Wolf Biermann im Interview Wolf Biermann im Interview: Liedermacher spricht über seine Liebe zu Halle

Berlin - Die Schauspieler Manfred Krug und Ekkehard Schall, die Brecht-Geliebte Ruth Berlau und der Dissident Robert Havemann: Sie alle gehören zu den Menschen, an die Wolf Biermann (82) in seinem Buch „Barbara“ (Ullstein, 288 S., 20 Euro - Hier bei Amazon kaufen) erinnert, das am Freitag erscheint. Mit dem Liedermacher, der 1976 aus der DDR ausgebürgert wurde und heute in Hamburg lebt, sprach unser Redakteur Christian Eger.
Herr Biermann, Sie fuhren in Ostberlin vor dem Mauerbau einen nagelneuen westdeutschen VW Käfer. Wer konnte sich so etwas leisten?
Wolf Biermann: Der Sohn des ermordeten Juden und Kommunisten Dagobert Biermann. Meine Mutter in Hamburg bekam für den Mord an meinem Vater als „Wiedergutmachung“ fünftausend Mark überwiesen. Und was machte sie? Sie kaufte ihrem Sohn einen VW Käfer für 4 995 Mark.
War so ein Auto ein Ereignis in Ostberlin?
Das ist stark untertrieben. Das war in etwa so, als wenn heute einer mit einem Maserati oder Ferrari durch die Straßen kachelt.
Hat das Auto mit Ihnen die DDR verlassen?
Nein, der Käfer blieb in der DDR. Als ich ausgebürgert wurde, fuhr ich inzwischen einen Wartburg, der aber auch in der DDR blieb.
In ihrem neuen Buch taucht der Käfer zweimal auf, einmal als Liebesnest auf Rädern, in dem die Titelfigur Barbara zum Zuge kommt. Was ist das Thema Ihrer Prosa?
Das sind Geschichten, die man in der Literatur seit Boccaccio eine Novelle nennt, und nach Definition des Meisters Goethe eine „unerhörte Begebenheit“ erzählen. Eine irritierende Story mit einer verrückten, unerwarteten Pointe.
Sie zeigen auch das proletarisch-kleinbürgerliche Milieu im 60er Jahre-Osten: einen besoffenen SS-Mann, die glücklos liebende Monika, den politisch draufgängerischen Kohlen-Otto. Alles dunkle Schicksale. Waren die 1960er Jahre besonders harte Jahre?
Ach, das weiß ich nicht. Die Jahre, in denen man gerade wirklich lebt, sind immer die härtesten. Und am schlimmsten sind die Jahre in denen man schlapp macht und sich nicht wehrt. Menschen gehen nicht hauptsächlich an den Schlägen zugrunde, die sie einstecken müssen, sondern an denen, die sie nicht austeilen können!
Das von Ihnen geschilderte Ostberliner Kultur-Milieu erscheint daneben als völlig losgelöst. Bildete diese Künstlerszene eine Blase in der DDR-Gesellschaft?
Die Kulturschaffenden, wie es im Jargon der DDR hieß, lebten natürlich immer in einer Blase - das ist in jeder Gesellschaft ähnlich. Mehr als die Hälfte meiner Figuren leben nicht in diesem Milieu. Nicht der Kohlen-Otto. Und nicht die Krankenschwester, die von der Stasi erpresst wird, als Hure in Westberlin zu arbeiten, und mit mir im Bett liegt. Das waren Leute, die mit Künstlern kaum in Kontakt kamen.
Aber mit Ihnen?
Ich machte nur einmal im Jahr eine Fete in der Chaussee-Straße 131, wenn ich Geburtstag hatte, am 15. November. Da kamen viele Freunde, der Krug, natürlich Havemann, Heym, Rolf Ludwig oder Jurek Becker. Aber eben auch meine Kunstspringer-Kumpel Pophal und Nixe. In meiner Wohnung, sie hatte zwei große Zimmer, eine Küche, ein Bad ohne Badewanne, trafen sich ungefähr 80 Leute. Also ein bisschen zu viel. Und das Interessante war: Alles Menschen, die im normalen DDR-Leben einander kaum getroffen hätten.
