Rocknacht mit Lindenberg Rocknacht mit Lindenberg: Käpt'n Udo steht am Bagger in Ferropolis
Ferropolis/MZ. - Aber für einen unkalkulierten Augenblick auf dem wasserglänzenden Laufsteg, der von der Bühne ins Auditorium ragt, sieht der alte Käpt'n Lindenberg aus, als träumte er sich weg in bessere Zeiten. Und vielleicht ist er seinem Publikum an diesem regnerischen, kühlen Abend niemals so nah wie jetzt.
Der Wind ist rauer geworden, auch für Lindenberg. Dass er sich vom Musikkonzern BMG getrennt hat (nicht umgekehrt) ist ihm wichtig. Mit der Formel vom "gegenseitigen Einvernehmen" pflegt man derartige Vorgänge diplomatisch zu beweihräuchern. Gemeint ist aber wohl, dass sich das Produkt Lindenberg einstweilen nicht so gut verkauft auf dem Plattenmarkt.
Da steht er also vor der Baggerkulisse, der Gigant vor den Giganten - aber der Vergleich hat auch etwas Gefährliches. Imposant sind sie ja, die stählernen Monster, aber eben auch museal. Letzteres will Lindenberg nicht sein, der Profi-Zocker spielt in gewohnter Lässigkeit: "Ich singe Euch den Regen weg", nuschelt er. Und wenn es dann nicht klappt? Kein Problem: "Wir sind ja flexibel". Das verstehen Udos Freunde in Mitteldeutschland gut, von Flexibilät hören sie seit Jahren viel. Nur mit dem Aufschwung hapert es noch ein bisschen.
Die Anspielung schweißt den Künstler und sein Fan-Kollektiv umso fester zusammen. Wer jetzt noch keinen Original-Udo-Hut hat, hier und jetzt muss man ihn kaufen, für 35 Euro das Stück. "Cello" singt Lindenberg derweil mit einer Inbrunst, dass einem die Tränen kommen, auf der "Andrea Doria" geht es wieder hoch her und das "Mädchen aus Ostberlin" stammt heute aus Ferropolis. Was der Panikrocker und sein Orchester (eine exzellente Band, die ihresgleichen in Deutschland sucht) über reichlich zwei Stunden zelebrieren, ist eine fidele Honky-Tonky-Show, die glitzernde Lichter und glamouröse Halbwelten imaginiert.
Nina Hagen tritt aufs Podium, fordert wiederholt dazu auf, die Television zu ficken und wirft dabei die Beine schmissig in die Höhe. Der singende Schauspieler Ben Becker brummelt ein düsteres Liedchen, in dem der Märtyrer Brian Jones ums Leben kommt. Und Peter Maffay sagt schlicht "Hallo Leute" zu den Leuten, dann spornt er sie wie Gotthilf Fischer an, seinen Endzeitheuler "Eiszeit" mit ihm zu singen.
Ein richtig netter, zu Herzen gehender Oldie-Abend, möchte man meinen. Wenn da nicht noch die Vorbands gewesen wären, über die sonst kein Mensch schreibt. Heute doch - nicht nur, weil es Lindenberg freut, sondern vor allem, weil es sich die muntere Kampfreserve des deutschsprachigen Rock'n'Roll musikalisch verdient hat.
Zombie Joe aus Halle spielen schnörkellosen Rock, dazu gibt es den Sänger für's Auge: Ein halbnackter Mini-Jagger, der hüpft und mit den Hüften wackelt. Geile Götter aus Eisenach verkaufen sich als "lesbischste Boygroup" Deutschlands, ihre Rock-Travestie erzählt heiter von solch appetitlichen Dingen wie Einläufen und Tripper. Soll in Thüringen schon Kult sein.
Und Mohnblau? Die Kapelle hat das Zeug dazu, mit ihrem groovigen Britpop aus Meckpomm richtig berühmt zu werden. Falls die Musikindustrie das auch so sieht. Aber es gibt ja noch Zeichen und Wunder. Zum Beispiel in Ferropolis: Lindenberg singt, der Regen hört auf.