Robert Dekeyser Robert Dekeyser: «Geht es auch mit weniger?»

Halle (Saale)/MZ. - Der Raum, fast schon ein Saal, erlaubt die kleine Einlage: ein helles, offenes Speicher-Loft, darin verteilt Couchen und Sitzgruppen - alles Stücke aus Dedon-Kollektionen, logisch. Mit den Luxus-Gartenmöbeln ("Wohnzimmer für draußen") aus Kunststoff-Flechtwerk sind Dekeyser und seine Firma groß, berühmt und - ja, auch - reich geworden.
Wir gehen in ein Lokal um die Ecke. Vor lauter Erzählen kommt Dekeyser kaum zum Essen. Sein Blick ist unverwandt - aus Augen, so blau, als wären sie am Computer nachbearbeitet. Eingangs stellt er eine Frage, die sonst immer von den Interviewern kommt: "Sie haben doch ein bisschen Zeit, oder?" Dekeyser vermittelt das Gefühl, es gebe in diesem Moment nichts Wichtigeres als das.
Mit Robert Dekeyser sprach Joachim Frank.
Herr Dekeyser, Sie sitzen an 150 Tagen des Jahres im Flugzeug, sind selten länger als zwei, drei Tage an einem Ort. Wovor fliehen Sie?
Dekeyser: Hätten Sie mich das vor 20 Jahren gefragt, hätte ich das Wort "Flucht" akzeptiert. Ich bin immer ein Irrsinns-Tempo gegangen. Das hatte tatsächlich etwas Gehetztes: Das muss jetzt klappen! Du musst einfach Erfolg haben! Das war ein innerer Druck. Den spüre ich nicht mehr. Ich bin heute einfach gern unterwegs. Aber egal wo ich bin, dort nehme ich mir Zeit für die Menschen, die ich gern habe, für Dinge, die mir Spaß machen. Das ist am Ende ein erfüllteres Leben.
Wie wollen Sie als Unternehmer Ihren Laden im Griff behalten, wenn Sie ständig woanders sind?
Dekeyser: Ich bin freiheitsliebend, fast schon am Rande des Komplexes. Ich will immer frei sein. Ich habe nirgends ein Büro, bin jetzt das erste Mal seit zwei Monaten wieder hier in Hamburg, um hallo zu sagen und ein paar Sachen zu besprechen. Das setzt Vertrauen zu den Leuten voraus, die mit mir arbeiten. Im Ergebnis tut das ihnen gut, es tut aber auch mir gut.
Und was ist dann Ihr Job?
Dekeyser: Ich bin eher der Grobmotoriker, arbeite gerne auch mal selbst im Lager. Ansonsten halte ich mich aus dem Operativen lieber raus, erst recht aus dem Controlling und den Finanzen. Das macht mein Schwager. Zahlen interessieren mich einfach nicht. Ich kann nichts dagegen tun. Haben mich schon in der Schule nicht interessiert, warum sollten sie es jetzt tun? Ich möchte mutig bleiben, aber ich weiß auch: Ich darf keinen kapitalen Fehler machen. Der Preis dafür wäre einfach zu hoch. Umso mehr brauche ich die Distanz zu dem, was ich tue. Sonst würde mich die Last der Verantwortung erdrücken.
Wie halten Sie Distanz?
Dekeyser: Zum Beispiel indem ich Meetings meide. Ich hasse Meetings. Für eine Besprechung gehe ich lieber mal paddeln.
Paddeln?
Dekeyser: Ja, Stehpaddeln. Auf einem Surfbrett mit Stechpaddel. In Städten am Wasser ist das meine Hauptfortbewegungsart. Ich habe mir gerade in New York eine Wohnung gekauft, direkt am Hudson River. Da geht das sehr gut. Direkt vor der Wohnung ist ein Pick-up-Sportplatz mit Kunstrasen und Flutlicht. Da wird immer Fußball gespielt. Wann immer ich komme, kann ich mitmachen. Ein Traum!
Sie führen ein privilegiertes Leben! Der Erfolg Ihrer Firma beruht darauf, dass es genügend viele Leute mit genügend viel Geld gibt, um Luxus-Möbel für den Garten kaufen zu können. Wie steht es um Ihr Geschäftsmodell in Zeiten der Krise?
Dekeyser: Ich merke schon, dass es in Europa schwieriger wird. Nicht weil das Geld ausginge, aber die Leute bekommen es mit der Angst zu tun. Und die Schere geht auseinander. Es gibt die unfassbar Reichen, die einen Riesenhaufen unserer Möbel kaufen, weil sie damit ihr zehntes Haus ausstaffieren wollen. Aber das sind wenige. Wichtiger für uns sind die, die schon für unsere Möbel sparen müssen, sie sich aber leisten wollen - als ein Stück Luxus. Was wir machen, ist Luxus. Ganz klar. Ich glaube aber, in der Krise werden Firmen mit Luxus-Produkten nur überleben, wenn sie eine Seele haben.
