Nach Selfie mit Merkel Angela Merkel: Der Fake-News-Prozess nach einem Selfie des syrischen Flüchtlings mit der Bundeskanzlerin ist entschieden

Würzburg - Der Fall hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt, viele erhofften ein Präzedenzurteil gegen Fake News und persönliche Verleumdung in den sozialen Online-Netzwerken. Eine solche Grundsatzentscheidung blieb jedoch aus: Facebook muss in seinem Netz weiterhin nicht aktiv nach rechtswidrigen Inhalten suchen und diese löschen. So hat das Landgericht Würzburg am Dienstag entschieden.
Geklagt hatte der syrische Flüchtling Anas Modamani: Nach seiner Ankunft in Deutschland hatte er bei einem Besuch der Kanzlerin in seinem Berliner Asylheim ein Selfie mit Angela Merkel schießen können. Ein Foto, das sein Leben zuerst zum Besseren gewendet und schließlich zur Hölle gemacht hat: Immer wieder wurde er fälscherweise als Täter von Anschlägen bezichtigt. Sein Bild wurde von rechten Hetzern in Zusammenhang mit Falschmeldungen geteilt. Als Facebook das Bild auf seine Anfrage hin nicht komplett entfernen ließ, zog er vor Gericht, um den US-Konzern per einstweiliger Verfügung dazu zu zwingen.
Facebook kann nicht zur Unterlassung gezwungen werden
Das Gericht wies seine Klage nun zurück: Facebook habe sich die Verleumdungen von Dritten nicht zu Eigen gemacht und könne deshalb nicht zu einer Unterlassung gezwungen werden, begründete der Vorsitzende Richter der Ersten Zivilkammer, Volkmar Seipel.
Auf den verleumderischen Fotomontagen wurde Modamani fälschlicherweise als Terrorist und Attentäter dargestellt. Sein Anwalt, der Würzburger IT-Jurist Chan-jo Jun, sieht nun vor allem den Gesetzgeber in der Pflicht. Appelle an die Freiwilligkeit seien nicht wirksam. Es müsse Unternehmen wie Facebook finanziell wehtun, geltendes Recht zu verletzen, so Jun.
Modamani war 2015 über das Mittelmeer nach Deutschland geflohen und schließlich in eine Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Spandau aufgenommen worden. Damals war er 19 Jahre alt. Am 10. September 2015, kurz nach seiner Ankunft, besuchte Angela Merkel das Heim. Noch unwissend, wer die Frau neben ihm war, zuckte der junge Syrer das Handy heraus und schoss ein Selfie. Erst später erfuhr er, dass er gerade ein Foto mit der Bundeskanzlerin gemacht hatte. Er postete das Selfie auf Facebook.
Selfie birgt Gefahren Modamani
Das Bild wurde von den Medien aufgegriffen und in sozialen Netzwerken mehrfach weitergeteilt. Modamani wurde plötzlich berühmt. Er sagte, das Selfie habe sein Leben verändert. Kurz danach kam er in Kontakt mit einer Organisation, die ihm eine Gastfamilie in Berlin vermittelte. Doch leider brachte das Bild dem Asylbewerber nicht nur Vorteile.
Alles habe sich nach den Anschlägen gewendet, erzählte er den Medien. Der bundesweite Ruhm wurde ihm zum Verhängnis. Schon nach dem Anschlag in Brüssel war sein Name in Verbindung mit den Attacken gebracht worden. Auf rechten Seiten erschienen Fotomontagen des Selfies mit dem Hinweis, der Flüchtling sei einer der Angreifer, die einen Obdachlosen in der Berliner U-Bahn angezündet hatten. Sogar als Attentäter des Berliner Weihnachtsmarkts wurde er bezeichnet. Modamani erzählte, er habe sich aus Angst nicht mehr aus dem Haus getraut.
Im Juli 2016 wurde ihm ein Jahr lang subsidiären Schutz genehmigt. Er besuchte einen Sprachkurs und jobbte bei McDonalds. Doch zusammen mit den Erinnerungen aus der Flucht und der Angst um die Familienmitglieder in Syrien, plagten ihn nun Sorgen um seine Sicherheit in Deutschland.
Facebook nutzt Programm zur Gesichtserkennung
Schließlich beschloss er, gegen Facebook gerichtlich vorzugehen. Das Netzwerk hatte die zwei ersten Posts sowie einige Vervielfältigungen gelöscht. Allerdings hatte sich das Unternehmen geweigert, alle geteilten Kopien zu suchen und zu sperren. Das sei bei rund einer Milliarden täglichen Posts technisch nicht zumutbar, sagte Verteidiger Christian Wirth.
Klägeranwalt Chan-jo Jun bestritt das: Facebook verfüge bereits über ein Programm zur Gesichtserkennung. Tatsächlich hat der Konzern bereits vor Jahren in ein verbessertes Programm, DeepFace, investiert. Es erkennt Gesichter von Nutzern mit einer Genauigkeit von rund 97 Prozent. Sein Einsatz würde allerdings gegen europäisches Recht verstoßen.
Das Gericht in Würzburg hat nun beschlossen, dass die Klärung dieses Punktes den Rahmen ein Verfügungsverfahren sprenge und nur in einem Hauptsacheverfahren per Gutachter geklärt werden könne.
Dann müsste es auch darum gehen, ob das Teilen von Verleumdungen strafbar sei. Die Rechtlage ist dabei undeutlich. Das bloße Teilen an sich sei allerdings von Richtern unterschiedlich interpretiert worden.
Modamani hatte als Privatperson wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung geklagt. Der Fall hat auch in Bezug auf den Umgang mit Falschmeldungen große Resonanz gehabt. Allerdings ging es hier eben nicht um die Verbreitung von Fake-News, sondern um den Schaden des persönlichen Rufs, das Recht aufs eigene Bild und die Verletzung weiterer Persönlichkeitsrechte.
Ob es zu einem Hauptsache verfahren kommen wird, ist jedoch offen: Am Dienstagnachmittag kündigte der Klägeranwalt an, dass er sein Mandat abgeben werde. Der Grund seien Gewaltdrohungen, die gegen ihn gerichtet worden seien.