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Volker Braun Volker Braun: In der schimmernden Rüstung der Worte

Von CHRISTIAN EGER 06.05.2009, 17:28

HALLE/MZ. - Heiterer Ernst: Das ist eine Eigenschaft von Volker Brauns gelungensten Gedichten, die auch einen Wesenszug ihres Autors bezeichnet. Der Ernst, das ist die möglichst genaue Darstellung und Durchdringung des Erlebten: Die Katastrophe zum Beispiel, die das Lähmende verliert, wenn sie in ihren Ursachen begriffen ist. Die Heiterkeit, das ist eine Haltung, die zugleich eine Methode ist: die Dinge im Fluss zu halten, im Spiel, das ein Medium der Freiheit ist.

Es ist eine kunstvolle, kluge, keinesfalls nur gescheite Poesie, die Volker Braun liefert seit seinem 1965er Debüt mit dem Gedichtband "Provokation für mich". Sinnfällige Bedeutungslyrik, die große politische Dichtung war und bleibt, im Gestus lakonisch und halbstark, durchdrungen von versteckten Zitaten, vorangetrieben durch eine starke Vitalität. Leben ins Leben zu bringen, darum geht es Braun immer auch. Sein Thema: die gelingende Gesellschaft, der gelungene Staat, der sich durch eine möglichst breite und freie Teilhabe aller auszeichnet. Seine Medien: die mitteldeutsche Landschaft, die sächsische und preußische Geschichte, der Einzelne, der sich in diesem Gelände zu behaupten hat.

Brüder, keine Lemuren

Den gelungenen Staat hat Volker Braun, der heute vor 70 Jahren in Dresden geboren wurde, in der DDR nicht gefunden. Ein Staat, auf dessen Herausforderungen er sich voll eingelassen und an dem er sich abgearbeitet hat bis zum Schluss. Als sozusagen angestellter Anarch, der von sich selbst im 1987er Gedicht "Das Lehen" schrieb: "Und eß ich mit satt, wie ihr, an der Silage. / Und werde nicht froh in meiner Chefetage / Die Bleibe, die ich suche, ist kein Staat. / Mit zehn Geboten und mit Eisendraht: / Sähe ich Brüder und keine Lemuren. / Wie komm ich durch den Winter der Strukturen." Gefühlt, dauert dieser Winter bis in die Gegenwart fort, die den Dichter, Dramatiker und Erzähler Volker Braun nicht mehr als angestellten, sondern als freigesetzten Anarchen erlebt. Einer, der im Gedicht "Schreiben im Schredder" den Genossen von einst erklärte: "... ich schäme mich / Mit Schweinen gekämpft zu haben / Die ich für meine Gegner hielt, meine Genossen / Gegen die ich antrat ein treuer Verräter / In der schimmernden Rüstung der Worte".

Das Gegenstück zum "Lehen" stellte Braun 1990 mit dem großen Gedicht "Das Eigentum" her, das endet: "Was ich nicht lebte, / werd ich ewig missen. / Die Hoffnung lag im Weg wie eine Falle. / Mein Eigentum, jetzt habt ihrs auf der Kralle. / Wann sag ich wieder mein und meine alle." Gesellschaftsdichtung also, immer in anregender gedanklicher und sprachlicher Verdichtung, auch nachzulesen in der erweiterten Neuausgabe von "Der Stoff zum Leben 1-4", die Gedichte aus über 30 Jahren bietet.

Steinzeit der Direktiven

Ein Gang durch die Steinzeit der Pläne und Direktiven ist das, in der der Philosoph und Wahlberliner Braun als Drucker, Maschinist und Dramaturg diente. Begriffen auch als ein um zehn Jahre jüngerer Gegenspieler des westdeutschen Kollegen Hans Magnus Enzensberger, der sich längst auf vor allem feuilletontaugliche und privatistische Themen zurückgezogen hat. Es ist ein Güteausweis von Volker Brauns Kunst, dass er als Dichter ohne Schule blieb. Großartig und altmeisterhaft souverän seine geschichtsphilosophischen Tafeln in Lyrik und Prosa, eine Fundgrube sein Materialband "Wir befinden uns soweit wohl. Wir sind erst einmal am Ende" (1998), weithin unterschätzt sein jüngstes Buch "Machwerk oder das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer": der Selbstversuch eines Proleten in einer Welt "nach der Arbeit". Für den Herbst ist Brauns "Werktagebuch" angekündigt: das Arbeitsjournal 1977 bis 1987 des Büchnerpreisträgers (2000), der Deutschlands einziger politischer Dichter ist.