In Ihrem Leben kam immer im richtigen Moment ein Mentor, ein Geldgeber, ein guter Geist. Hängt der Erfolg an solchen Zufällen?
Dekeyser: Manchmal war es Harakiri. Das liegt ein bisschen in meiner Natur. Aber als ich aus dem Profi-Sport ausgestiegen bin, war mein Vorteil, dass ich vom Fußball noch Geld hatte. Die ersten Fehler konnte ich mir also selbst leisten. Aber als ich Hilfe brauchte, auch finanziell, habe ich gemerkt: Es funktioniert, wenn zwei Leute zusammenkommen, sich in die Augen schauen und wissen: Wir kriegen das zusammen hin. Ich glaube, dahinter steckt die Sehnsucht - so kitschig das klingt - nach etwas Gemeinsamem, das über Geld hinausreicht.
Was nützt das einem Hartz-IV-Empfänger, der vergeblich 100 Bewerbungen geschrieben hat?
Dekeyser: Ich verstehe die Skepsis. Aber ich habe schon so gefühlt und gehandelt, als ich selbst noch gar nichts hatte. Und ich hasse dieses aufgekratzte "Think positive", dieses amerikanische "Alles super"-Getue. Damit spielt man nur Theater vor einer bunten Kulisse. Aber ich bin sicher, dass die Krise uns alle wieder zu elementaren Dingen zurückführen wird: sich gegenseitig helfen, zusammenhalten, Besitz teilen. Das ist allemal besser, als darauf zu warten, dass der Staat einem hilft.
Sie wären das perfekte Role model für die FDP, die Westerwelles und Röslers!
Dekeyser: Um Gottes willen. Die brauchen mir nicht in die Quere zu kommen. Politisch halte ich mich raus, echt. In der Aufzeichnung für eine Talksendung habe ich mal zu den Politikern, die mit mir dort saßen, gesagt: "Wenn ich meine Firma so führen würde wie Sie das Land, könnte ich zumachen. Sie reden nicht einmal von Vision, Vertrauen, gemeinsamen Zielen, sondern fallen ständig nur übereinander her." Genau diese Passage haben die Fernsehleute hinterher rausgeschnitten.
Meinungsstreit, Verhandeln, Kompromiss - das gehört zu den Mühen der Demokratie. Haben Sie es nicht so damit?
Dekeyser: Das fällt mir schwer, ja. Ich setze sehr stark auf natürliche Autorität, die jemand verkörpert - als Person und mit seinen Überzeugungen.
Herr Dekeyser, Sie haben als Profi-Fußballer begonnen, waren Ersatztorwart bei den Bayern und standen danach bei 1860 München im Tor. Nach einer schweren Verletzung haben Sie Ihre Karriere beendet. Interessieren Sie sich eigentlich noch für Fußball?
Dekeyser: Wir sind Mitsponsoren der deutschen Nationalmannschaft. Ich habe Freunde aus dieser Zeit. Ich finde es toll, was Joachim Löw und sein Team da geschaffen haben. Eine ganz neue Kultur mit jungen Spielern, Gemeinschaftsgeist. Das ist wirklich völlig anders als zu meiner Zeit. Eine echte Kulturrevolution. Die alten Säcke wollten die Jungen nicht ranlassen, extrem hierarchisch, die Trainer als alte Haudegen, vor denen man als Spieler beinahe Angst hatte. Druck, Druck, Druck, Druck. Und nicht nur allein auf Sieg. Natürlich geht im Sport um Erfolg, aber früher galt: Egal wie schrecklich das Spiel war - Hauptsache 1:0. Und alle haben gejubelt. Dabei war dieses Gebolze einfach nur grausam!
Ein ziemlich distanziertes Urteil für einen Fußball-Profi, oder?
Dekeyser: Fußball war nie mein Traum. Ich war als Jugendlicher halt sportlich, und es gab halt keine Alternativen. Eigentlich hatte ich auch gar kein Talent. Also musste ich alles über Leistung kompensieren. Leistung, Leistung, Leistung - bis zum Umfallen. Wahnsinn eigentlich. Das Gute daran war die Erfahrung, dass man mit Anstrengung und Willenskraft weit kommen kann. Aber ein Gutes hatte die Fußballer-Karriere auf jeden Fall: Sie hat mir die Frauen gebracht.
Puh, so ein Macho-Spruch!?
Dekeyser: Nur die Erfahrung des Vollpubertierenden. Ich habe im Internat Leichtathletik gemacht, Turmspringen, jeden Blödsinn. Aber nur beim Fußball haben die Mädchen zugeschaut. Deshalb habe ich es gemacht. Bis dahin war ich auch nicht in einem Verein, kannte gar nichts vom Fußball.
War der Weg zum Fußballer der erste Beleg für Ihre Lebensphilosophie "Alles wird gut"?
