Treuhand Treuhand: War das «Größte Schlachthaus Europas» nur ein Sündenbock?

Potsdam/Berlin/dpa. - Es war eine hehre Idee, aber sie ist ausSicht eines neu erschienenen Buches gründlich schiefgegangen. Ineinem verwilderten Potsdamer Garten beschloss eine kleine GruppeDissidenten am 6. Oktober 1989, die DDR vor dem Ausverkauf zu retten.Damals war noch nicht einmal die Mauer gefallen, aber das Ende desbankrotten SED-Staats lag längst in der Luft. Wenig später wird derEigentümer des Gartens, der Physiker Gerd Gebhardt, ein Konzeptabtippen, das die Gründung einer Superbehörde vorsieht: eine«Treuhandanstalt», die das Volkseigentum der DDR-Bürger vor derInvasionsarmee D-Mark retten soll.
Dass es ganz anders kam und sich zum Teil westdeutsche Konzernedas DDR-Volkseigentum - immerhin rund 8000 Betriebe - einverleibten,ist heute bekannt. «Größtes Schlachthaus Europas» riefen Kritiker derTreuhand 1994 nach ihrer Abwicklung hinterher. Für sein Buch «Derdeutsche Goldrausch. Die wahre Geschichte der Treuhand» untersuchteder Hamburger Autor Dirk Laabs den Fall jetzt noch einmal gründlich.Dabei stellt er fest, dass die Superbehörde im Grunde nur eineSündenbock-Funktion erfüllte. «Die politische Verantwortlichkeitliegt klar woanders: Bei der Bundesregierung unter Kanzler HelmutKohl (CDU).»
Über die Treuhand wurde schon viel geschrieben, das Besondere anLaabs' Analyse ist, dass erstmals umfassend Treuhänder zu Wortkommen. Insgesamt fußt das Buch auf 200 Interviews mit 100Zeitzeugen. «Da kommen Leute vor, die haben noch nie ein Interviewgegeben, auch nicht für eine Zeitung», sagt Laabs. Viele Treuhändermussten Verschwiegenheitsklauseln unterschreiben und durften nochzehn Jahre nach ihrem Ausscheiden nichts über die Vorgänge in derBehörde erzählen. Akten sind - anders als die der Staatssicherheit -teilweise bis zum Jahr 2050 gesperrt.
Warum diese Geheimnistuerei? Offiziell wurde dem Autor zufolge denBedürfnissen der DDR-Bürger Gehör geschenkt. So gab es etwa denRunden Tisch, an dem die sozialistische Regierung im Frühjahr 1990mit Bürgerrechtlern diskutierte, wie es mit der DDR weitergehensollte. Bedingungen der ersten freien Wahlen wurden dortausgehandelt. Und der Physiker Gebhardt schlug dort am 12. Februar1990 die Bildung einer Treuhandgesellschaft vor - «zur Wahrung derAnteilsrechte der Bürger mit der DDR-Staatsbürgerschaft amVolkseigentum der DDR».
In Wahrheit aber waren die Würfel längst gefallen, schreibt Laabs- und zwar im Bundesfinanzministerium in Bonn. Dort tüftelte eingewisser Thilo Sarrazin (SPD), damals Abteilungsleiter unter demStaatssekretär und späteren Bundespräsidenten Horst Köhler, schon imJanuar 1990 an der Einführung der D-Mark in der DDR. Bei seinenGedankenspielen wurde ihm eingeschärft, «keine Papierspur zuhinterlassen» - das sei «viel zu gefährlich», wie sich Sarrazinspäter erinnert. Es dürfe auf keinen Fall der Eindruck entstehen,dass man der politischen Einheit mit einer Währungsunion zuvorkommenwolle.
Die Treuhand sollte es später geben, aber Laabs zufolge als eineArt Papiertiger, der zudem demokratisch nicht kontrolliert wurde.Deutsche Bank, Allianz, Siemens - «die deutschen Konzerne nutzen dasMachtvakuum aus, bevor (.) die Treuhandanstalt überhaupt etabliertwerden kann». Die Deutsche Bank etwa habe bei der Abwicklung derDDR-Staatsbank und der Neugründung der sogenannten DeutschenKreditbank AG für 49 Prozent Anteile, für 122 Bankfilialen in besterLage und für das Know-how «keine müde Mark» bezahlt. Für diegewaltigen Kosten der Wiedervereinigung - Stichwort Solidarpakt -kamen dagegen die Steuerzahler auf. Laabs: «Von 1990 an wurde daseingeübt, was alle Deutschen dann in der Finanzkrise ab 2008 wiedererlebten: die Sozialisierung der Verluste.»
Zur Buchpräsentation diskutieren Dirk Laabs, Thilo Sarrazin undder ehemalige Treuhand-Manager Detlef Scheunert am 23. April imdbb-Forum in Berlin-Mitte. Der 1973 in Hamburg geborene Journalistund Filmemacher Laabs gewann in der Vergangenheit mit seinem Streifen«Die Fremden im Paradies - warum Gotteskrieger töten» denDokumentarfilmpreis des Bayerischen Rundfunks. SeineSchwerpunktthemen sind Fundamentalismus und internationalerTerrorismus. Er schreibt unter anderem für die «FrankfurterAllgemeine Sonntagszeitung» und die «Los Angeles Times».
