Bionik Bionik: Frosch-Fuß und Hai-Haut
Rüsselsheim/München/gms. - Derartige Meisterleistungen von der Biologie auf die Technik zuübertragen ist die Aufgabe der Bionik - einer Forschungsdisziplin,die sich quer durch alle Industriezweige derzeit wachsenderBeliebtheit erfreut. Zwar ist dieses Prinzip laut BMW in Münchenschon seit den sechziger Jahren gebräuchlich, und streng genommen hatbereits Leonardo da Vinci seine ersten Flugmaschinen den Skelettenvon Vögeln nachempfunden. Doch erst heute entdecken die Entwickleroffensichtlich, welches Potenzial die Werksspionage im Reich derNatur bietet. Dabei geht es, wie der führende deutsche BionikerProfessor Werner Nachtigall aus Saarbrücken in einem Interview mitder in Hamburg erscheinenden Zeitschrift «AutoForum» erläutert, nichtdarum, die Natur zu kopieren. Vielmehr müssten die Zusammenhängeerkannt und die Lösungen systematisch ausgenutzt werden.
Eines der populärsten Beispiele für den Transfer von der Natur indie Fabrik ist der so genannte Lotus-Blüten-Effekt, mit dem sich dieBlätter der Pflanze gegen Schmutz gewappnet haben. Die Entdeckung derdafür verantwortlichen mikroskopisch kleinen Noppen hat den Forschernviele Preise eingebracht, und der Industrie die Entwicklung stetssauberer Waschbecken und WC-Schüsseln beschert. Derzeit arbeitetunter anderem der Lackhersteller BASF Coatings in Münster nacheigenen Angaben am Auto, das nie mehr durch die Waschstraße muss. Unddie Reifenhersteller haben Pneus parat, deren Seitenwände immersauber bleiben - allerdings ist derzeit die Produktion noch zu teuer.
Gerade die Reifenindustrie hat noch mehr Vorbilder im Tierlebenentdeckt. So schaut man zum Beispiel auf den Gecko, der dank winzigerBorsten an den Zehen senkrechte Wände erklimmen kann und damit jedemReifenprofil weit voraus ist. Auch von den Pfoten einer Katze oderden Füßen eines Frosches haben die Entwickler gelernt. So verdanktder Continental-Winterreifen TS 780 seine optimierte Seitenführungund den kürzeren Bremsweg nach Angaben des Herstellers in Hannoverunter anderem einem sechseckig geschnittenen Profil. Das wurde derHaut an den Zehen eines bei Biologen als tropischem Kletterkünstlerberühmten Baumfrosches aus Südamerika nachempfunden.
Genau so gründlich suchen die Konstrukteure neuer Autos nach Ideenvon Mutter Natur. So hat Opel in Rüsselsheim das Wachstum von Bäumenund Knochen studiert und daraus eine elektronische Simulation fürtragende Teile entwickelt, die man jetzt am Computer nach den Regelnaus der Biologie entstehen lässt. Dabei werden an besondersbeanspruchten Stellen «natürliche» Versteifungen angelegt, währendandere Partien sehr viel schlanker ausfallen, als sie ein Ingenieurgeplant hätte. Ein Ergebnis dieser Methode ist der Motorträger desAstra, der rund 60 Prozent weniger innere Spannungen aufweisen undetwa 25 Prozent weniger wiegen soll als ein konventionelles Bauteil.
BMW in München hat dem Hai besonders gründlich unter die Lupegenommen. Seine Haut ist so gewachsen, dass sie mit ihren Profilenden Reibungswiderstand um bis zu drei Prozent reduziert. Doch selbstwenn die Limousinen aus München irgendwann mit beinahe unsichtbaren«Schuppenfolien» beklebt sein sollten, behält die Natur weiter dieNase vorn. Bei Automobilentwicklern gilt ein Luftwiderstands-Wert(cw-Wert) von 0,3 schon als kleine Situation. Pinguine dagegen kommenbei ihren Unterwassertouren auf einen Strömungswiderstand von 0,015und wären damit - übertragen auf eine Auto-Karosserie - mitwesentlich weniger Motorleistung deutlich schneller unterwegs.