Dekeyser: Ich glaube tatsächlich daran, dass die Dinge letztlich gut ausgehen. Das mag ein Stück weit antrainiert sein. Aber es ist schon auch Teil meiner 47 Jahre Lebenserfahrung. Um das große Ganze mache ich mir nie Sorgen. Da habe ich ein tiefes Gefühl der Sicherheit in mir.
Diese Gewissheit konnte auch der Tod Ihrer Frau nicht erschüttern?
Dekeyser: Zuerst schon, doch. Ich konnte mit diesem Verlust überhaupt nicht umgehen. Ich hatte immer gedacht: Du kannst alles erkämpfen, und wenn du mal am Boden bist und nichts mehr geht, na, dann rappelst du dich halt wieder auf. Als meine Frau starb, habe ich zum ersten Mal gedacht: Wogegen sollst du kämpfen? Du kannst sie durch nichts zurückholen.
Waren Sie nie in Gefahr, daran zu zerbrechen?
Dekeyser: Zumindest verstehe ich, dass Menschen am Verlust ihrer Liebe zerbrechen - gerade an solch einer Liebe wie zwischen mir und meiner Frau. Und wenn ich ganz ehrlich zu mir bin: Tief in mir ist eine Verzweiflung, die ich nicht überwunden habe, vielleicht nie vollends überwinden kann. Gerade als ich gestern wieder an Ann-Kathrins Grab war, habe ich das wieder gemerkt.
Wie haben Sie sich seit dem Tod Ihrer Frau verändert?
Dekeyser: Ich bin ein Stück weit hinaus über dieses Hangeln von einem Plan zum nächsten: "Wenn du dies erreicht hast, dann. . . Wenn die nächste Kampagne abgeschlossen ist, dann…" - "Nein!", sage ich heute. "Vergiss es! Vergiss einfach jeden Plan!" Natürlich braucht es Ziele und große Wegmarken. Aber ich will mich nicht mehr so sehr im Morgen verlieren, sondern mir jeden Tag Momente des Glücks suchen.
Ist der Schicksalsschlag der Grund, warum Sie Krisen etwas Positives nennen?
Dekeyser: Wir haben in unserer Gesellschaft viel Mist angesammelt. Die Wirtschafts- und Finanzkrise gibt der Jugend heute die Chance, zu sagen: "Wir lassen uns das nicht mehr aufbürden. " Ich bin überzeugt: Wir stehen vor einer soften Revolution. Das ist gut. Der Ballast muss weg. Es muss zu Zusammenbrüchen kommen.
Was muss denn zusammenbrechen?
Dekeyser: Das Bankensystem zum Beispiel. Ein System, in dem sich keiner mehr auskennt, das keiner mehr beherrscht, in dem keiner mehr Verantwortung übernimmt. Wo immer ich in meiner Firma die Banken raushalten konnte, habe ich das getan. Ich habe heute keinen Cent Schulen bei einer Bank. Wie soll denn auch ein Wirtschaftssystem funktionieren, wenn die Banken schon einander misstrauen und kein Geld mehr geben.
Denken Sie selbst über eine neue Form der Kreditwirtschaft nach?
Dekeyser: In meiner Stiftung haben wir das ja schon verwirklicht. Wir finanzieren gute Ideen unserer Stipendiaten, investieren in das dafür notwendige Know-how - für ökologische, soziale, kulturelle Projekte. Wir verlangen von Bewerbern keine materiellen Sicherheiten. Üblicherweise werden Erfolg und der Aussicht auf Erfolg an nackten Zahlen gemessen. Warum nicht an Motivation, kreativem Potenzial? Was unsere Stipendiaten zeigen, dass sich dieser Perspektivwechsel lohnt. Und wie lang wollen wir in unserer Gesellschaft vor lauter Angst noch weitermachen, ehe wir erkennen, dass wir umdenken müssen?
Sie haben leicht reden. Eine "reinigende" Krise bedeutet für viele Menschen Sorgen, womöglich den Existenzverlust.
Dekeyser: Ich weiß. Ich will auch nicht kalt oder zynisch klingen. Aber Fakt ist doch einfach, dass unsere Gesellschaft über ihre Verhältnisse gelebt hat und man sich fragen muss: Geht es auch mit weniger? Natürlich habe ich selber viel mehr Geld als die meisten anderen. Aber ich setze mich immer wieder hin und schreibe Listen: Was ist mir wirklich wichtig? Worauf könnte ich verzichten?
Und - worauf?
Dekeyser: Ich habe zum Beispiel festgestellt: Alles, was ich an Klamotten brauche, passt in zwei Koffer, einer davon voll mit Sportzeug. Das zu wissen, tut richtig gut. Und für sonstigen Besitz gilt: Alles, was ich nicht mit anderen teilen kann, verkaufe ich sofort. Das Leben bleibt auch so noch kompliziert genug.