Zum Tod von Thomas Brasch Zum Tod von Thomas Brasch: In den Rissen, fern der Macht

Halle/MZ. - Dass er der Buchbranche zuletzt als Wiedergänger seiner selbst erschien, dass er von seinem Suhrkamp-Lektor als einer, "der eigentlich vergessen ist" benotet wurde,dass Thomas Brasch sich nicht an jene oft ulkigen Literaturbetriebsdampfer gekoppelt hat, die seine Jahrgangskollegen in die Nischen zuverlässig vor sich hin werkelnder Tätigkeiten transportieren - all das gewinnt in keinem Fall die Höhe relevanter Kritik, von Argumentenganz zu schweigen, die das Tagwerk dieses Ausnahmekünstlers hätten berühren können.
Es wird dieser Tage viel die Rede sein von Thomas Braschs Dauerrolle als "Idiot des Hauses",von einem sich selbst im rebellischen Selbstzweckaufzehrenden Außseitertum - und all das wird Unfug sein, ein behaglich-stumpfes Hinwegreden. Denn das, was an Brasch "rebellisch" genannt wird, ist jenes Potenzial, das einem jeden Schriftsteller eignet, meint er es ernst mitdem Spiegeln des eigenen und anderer Menschen Leben.
Unsere Existenz, sagt der Schriftsteller Imre Kertész, ist entweder Demonstration oder Kollaboration - Brasch hat sich stets für Erstes entschieden. Dass der so maßlos Schaffende dabei offenbar weder einen Entschluss nocheinen Entwurf für sein älter werden hatte, wäre die einzige Anfrage, die ihm von außen anzutragen gewesen wäre; es wäre eine Frage gewesen, deren Beantwortung zielgenau in dasHerz seiner existenziell engagierten Literatur geführt hätte.
Kaum ein schonungsloserer, kaum ein schärferdie Lebensdinge anpackender Autor war in seinerGeneration der um 1945 geborenen Ost-West-Autorenanzutreffen. Dabei hat Brasch nicht nur der Kampf umgetrieben, den ein jedes Leben gegen seine eigenen Entwürfe Wünsche liefert, sondern der Streit, den noch die beste Literatur gegen ihre Gegenstände führt.
Als Sohn jüdischer Emigranten in Englandgeboren, siedelte Thomas Brasch mit seinerFamilie 1947 in die Sowjetische Besatzungszoneüber. Der Vater, Horst Brasch, machte in derDDR bis hin zum stellvertretenden KulturministerKarriere, gestoppt durch die Verhaftung desSohnes 19??. NVA-Kadettenschule, Schlosser,Setzer, abgebrochenes Journalisik- und Filmstudium:Der Sohn stritt gegen den Stillstand im Lebenszeit-EinweckglasDDR. Protest gegen den Warschauer Pakt-Einmarschin Prag, gegen die Biermann-Ausbürgerung.Exmatrikulationen, Haftstrafen, Aushilfsjobs,1972 Ausreise in den Westen. Im Gepäck: rund200Gedichte, sechs Theaterstücke und einErzählband, der 1977 unter dem Epoche machendenTitel "Vor den Vätern sterben die Söhne" erschien.Es folgten u. a. die Stücke "Rotter", "DerPapiertiger", "Lovely Rita" und 1980 der Gedichtband"Der schöne 27. September", eines der haltbarstenund schönsten Versbücher der Gegenwart.
Das Gedicht "Hamlet gegen Shakespeare" zeigtBraschs kleistische, angstlos die sogenannten"Abgründe" austastende Poetik: "Das andereWort hinter dem Wort, / Der andere Tod hinterdem Mord. / Das Unvereinbare in ein Gedicht: /Die Ordnung. Und der Riß, der sie zerbricht."In diesen nicht zuverkittenden Rissen hatsich Thomas Brasch bewegt, nicht im Sinneluftiger, Peter Handkescher "Zwischenräume",sondern in der Erfahrung von untiefen Erlebnisbruchstellen."Ich halte dieses Bedürfnis nach Harmonisierungfür schädlich", schrieb Brasch 1981. "Ichhalte das Bedürfnis, sich auf dem kleinstmöglichenNenner zu einigen, für läppisch."
Anfang der 90er Jahre kehrte Thomas Braschzurück von West- nach Ostberlin, bezog eineWohnung am Schiffbauerdamm, Ecke BerlinerEnsemble. Zehn Jahre arbeitete er am Projekt"Mädchenmörder Brunke", 14Manuskriptbändemit 13600 Seiten, die Suhrkamp auf knapp100 Seiten zusammenschnurren ließ. "Als mirmein Ableben beendet schien, erhob ich michund begab mich auf den Weg zum Bahnhof ZoologischerGarten", spricht der Ich-Erzähler. Brunke?Brasch? Am Sonnabend starb Thomas Brasch 56-jährigin Berlin - elf Jahre nach seinem Vater, vierMonate nach seinem Bruder, dem SchriftstellerPeter Brasch.