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Medien in der Türkei DJV-Chef Frank Überall im Interview über Medien in der Türkei: "Es kann Enteignungen geben"

Von Peter Pauls 31.07.2016, 18:22
Türkische Spezialeinheiten stürmen das Redaktionsgebäude der größten Oppositionszeitung Zaman.
Türkische Spezialeinheiten stürmen das Redaktionsgebäude der größten Oppositionszeitung Zaman. dpa

Der Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, war kurz vor dem Putschversuch in der Türkei. Er fordert, mit der Regierung im Gespräch zu bleiben, damit die Lage der Journalisten im Land nicht noch problematischer wird. Außerdem setzt sich Überall im Gespräch für einen medienethischen Diskurs über den Umgang mit Fotos von Terroristen ein.

Herr Überall, kurz vor dem Putschversuch in der Türkei haben Sie das Land bereist, um sich über die Situation der Publizistik zu informieren. Wie haben Sie die Situation erlebt?

Dass zwei Tage nach meiner Rückkehr ein solch tiefer Einschnitt in die türkische Innenpolitik und damit auch in die Weltpolitik geschieht, das hätte ich mir nicht träumen lassen. Schon vorher war die Situation für Journalisten in der Türkei problematisch – deswegen war ich ja da.

Frank Überall wurde 1971 in Leverkusen geboren. Seit November 2015 ist er Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV).

Seit 2012 ist Überall Professor an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln. Er lehrt dort Journalismus sowie Politik/Soziologie.

Aus Ihrer Kenntnis heraus: Könnten Sie die Versuche in der Türkei, auf Medien Druck auszuüben, sie sogar mundtot zu machen, einmal auf deutsche Verhältnisse übertragen?

Man würde bei einigen Zeitungen zunächst vorsichtig sein. Das ist man in der Türkei auch: Cumhuriyet ist noch erlaubt, die Gülen-nahe Zaman steht unter Kuratel. Journalisten werden mit Haftbefehlen verfolgt und festgenommen. Wenn ich in Deutschland am Kiosk nach Zeitungen Ausschau halten würde, hätte ich deutlich weniger Auswahl. Eine taz würde es nicht mehr geben, aber auch einige konservative Zeitungen nicht.

Wie gehen die Regierung und ihre Organe konkret vor?

Die zuständigen Ämter schauen sich an, was wer geschrieben hat, und dann knöpft man sich die Person vor und wird möglicherweise die Zeitung verbieten.

Muss ein Verleger um sein Unternehmen und ein Journalist um seine Existenz fürchten?

In der Türkei derzeit ja. In dem Moment, in dem eine Nähe zur Gülen-Bewegung festgestellt oder besser: unterstellt wird, in einem solchem Moment muss man mit Konsequenzen rechnen. Ich habe Mitarbeiter von der Zeitung Zaman kennengelernt, die keine Krankenversicherung mehr besaßen und auch kein Gehalt mehr bekamen. Und in der Tat: Auch Enteignungen kann es geben, das erleben wir auch in anderen Berufsbereichen. Oder Insolvenzen.

Hilft internationaler Einspruch?

Das höre ich von Kollegen in der Türkei schon. Dort, wo ein Schlaglicht auf einen bestimmten Fall geworfen wird, gehen die Behörden vorsichtiger vor. Insofern ist es sinnvoll, mit einem Partnerland – das die Türkei ja immer noch ist – im Gespräch zu bleiben.

Wir leben in einer Zeit, in der alles ineinandergreift. Die Ereignisse in der Türkei fallen zusammen mit Terror und Amok in Frankreich und Deutschland. Nun hat die französische Zeitung Le Monde verkündet, auf die Abbildung von Terroristen verzichten zu wollen. Wäre das auch deutschen Medien anzuraten?

Es ist nicht meine Aufgabe, Empfehlungen für alle Medien auszusprechen. Gleichwohl bin ich der Meinung, dass wir einen Diskurs darüber brauchen. Medienethische Diskussionen werden in Deutschland leider selten geführt.

Es ist ja der Anspruch eines seriösen Mediums, seinen Nutzern relevante Informationen zu liefern: etwa zu dokumentieren, wie jung der Täter von München war. Inwieweit kann man daraus eine ethische Erwägung machen?

Wenn zum Beispiel die Gefahr besteht, PR-Material aufzusitzen. So etwas wird vom IS verbreitet, und ich wage zu bezweifeln, dass eine Veröffentlichung durch einen Informationsanspruch von Lesern oder Zuschauern gedeckt ist.

Sie fordern dabei aber Freiwilligkeit, nicht Gesetzgebung?

Auf keinen Fall darf sich der Gesetzgeber einmischen: Im Grundgesetz steht: Eine Zensur findet nicht statt. Aber die traditionellen Medien sind allen sozialen Netzwerken zum Trotz immer noch bedeutsam, und es gibt die Sehnsucht nach handwerklich ordentlicher Berichterstattung und Einordnung.

Damit hatte so mancher Sender, inklusive der öffentlich-rechtlichen, am Abend der Münchener Ereignisse so seine Probleme.

Man muss natürlich sehen, dass alle an diesem Freitagabend unter einem extremen Druck gestanden haben. Aber in der Tat: Wir brauchen eine Diskussion darüber, wie wir reagieren, wenn über die sozialen Netzwerke bestimmte Dinge kommuniziert werden. An erster Stelle muss die Wahrhaftigkeit von Informationen stehen.

Da kommt das Thema „Lügenpresse“ ins Spiel. Ist es noch ein Thema?

Es hat ein wenig an Fahrt verloren, doch wenn man sich anschaut, was AfD-Politiker in Netzwerken posten, dann ist es noch immer sehr virulent. Wir dürfen es auf keinen Fall zu den Akten legten.