Sie haben immer so gelebt?
Ja, auch im Westen, bis heute. Ich habe etwa wie ein Buddha sechs soziale Arme. Ich kann weit nach oben und nach unten greifen, und habe immer Freunde gehabt, die wunderbar verschieden sind.
Die 60er DDR-Jahre haben heute ästhetisch Konjunktur.
Warum?
Die Defa-Filme werden neu gesehen. Das Möbel-Design ist gesucht. Krug ist Kult.
Ach, was! Das höre ich gerne!
Gab es für die Ost-Künstler Ihrer Generation in kultureller Hinsicht so etwas wie „beste Jahre“ der DDR?
Ich habe darüber noch nie nachgedacht. Na ja, doch. Die Jahre, als der Glatzkopf mit der Schuhsohle in New York…
Chruschtschow…
.. ja, als der die sogenannte Entstalinisierung anfing, 1956 mit seiner Geheimrede über die Verbrechen Stalins. In der Sowjetunion wurde versucht, so eine Art Demokratisierung, die wir auch Liberalisierung nannten, zu etablieren. Natürlich zum Missvergnügen unserer DDR-Obrigkeit. Aus Ulbrichts Perspektive waren das Verräter, Konterrevolutionäre. Durch diese Nichtübereinstimmung mit dem großen Bruder in Moskau entstand in der DDR eine Wackelpudding-Situation, in der die Künstler ein bisschen frecher werden konnten.
Bis zum Elften Plenum 1965. Dann war Schluss.
Ja, genau. Das war das Kahlschlagplenum. Das hieß, dass all diese zarten Pflanzen der Demokratie, der Liberalisierung, zertreten wurden.
Erst die Autobiografie, jetzt die Prosa, kommen als nächstes Ihre Tagebücher?
Nein. Das ist sehr viel Material. Das muss erst mal geborgen werden.
Wie führen Sie Tagebuch?
(holt ein Büchlein aus der Jackentasche) Das ist mein Tagebuch, da schreibe ich rein, was mich interessiert. (Blättert auf) Da sind auch Texte reingeklebt, paar Noten, Gedichtfetzen, manchmal ein Bild oder ein Dokument oder ein Brief.
Eines Tages wird das veröffentlicht.
Darüber denke ich nicht nach.
Herr Biermann, einmal mehr schauen Sie in Ihrem Buch auf Ihre halleschen Wurzeln. Warum lässt Sie das nicht los?
Halle an der Saale ist für mich fast so wichtig wie Hamburg. Aus einem sentimentalen Grund: Ich bin ja auch mit dem „dreckschen“ sachsen-anhaltinischen Sächsisch aufgewachsen. Es kam aus dem Munde meiner Oma Meume, die in Halle an der Saale im Waisenhaus in den Franckeschen Stiftungen gequält wurde, muss man schon sagen. Sie war, im wirklichen Sinne des Wortes, meine Großmutter. Meine große Mutter. Während meine kleine, richtige Mutter - Emma - im Grunde gar nicht meine Mutter war, sondern mein Vater.
Nach all Ihren Meume-Liedern und Halle-Erinnerungen: Wäre es Zeit für eine Oma-Meume-Straße oder einen Oma-Meume-Winkel in Halle?
Prima Idee. Immerhin kämpften Oma Meume und ihre Kinder im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Ich würde sofort an die Saale kommen und meine beiden Meume-Lieder singen, eine Ballade und eine Moritat. Meine Oma erzählte mir immer wieder neue und verrückte Geschichten aus ihrer Jugend in Halle. Ja doch, ich habe eine innige Beziehung zu dieser Stadt. (mz)