Polizeiruf 110 Polizeiruf 110: Vom DDR-Tatort zum Straßenfeger

Halle (Saale) - Nur einige Monate nach dem Start der westdeutschen Krimireihe „Tatort“ im Jahr 1970 startete im DDR-Fernsehen der „Polizeiruf 110“. SED-Chef Erich Honecker wollte eine eigene, sozialistische Variante der beliebten TV-Serie des Klassenfeindes. Der erste „Polizeiruf 110“ wurde am 27. Juni 1971 im DFF (Deutscher Fernsehfunk) ausgestrahlt. In „Der Fall Lisa Murnau“ ermittelte Oberleutnant Fuchs, der lange Zeit die einzige Konstante in der Krimireihe war.
Schauspieler Peter Borgelt (Oberleutnant Fuchs) ist bis heute der erfolgreichste Ermittler: Er löste bis 1991 insgesamt 84 Fälle. In den Folgen der Reihe bis 1993 ermittelten stets wechselnde Ermittler. Einzig Fuchs tauchte als Chefermittler immer wieder auf. Auch die Orte der Polizeiruf-Filme wechselten ständig und wurden oftmals nicht mal konkret benannt.
Ein Novum in der Geschichte des Polizeirufs stellt die Folge „Am hellerlichten Tag“ dar. Der 1974 gedrehte Film über den Mord an einem elfjährigen Jungen wird nie ausgestrahlt, alle Exemplare vernichtet. Die SED will das Thema Pädophilie nicht im Fernsehen thematisieren. Der Film beruhte auf einem realen Fall aus Eberswalde.
2009 taucht eine Version des Films auf, allerdings ohne Ton. Der MDR rekonstruiert den Film und synchronisiert ihn mit aktuellen Stars der Reihe. Schließlich strahlte der MDR den Film unter dem Titel „Im Alter von …“ aus.
Immer wieder gelang es den Autoren der Krimireihe, kritische Sujets zu thematisieren. Alkoholismus ("Die flüssige Waffe", 1988), Kindesmissbrauch ("Minuten zu spät", 1972), Vergewaltigung ("Der Mann im Baum", 1988), Selbstmord ("Zwei Schwestern", 1982) und Jugendkriminalität ("Der Einzelgänger", 1980) waren in der Selbstdarstellung des sozialistischen Landes eigentlich nicht existent.
Einer der bekanntesten Kriminalfälle der DDR, der sogenannte Kreuzworträtselmord in Halle-Neustadt, lieferte die Vorlage für die Polizeiruf-Folge „Kreuzworträtselfall“ 1988. Ermittler war Leutnant Thomas Grawe, gespielt von Andreas Schmidt-Schaller. Die Dreharbeiten fanden in Berlin, Buckow und an der Ostsee statt. 2013 lief im ZDF in der Reihe „SOKO Leipzig“ eine fiktive Fortsetzung des Falls, ebenfalls mit Andreas Schmidt-Schaller als Ermittler.
Wer das erfolgreichste Ermittler-Duo nach der Wende war und wie teuer eine Folge der Krimireihe ist.
Der letzte Polizeiruf im DDR-Fernsehen lief am 22. Dezember 1991 über die Bildschirme.
Ab 1991 übernahm die ARD mit den neu gegründeten Landesrundfunkanstalten Mitteldeutscher Rundfunk (MDR) und Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg (ORB) die Krimireihe. Später stieg auch der NDR ein.
Der Polizeiruf in Halle (Saale): In der Saalestadt ermittelten von 1986 bis 1995 Andreas Schmidt-Schaller (als Leutnant Thomas Grawe), von 1988 bis 1997 Günter Naumann (als Kriminalhauptkommissar Günter Beck) und von 1996 bis 2013 Jaecki Schwarz und Wolfgang Winkler (als Ermittler-Duo Herbert Schmücke und Herbert Schneider). Von den Nachwende-Ermittlern am längsten im Einsatz war mit 50 Fällen das hallesche Team. Ihr 50. und damit letzter Fall war der quotenstärkste Polizeiruf nach der Wende. Seit 2013 wird in Magdeburg ermittelt.
Für einige Verwirrung und harsche Kritik sorgte die Folge „Samstag, wenn Krieg ist“, die der Süddeutsche Rundfunk (SDR) 1994 ausstrahlte. Aufgrund anhaltender Kritik sperrte der Nachfolgesender Südwestdeutscher Rundfunk (SWR) die Folge 2006. Begründung: die undifferenzierte Darstellung von rechtsradikalem Gedankengut und krasser Gewalt. 2016 strahlte der SWR die Folge dann wieder aus.
Wie teuer ist eigentlich ein Polizeiruf? Die ARD beziffert die Kosten für eine Folge auf knapp 1,4 Millionen Euro. Jede Minute einer 90-minütigem Polizeirufes kostet danach 15.555 Euro.