos ist im Hamburger Tätowierladen der schwarze «Astra»-Anker auf rotem Herz, stilbildend für das Logo des gleichnamigen Stammbiers der Kiez-Gemeinde. «Der Anker wird immer noch verlangt.» Trotz der Steinwurfnähe zur Reeperbahn schaut eine Berufsgruppe bis heute so gut wie nie in der Stube vorbei. «Leichte Mädchen lassen sich nicht tätowieren», sagt Götz. «Sie wollen in ihrem bürgerlichen Leben abseits der Arbeit nicht durch Tattoos erkannt werden.»