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Dauernd wach Dauernd wach: Das erste Jahr mit Baby - wie mich der Schlafmangel fast verrückt machte

Von Isabell Wohlfarth 02.10.2016, 11:00
Wenn das Baby schreit, immer wieder, auch nachts.
Wenn das Baby schreit, immer wieder, auch nachts. imago stock&people

Schlafmangel ist grausam – und bekanntlich seit Jahrhunderten eine beliebte Foltermethode. Dass Babys Eltern gerne um den Schlaf bringen, ist mindestens seit genauso langer Zeit ein offenes Geheimnis. Doch kaum jemand erzählt einem, wie man sich WIRKLICH fühlt, wenn der Schlafentzug zum Dauerzustand wird. Ich weiß es jetzt, ich habe es gerade ein Jahr lang ausprobiert: Jede Nacht hat mich mein Sohn geweckt, alle ein bis zwei Stunden. Gefühlt habe ich in diesem Jahr gar nicht geschlafen – ein Anti-Dornröschen sozusagen. Und ich frage mich heute, wie ich das eigentlich ausgehalten habe. Und in welches unausstehliche Tier ich mich wohl zwischenzeitlich verwandelt haben muss.

Nachts war ich ein knurrendes Monster

Ich erschrecke immer noch beim Gedanken an manche dunkle Stunde so zwischen 1 Uhr und 5 Uhr morgens, wenn der Schlafentzug mich zu diesem verzweifelt knurrenden Monster mutieren ließ, das theatralisch wie ein trotziges Kind vor sich hin schimpfte. Und das Baby direkt dafür verantwortlich machte: „Das ist doch kein Leben! F***! Das hält man ja nicht aus! Schlaf endlich, du ***!“, höre ich mich noch furios zetern, bevor ich den Kleinen doch zum tausendsten Mal wieder aus dem Bettchen nahm. Während er dann zufrieden trank (manchmal hätte ich schwören können, er hat hämisch dabei gelacht), fühlte ich mich noch immer wie der von Rage getriebene Hulk, auf jeden Fall genauso grün im Gesicht.

Morgens dann das dreifache Grauen. Zum einen der Schock über die eigene Wut, die ich nachts meinem Baby entgegen gebellt habe. Was war ich nur für eine Mama!? Dann das Gefühl der bleiernen Müdigkeit. Gefolgt von der tumben Verzweiflung, wenn um 6.30 Uhr das Rascheln des Schlafsacks auf dem Boden immer näher kam und die große kleine Tochter gut gelaunt zu uns ins Bett gekrochen kam. Bitte nicht vorlesen müssen! Ich stellte mich schlafend. Diesem verdammten Bobo SiebenSCHLÄFER gebe ich gleich eine! Dann direkt die Reue im Herzen: Töchterlein kann ja nichts dafür – vernachlässigen wir sie nicht eh schon genug, seit das Baby da ist?

Oh Gott, eine Nachricht!

Wie durch ein Wunder habe ich doch jeden Morgen meinen schlaffen Körper auf meine wackligen Beine gewuchtet. Und wenn der erste Kaffee drin war, lief es meist ganz gut. Doch dann kamen sie, diese niederen Momente. Wenn die Kleine mir begeistert was erzählen wollte und ich mit offenen Augen von der Flucht ins Schlafzimmer träumte. Wenn eine WhatsApp-Nachricht bei mir blanke Ohnmacht auslöste: Oh Gott, die muss ich AUCH noch beantworten!

Schnell noch im Halbschlaf das Klo geputzt

Es ist doch erstaunlich (und ärgerlich), wie man trotzdem versucht, die „soziale Fassade“ aufrechtzuerhalten. Ich habe also doch noch im Halbschlaf das Klo geputzt, weil nachmittags Besuch kam. Und mir die Wimpern getuscht, bevor ich raus gegangen bin. Was auch nur dazu geführt hat, dass ich als frisch lackierter Totalschaden auf dem Spielplatz herum stapfte. Was für ein unnötiger, absurder Druck. Man will nicht nur weiter funktionieren, sondern es soll auch keiner merken: dass man nach- oder sich gehen lässt.

Zwei Miesepeter im Duell um die freie Zeit

Auch super bei Schlafentzug: Noch eine Person im Umfeld mit Schlafmangel. Mein Mann und ich waren wie zwei vor sich hin dösende, schnoddrige Miesepeter, die ständig versuchten, dem anderen die Schuld zu geben. Doch für was eigentlich? Wahrscheinlich was mit Haushalt, das geht immer. Und dann die große (zum Scheitern verurteilte) Geste, für den anderen da sein zu wollen: Ich halte dir den Rücken frei, Schatz, ich muss nur noch schnell…Zzzzzz. Durch diese Phase durchzukommen, ohne uns gegenseitig zu vernichten, das ging eigentlich nur mit der täglichen Prise Galgenhumor. Wie sagt das Sprichwort so schön: „Nach müd kommt blöd“.

Wie bedingungslos man trotzdem liebt

All das ist erst zwei Monate her – und ich schaue fast schon ironisch auf diese Zeit zurück, als wäre sie eine mit klamaukiger Musik untermalte Zeitraffer-Sequenz aus „Modern Family“. Wie schnell sich alles relativiert. Wie bedingungslos man trotzdem liebt. Inzwischen ist mein Sohn 14 Monate alt, er läuft fröhlich durch die Gegend – und schläft (fast) durch. Ich werde ihm später sicher noch oft erzählen, wie das war nachts, mit ihm und mir. Und ihm dann wohl über die Haare strubbeln und so etwas sagen wie: „Hach, du warst so ein anhängliches Baby – so süß!“