Ulla Hahn Ulla Hahn: Schreiben als Befreiungsschlag

Hamburg/dpa. - Die Wörter haben ihr Leben verändert. Schon alsKind brach Ulla Hahn aus dem katholischen, geistig beengtenArbeitermilieu ihrer Familie aus, indem sie die Literatur für sichentdeckte und erste Texte verfasste. «Meine Biografie hatmärchenhafte Züge für mich», sagt die Schriftstellerin, die amkommenden Samstag (30. April) 65 Jahre alt wird. Inzwischen zähltHahn zu den erfolgreichsten Autoren des Landes. Gemeinsam mit ihremMann, dem SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi, lebt sie in Hamburg.
Hier in einem großzügigen Haus nahe der Außenalster, an der siejeden Morgen ihr Joggingprogramm absolviert, findet sie die Ruhe zuschreiben. Beispielsweise vor zehn Jahren den Bestseller «Dasverborgene Wort», in dem sie Erlebnisse ihrer Kindheit und Jugendverarbeitete. Für den Roman, der später von Hermine Huntgeburthunter dem Titel «Teufelsbraten» verfilmt wurde, erhielt sie 2002 denDeutschen Bücherpreis der Leipziger Buchmesse. 2009 folgte dieFortsetzung «Der Aufbruch».«Ich habe mir meine Familie wiedererschrieben, das kann man ohne Pathos sagen», erklärt sie und nimmteinen Schluck aus ihrer Teetasse. Schreiben sei für sie immer eineArt Selbsterforschung und Therapie.
1946 kam Hahn im Rheinland als «Kenk vun nem Prolete» zur Welt.Die exzellente und wissbegierige Schülerin musste sich dem Willender Eltern beugen, das Gymnasium vorzeitig verlassen und eineBürolehre absolvieren. Später holte sie ihr Abitur nach, studiertein Köln, arbeitete als Journalistin. Derzeit sitzt sie am letztenTeil ihrer Trilogie, der in einem völlig anderen Stil erscheinensoll. Wichtig sei doch, sich selbst zu überraschen: «Die Form, daslineare Erzählen hat mich gelangweilt.» Beim Schreiben bedient sichUlla Hahn ohnehin seit jeher verschiedener Formen. «Mein Geliebterist die Lyrik, verheiratet bin ich mit der Prosa.»
Mit ihren Gedichten wurde sie Anfang der 1980er Jahre auchberühmt, dank Lobeshymnen von Marcel Reich-Ranicki, etwa auf ihrenLyrikband «Hals über Kopf». Im Herbst soll eine neue Sammlungerscheinen, in der sie sich mit ihren alten Gedichtenauseinandersetzt. Denn wie hat sie bereits vor Jahren angekündigt:«Ich möchte mit achtzig noch Liebesgedichte schreiben können, aberum Himmelswillen nicht solche wie mit vierzig.»
Und wie hat sich ihr Schreibstil verändert? «Es war für michselbst überraschend, wie lässig meine Gedichte geworden sind. Siesind freier und frecher. Dieser Abbau von Ängsten durch meinjahrzehntelanges Schreiben, den merkt man den Texten an.»
Ihrer Liebe zur Literatur ist Hahn immer treugeblieben. «Seitdemich es kann, habe ich keinen Tag ohne Lesen verbracht», sagt sie.«Ich gehe nicht aus dem Haus ohne ein kleines Reclamheft in derTasche.» Wie viele Bücher sie in ihrem Leben gelesen hat, kann Hahnnicht einmal schätzen. «Das waren sicher ein paar Tausend». Und fastalle hat sie in ihrem Haus aufgehoben. «Aber fragen Sie nicht wo,das geht bis in die Garage.»