Trinkkultur in der DDR Trinkkultur in der DDR: Alkohol war immer vorhanden

Jena/dapd. - „Das ist ein Schnapsspender“, erklärt der Rentner mit einem breiten Lächeln, während er eine kleine metallene Handpumpe betätigt, die auf einem großen Glaskubus angebracht ist. Eine Reihe kleiner Schnapsgläschen kann so befüllt werden. „Das war damals der Renner, wenn wir irgendwelche Feiern hatten“, erinnert er sich.
Seine und Dutzende andere Erinnerungen fließen in die neue Sonderausstellung ein, die einen kritisch-erinnernden Blick auf die Geschichte des Alkoholkonsums in der DDR wirft. „Als wir mit unseren Recherchen angefangen haben, begegnete uns überall dieses nostalgische Vorurteil von den DDR-Bürgern, die sich ihre graue Realität schön trinken mussten“, erklärt Kuratorin Teresa Thieme. Die These von der „Realitätsflucht“ der DDR-Bürger sei jedoch so nicht haltbar, die Wahrheit sei um einiges vielschichtiger.
Alkohol widersprach dem Konzept des „gesunden Sozialismus“
„Wir haben festgestellt, dass der Alkohol schon sehr stark im Alltag der DDR verankert war“, sagt Thieme. Vor allem der Schnaps habe in der ostdeutschen Trinkkultur immer hoch im Kurs gestanden. 1987 holten sich die DDR-Bürger von den Westdeutschen zum ersten Mal den zweifelhaften Titel des „Weltmeisters“ im Pro-Kopf-Verbrauch von Spirituosen. 1989 überflügelten sie schließlich auch den Bierverbrauch der Westbürger. Von einer „Säufer-Gesellschaft“ könne jedoch keine Rede sein.
Der Umgang mit Alkohol spiegele sich etwa in der Ambivalenz zwischen staatlich geduldetem Trinken in den 60er Jahren und späteren rigiden Alkoholverboten durch die Obrigkeit: Als Teil des „geselligen Zusammenseins“ habe der Alkohol zwar eine zentrale Rolle bei gesellschaftlichen Ereignissen gespielt, entsprach aber nicht dem Konzept des „gesunden Sozialismus“, den etwa der abstinent lebende Walter Ulbricht propagiert hatte.
„Ein besonderes Merkmal war der Umstand, dass nur selten allein getrunken wurde, sondern meist in Gesellschaft“, erklärt Thieme. Das habe die DDR schon früh vom Westen unterschieden. „Außerdem war Alkohol schlichtweg eines der Dinge, die im Gegensatz zu anderen Produkten immer vorhanden und verfügbar war.“ So wurde die Flasche Schnaps oder der Kasten Bier auch gern als „Ersatzwährung“ genutzt. Die Frage, ob es denn überhaupt eine eigene Trinkkultur in Ostdeutschland gegeben hatte, die sich von der westdeutschen unterschied, beantwortet die Kuratorin deshalb mit einem klaren „Ja“.
140 Leihgeber unterstützen Ausstellung mit Exponaten
Entsprechend weit ist auch der Ansatz, den die Ausstellung verfolgt: Von den Anfängen der „Bier-Stadt“ Jena im Mittelalter und der Frühen Neuzeit, in der vor allem die Studenten die umliegenden, mit eigenen Braurechten versehenen „Bierdörfer“ für exzessive Trinkgelage heimsuchten, bis zur VEB Brauerei Jena.
Die Geschichte der Trinkkultur der DDR belegen Dutzende Exponate wie Weißenburgers Schnapsspender. In einer Wohnzimmeratmosphäre lassen sich vom Lehnstuhl aus Dokumentarfilme über Zeitzeugen-Berichte verfolgen, die Wand ist mit einer eigens angefertigten Tapete aus Bier-Etiketten versehen. Die negativen Folgen des Alkohols greift der Seitenblick auf das Thema Suchtkliniken auf.
Auffällig ist an der Schau vor allem die Vielfalt der Exponate. Vom „Herrengedeck“ aus Sekt und Bier bis zum Kristallwodka „Blauer Würger“ haben die Macher von mehr als 140 Leihgebern ungezählte Wort- und Getränkekreationen der DDR-Geschichte zusammengetragen. Mitunter sogar geistvolle Originale wie die Likörflaschen, die bis zum Beginn der Ausstellung ungeöffnet ihr Dasein im hintersten Winkel von Jenaer Schnapsschränkchen gefristet hatten - und die nun noch einmal zu neuen Ehren kommen.