1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Auto
  6. >
  7. Seltsame Ausnahme: Seltsame Ausnahme: Warum man sich in Bus und Bahn nicht anschnallen muss

Seltsame Ausnahme Seltsame Ausnahme: Warum man sich in Bus und Bahn nicht anschnallen muss

29.05.2015, 11:24
Im Auto müssen sich alle anschnallen, in Bussen und Bahnen nicht. Warum eigentlich?
Im Auto müssen sich alle anschnallen, in Bussen und Bahnen nicht. Warum eigentlich? dpa Lizenz

Bei der Vollbremsung eines Busses sind am 26. Mai 2015 in Berlin-Charlottenburg sechs Fahrgäste verletzt worden. Der Busfahrer sagte aus, dass ihm jemand die Vorfahrt genommen habe. Er trat daraufhin so stark auf die Bremse, dass mehrere Fahrgäste das Gleichgewicht verloren und hinfielen. Eine schwer verletzte Frau und vier Leichtverletzte wurden ins Krankenhaus gebracht. Ein Opfer wurde ambulant versorgt.

Wären alle Fahrgäste angeschnallt gewesen, wäre wohl keinem von ihnen etwas passiert. Längst gilt für Autofahrer und ihre Mitfahrer die Anschnallpflicht, wieso also nicht für Fahrgäste in Bussen und Bahnen?

Anschnallen während der Fahrt ist Pflicht

Das Anlegen von Sicherheitsgurten ist in der Staßenverkehrsordnung festgelegt. In Paragraph 21a heißt es, dass Sicherheitsgurte während der Fahrt angelegt sein müssen. Dies gilt jedoch nicht für: „Fahrten in Kraftomnibussen, bei denen die Beförderung stehender Fahrgäste zugelassen ist“ oder „das Betriebspersonal in Kraftomnibussen und das Begleitpersonal von besonders betreuungsbedürftigen Personengruppen während der Dienstleistungen, die ein Verlassen des Sitzplatzes erfordern“ und für „Fahrgäste in Kraftomnibussen mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 t beim kurzzeitigen Verlassen des Sitzplatzes.“

Warum müssen sich Fahrgäste im ÖPNV nicht anschnallen?

In Paragraph 35a Abs. 6 heißt es, dass Kraftomnibusse, die sowohl für den Einsatz im Nahverkehr als auch für stehende Fahrgäste gebaut sind, nicht mit Sicherheitsgurten ausgerüstet werden müssen. „Dies sind Kraftomnibusse ohne besonderen Gepäckraum sowie Kraftomnibusse mit zugelassenen Stehplätzen im Gang und auf einer Fläche, die größer oder gleich der Fläche für zwei Doppelsitze ist.“ Genau dies trifft auf die meisten Busse im ÖPNV zu.

„In den Bussen des Nahverkehr haben wir es mit einem permanenten Fahrgastwechsel zu tun. Wenn die Leute aussteigen wollen, stehen sie nicht erst auf, wenn der Bus steht. Das heißt, die eigentlich gefährlichen Situationen sind das Bremsen und Anfahren“, erklärt Dr. Thomas Hilpert-Janßen vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V. (VDV).

Das Problem: Gäbe es eine Anschnallpflicht in Bussen und Bahnen, würden sich die Ein- und Ausstiegszeiten deutlich verlängern. „Dann könnte man den ÖPNV auch ganz einstellen, es würde viel zu lange dauern“, so der Jurist.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, ob Sie sich im Reisebus anschnallen müssen und wie Sie Kinder sichern müssen.

Müssen sich Passagiere im Reisebus anschnallen?

„Im Unterschied dazu (zu Bussen mit zugelassenen Stehplätzen, Anm. d. Red.) müssen Reisebusse mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t mindestens mit 2-Punkt-Gurten, auf bestimmten Sitzen mit 3-Punkt-Gurten ausgerüstet sein“, erklärt Jost Henning Kärger, stellvertretender Leiter Verkehrsrecht des ADAC.

„Wir haben bei Reisebussen einfach ganz andere Geschwindigkeiten. Diese Fahrzeuge fahren oft über die Autobahn und erreichen über 80 km/h“, so Hilpert-Janßen vom VDV.

Wichtig: Vorgeschriebene Sicherheitsgurte müssen angelegt werden. „Wer der Sicherungspflicht nicht nachkommt, handelt ordnungswidrig. Der Verstoß gegen die Gurtanlegepflicht ist mit einem Verwarnungsgeld von 30 Euro belegt“, so Kärger. Zudem muss der Fahrer eines Busses vor Fahrtantritt die Fahrgäste auf die Pflicht zum Anlegen von Sicherheitsgurten hinweisen. Allerdings droht für das Ignorieren dieser Pflicht kein Bußgeld.

Müssen Kinder in Linienbussen extra gesichert werden?

In Großbussen brauchen Kinder nicht in speziellen Kindersitzen gesichert zu werden. „Es genügt vielmehr das Anlegen der vorhandenen Beckengurte. In Kraftomnibussen, die mit Gurten ausgerüstet sein müssen, dürfen Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr, die kleiner als 150 cm sind, allerdings nur dann mitgenommen werden, wenn Rückhalteeinrichtungen für die Kinder benutzt werden, die amtlich genehmigt und für das Kind geeignet sind“, erklärt der Verkehrsjurist.

Doch wie sieht es mit Babys aus? Gehören die Kleinen in den Kinderwagen oder auf den Schoß? Klar ist: Es gibt keine gesetzliche Regelung. „Es ist eigentlich egal, wo Sie ihr Kind lassen. Wichtig ist, dass Sie es festhalten, entweder auf dem Schoß oder sie lassen es im Kinderwagen und halten diesen gut fest. Das gilt natürlich auch für Fahrräder oder Koffer“, so Jurist Hilpert-Janßen.

In manchen Bussen gibt es bereits spezielle Gurte, um Kinderwagen zu befestigen. Wichtig: „Grundsätzlich sollten die vorhandenen Sicherungsmöglichkeiten im ÖPNV für Kinderwagen auch genutzt werden. Denn ein Verkehrsopfer, dass den Unfall nicht verursacht hat, kann trotzdem ein Mitverschulden treffen, wenn bestimmte Sicherungsmaßnahmen nicht getroffen wurden“, warnt eine Sprecherin des Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.

In Bahnen und Bussen sind die gefährlichsten Situationen das Bremsen und Anfahren.
In Bahnen und Bussen sind die gefährlichsten Situationen das Bremsen und Anfahren.
dpa Lizenz
Für die meisten Fernbusse gelten andere Regeln als für die kleineren Linienbusse im ÖPNV.
Für die meisten Fernbusse gelten andere Regeln als für die kleineren Linienbusse im ÖPNV.
dpa Lizenz
Die großen Linienbusse bieten auch Platz für Kinderwagen – müssen Kinder extra gesichert werden?
Die großen Linienbusse bieten auch Platz für Kinderwagen – müssen Kinder extra gesichert werden?
dpa Lizenz