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Ulrich Mühe Ulrich Mühe: Der Vorhang fällt nicht

Von Christian Eger 25.07.2008, 18:30
Der Schauspieler Ulrich Mühe und seine Frau Susanne Lothar posieren am 12. Mai 2006 in Berlin auf dem Roten Teppich zur 56. Verleihung des Deutschen Filmpreises. (Foto: ddp)
Der Schauspieler Ulrich Mühe und seine Frau Susanne Lothar posieren am 12. Mai 2006 in Berlin auf dem Roten Teppich zur 56. Verleihung des Deutschen Filmpreises. (Foto: ddp) ddp

Halle/MZ. - Bretter, die die Welt umkreisen - mit dieser Einstellung beginnt der Film. Die Drehbühne des Deutschen Theaters in Berlin, aufgenommen aus der Vogelperspektive. Wie ein Plattenteller zischt die Bühne ab, schneller und schneller, eine hölzerne, von hunderttausenden Bühnenschritten blankgewischte Fläche, in deren Mitte sich eine merkwürdige Installation um sich selbst dreht: zwei Bildschirme, Rücken an Rücken, an den Seiten zusammengehalten von je einer Lebendmaske des Schauspielers Ulrich Mühe.

Plötzlich ist der Schauspieler selbst zu sehen. Dunkler Anzug, das Gesicht weiß geschminkt. Mühe spricht Hamlet, Shakespeares Text in der Übertragung von Heiner Müller: "Jetzt bin ich allein", stößt Mühe hervor. "O welch ein Lump und Bauernknecht bin ich! / Ist nicht unglaublich, dass der Mime hier / Bei bloßer Dichtung, Traum von Leidenschaft / So seine Seele zwingt in eine Rolle / Dass seine Arbeit sein Gesicht entfärbt / In seinen Augen Tränen, verstört sein Blick / Gebrochne Stimme, und seine Haltung ganz / Zu seiner Rolle passend und alles um nichts..."

Das ist ein maßgeschneiderter Auftakt für einen maßgeschneiderten Film, den Christoph Rüter über Ulrich Mühe drehte, der nach einer Krebserkrankung am 22. Juli vor einem Jahr gestorben ist, 54 Jahre alt. Am Samstagabend sendet 3sat den Streifen als Erstausstrahlung unter dem Hamlet-Titel "Jetzt bin ich allein". Eine etwas effektheischende Zeile, denn noch in seiner Abwesenheit erscheint der Schauspieler Ulrich Mühe gegenwärtiger als viele seiner lebendigen Kollegen.

Nicht allein in der intelligenten ZDF-Serie "Der letzte Zeuge", die läuft und läuft, nicht allein in den zahlreichen, großen Fernseh- und Kinofilmen, die Mühe hinterließ, oder in der Nachwirkung des Oscar-Erfolges "Das Leben der anderen", nicht allein in der Verstörung, die die juristische Konfrontation in Sachen behaupteter Stasi-Zuarbeit zwischen Ulrich Mühe und seiner zeitweiligen, 2006 gestorbenen Lebensgefährtin Jenny Gröllmann in die ostdeutsche Gesellschaft trug. Aber alles das zusammengenommen, bildet doch ein Reservoir an Wirkung, über das hierzulande nur wenige Schauspieler verfügen.

Nicht zuletzt den Ursachen dieser Wirkung versucht Rüter nachzugehen, der Mühe aus den 1989er Proben zu Heiner Müllers "Hamlet" kannte, die er seinerzeit dokumentierte. Eine Vielzahl von Kollegen, zumeist aus dem Regiefach, bittet Rüter auf die Bretter des Deutschen Theaters, wo Mühe - 1982 von Heiner Müller aus Karl-Marx-Stadt geholt - bis 1993 seine größten Bühnenerfolge erleben sollte. Doch interessanter als das, was der Schauspieler Thomas Thieme ("Mühe war ein zarter Mensch, sprach leise, am liebsten gar nicht"), der Regisseur Thomas Langhoff ("ein Schauspieler-Artist") oder der Dramatiker Heiner Müller ("Schauspieler sind entweder Kopf oder Bauch, Mühe war beides") zusammentragen, ist das, was Mühes weibliche Kolleginnen sagen. Und das, was die Spurensuche an Mühes Herkunftsort Grimma zeigt.

Die großartige Dagmar Manzel lobt Mühes "klaren Ton", seine schauspielerische Intelligenz. Ein guter Schauspieler, sagt sie, sei einer, von dem man meint, dem habe ein Engel ins Gesicht gespuckt. Und wie die Manzel spricht, sich zeigt, ist die Zuneigung zu dem Kollegen ganz offenkundig. Genauso wie bei der wunderbaren Gesine Cukrowski, in "Der letzte Zeuge" die Kollegin des von Mühe gespielten Gerichtsmediziners Kolmaar. "Er war nie Diva, nie Star", sagt Cukrowski über den Kollegen, in den sie sich vor Jahren verguckte, als sie ausgerechnet mit einem vielversprechenden Date-Partner einen Abend im Kino verbrachte: Bernhard Wickis "Das Spinnennetz" lief mit Ulrich Mühe in einer Hauptrolle; der Mann neben Gesine Cukrowski war an diesem Abend abgemeldet.

Ulrich Mühes Bruder Andreas, Kürschner wie Mühes Vater, ist das einzige Mitglied der näheren Familie, das vor der Kamera spricht. Andreas Mühe führt durch Grimma, zeigt das Haus ihrer gemeinsamen Kindheit, das Kürschnergeschäft der Familie, deren Name in großen roten Jahrhundertwende-Lettern über dem Eingang steht. Dass das Schauspielerische in der Familie lag, ist von Mühes Tante Sigrid zu erfahren. Nie habe Ulrich Mühe in der Schule Theater spielen wollen, aber sobald Fasching war, schlug seine Stunde.

Das ist ja dann auch etwas Mühe-Typisches: das Artistische, scharf Komödiantische, wie auf Knopfdruck Ekstatische, ein Mann im Körperhöchsteinsatz von Lessings "Philotas" 1988 am Deutschen Theater bis hin zum Familienvater in Uwe Timms "Rennschwein Rudi Rüssel" 1995. Dass Ulrich Mühe, wie Rüter behauptet, "der" Schauspieler des wiedervereinigten Deutschlands sei, ist dann doch etwas übertrieben. Vielmehr ist er der Schauspieler der Wende, die den in der DDR fachentsprechend privilegierten Künstler auf vorderen, offiziösen Plätzen sah. Jedenfalls gibt es bei Mühe ein Künstlerleben vor und nach 1989, die sich so recht nicht verbinden wollten, aber er war auf dem Weg dorthin.

Selbstverständlich wird die Sache Mühe gegen Gröllmann kurz ins Bild gesetzt. Hier griffen Menschen Menschen an, wo eigentlich ein perfides System hätte erhellt werden müssen, das die Betroffenen bis heute nicht aus seinen Zwängen entlässt. Als Außenstehender sollte man in dieser Sache einfach die Klappe halten, statt dessen zeugen sich lautstark Dummheit, Dünkel und Narzissmus fort: Verwundete, die sich wund scheuern. Sowohl Ulrich Mühe als auch Jenny Gröllmann wollten Akteure in ihrer je eigenen Geschichte bleiben, die bald von Trittbrettfahrern gekapert wurde. "Jetzt bin ich allein!", ruft Mühes Hamlet am Ende. Er ist es mit uns, seinen Zuschauern.

"Jetzt bin ich allein": heute um 20.15 Uhr, 3sat