Superumbau in Hoyerswerda Superumbau in Hoyerswerda: Das Leben kämpft gegen Leere
Hoyerswerda/MZ. - Hinter Falkenberg klingen die Namen der Bahnstationen wie flehende Bitten um Auskunft: Bad Liebenwerda, Elsterwerda . . . Wer da? Ist da wer? Ruhland, antwortet ein vorbeihuschender Bahnsteig. Lauta, fordert der übernächste. Am Ende der Reiseroute aber krümmt sich wieder ein Fragezeichen: Hoyerswerda. Doch auch in der Buchwalder Straße findet sich hier zunächst niemand, der die Neugier befriedigen könnte. Lediglich die Abrissexperten hebeln im leergezogenen Fünfgeschosser schwitzend Fensterrahmen aus den Betonplatten.
Erst als die Arbeit Pause macht, ist Zeit für die Kunst: Regisseur Armin Petras, der beim Projekt "Superumbau" die Uraufführung des Textes "Das Denkmal" von Einar Schleef skizziert, scheucht seine beiden Darsteller Andre Kaminsky und Oliver Kraushaar zur Generalprobe auf den verwaisten und verwilderten Wäscheplatz hinter dem Bauzaun. Dann schmettert der in Hoyerswerda aufgewachsene und 1998 im benachbarten Spreetal gestorbene Liedermacher und Baggerfahrer Gerhard Gundermann aus den Lautsprechern noch einmal sein "Hier bin ich gebor'n / wo die Kühe mager sind wie das Glück". Und Trude und Elli, die Heldinnen der kleinen Erzählung, sitzen plötzlich im Fernsehturm am Kyffhäuser.
Um die Beziehung des Schleef-Textes zum Ort der Aufführung zu verstehen, muss man zwar um mehrere Ecken denken - aber davon gibt es im Wohnkomplex VIII ja genug. Zunächst wirkt das respektlose Spiel wie eine ahnungsvolle Vorwegnahme der demografischen Entwicklung: Wenn die einstige Plan- und Musterstadt der DDR kein Konzept gegen die Abwanderung entwickelt, werden bald wirklich nur noch alte Menschen ihre Hängematten zwischen den früher von Kindern gern als Klettergerüst zweckentfremdeten Wäsche-Pfosten aufhängen. Denn denen bleibt, wie der pensionierte Architekt und passionierte Stadt-Chronist Klaus Richter mit bitterem Witz erzählt, als letzte Alternative nur "die Einzimmerwohnung in Kühnicht". So heißt der großzügig geplante Waldfriedhof vor den Toren der Stadt.
Die gallige Pointe, die Richter dem Volksmund verdankt, könnte auch bei Schleef stehen - und verwurzelt seine Sangerhäuser Witwen nun im sandigen Boden von Hoyerswerda. Staunend heben die beiden ihren Blick zum Skelett des Plattenbaus, als wäre dies wirklich der Wartesaal des Kaisers Rotbart am Kyffhäuser. Doch während Trude und Elli mit ihren schwindenden Kräften auch ihre Selbstachtung allmählich verlieren, erzählt Dorit Baumeister am Rand der Szene von ihren eigenen Erfahrungen mit diesem Denkmal des Fortschritts.
Erstbezug seien sie damals gewesen, sagt die Architektin und deutet auf eine leere Fensterhöhle, hinter der das Wohnzimmer ihrer Eltern lag. Sie selbst war damals, Ende der 60er, sechs Jahre alt - und wollte bald nur noch weg aus der neuen Stadt. Dass sie nach der Wende dennoch hierher zurückkehrte, um das Architektur-Büro ihres Vaters zu übernehmen, hat Hoyerswerda nun das ambitionierte Kunstprojekt "Superumbau" beschert. Und diese von der Bundeskulturstiftung geförderte Initiative wiederum hat der engagierten Frau so viel offene Ablehnung eingetragen, dass sie laut über ihren endgültigen Abschied nachdenkt.
Denn die Platten, so scheint es, sollen möglichst leise verschwinden. Entweder hinter den aufgeklebten Schindeln und unter den aufgesetzten Ziegeldächern, die aus industriell gefertigten Blöcken ein heimeliges Pseudo-Idyll für die Mieter der Zukunft zaubern. Oder aber - mangels Bedarf - im Nichts, wo sich die beiden Rentnerinnen mit den Worten von Einar Schleef schon jetzt in unberührte Natur träumen. Auch diese letzte Behauptung von Leben in der Leere stört den stillschweigenden Abriss, der sich in Hoyerswerda auf allen Ebenen vollzieht.
So sind zwei Tage zuvor die Gedenkstätten für die DDR-Politiker Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl aus dem Stadtbild entfernt worden, was nun zu heftigen Protesten in der "Sächsischen Zeitung" führt. Dabei fühlen sich die Leserbrief-Schreiber vor allem von der Tatsache provoziert, dass die Hauruck-Aktion nur einen Tag vor einem Besuch von Alt-Bundespräsident Roman Herzog stattfand. Er war nach Hoyerswerda gekommen, um eine Medaille vom Oberbürgermeister entgegenzunehmen. Den "Superumbau" hat man ihm nicht gezeigt.