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Rebellische Vielschreiberin Rebellische Vielschreiberin: Gabriele Wohmann feiert ihren 75. Geburtstag

Von Harald Schmidt 20.05.2007, 12:59
Die Schriftstellerin Gabriele Wohmann, fotografiert in ihrem Arbeitszimmer in ihrem Haus in Darmstadt. (Foto: dpa)
Die Schriftstellerin Gabriele Wohmann, fotografiert in ihrem Arbeitszimmer in ihrem Haus in Darmstadt. (Foto: dpa) dpa

Darmstadt/dpa. - Wenn sie die Beine hochlegt, plagt sie sofortdas schlechte Gewissen. «Ich werde zwar alt und älter, aber nichtwirklich erwachsen», sagt die Schriftstellerin Gabriele Wohmann, diean diesem Montag (21. Mai) zu Hause in Darmstadt ihren 75. Geburtstagfeiert - und ihrem Ruf als «Vielschreiberin» weiterhin gerecht wird.Zwölf Gedichte hat sie allein in den vergangenen sechs Tagengeschrieben. Das sei zwar kindisch, denn «der wirklich Weise enthältsich aller Verlautbarungen». Aber ändern kann und will sie es nicht:«Schreiben ist gut für mein Lebensgefühl.»

Die preisgekrönte Autorin von 17 Romanen, dutzenden Erzählbänden,Gedichten, Hörspielen, Theaterstücken und Drehbüchern istrealistisch. Sie weiß: Der Markt ist schlecht für ihre kurzen,prosaartigen Gedichte. «Die will kein Mensch haben», sagt diebesonders für ihre Erzählungen bekannte Schriftstellerin, ohne ihreFrustration über die «schnelllebige Pseudoliteratur» zu verbergen:«Man möchte alles Geschriebene möglichst bald unter die Leutebringen. Aber die Zeiten haben sich so verschlechtert.» Früher habesie manchmal drei Bücher pro Jahr publiziert, heute sei ein Werk allezwei Jahre schon das Höchste: «Es gibt eine andere Art von Literaturmittlerweile, die uns seriöseren Autoren das Wasser abgräbt.»

Wohmann gilt als präzise Beobachterin von Familien,- Ehe- undGenerationskonflikten. Mit satirischer Schärfe legt sie dieSpannungen zwischen den Geschlechtern, zwischen Geschwistern oderzwischen Eltern und Kindern offen. Dabei schöpft sie aus ihrerFantasie und aus Beobachtungen ihrer unmittelbaren Umwelt. Einenautobiografischen Band widmete sie ihrer Mutter und deren erstemWitwenjahr, ein Porträt ihrem Vater oder ihrer Schwester. UmSchwestern geht es auch in ihrem gleichnamigen Erzählband von 1999:Schwestern sind darin die besten weil vertrautesten Freundinnen, dieüber alles reden können - außer über Sex und Geld. In ihrer neuestenVeröffentlichung «Scherben hätten Glück gebracht» (2006, Aufbau-Verlag) spielen die Geschichten allesamt in den USA - ein Land, dasWohmann oft besucht hat, und deren Ödnis in Staaten wie Wyoming siefaszinieren.

In vielen ihrer Werke rührt sie Themen an wie das Älterwerden,Krankheit und das Sterben selbst. Die Darmstädter Pfarrerstochter istreligiös. Wenn man genau aufpasse, merke man das auch im Werk, sagtsie. Meist spüren ihre Figuren zwar, dass ihnen ihr Alltag nichtgenügt. Sie wissen aber nicht, wonach sie suchen. Wohmann hingegenweiß das genau: «Ich empfinde Vorfreude auf das Leben nach dem Tod.Ohne diese Hoffnung kommt man ja nicht zurecht in diesem purirdischen, von Zumutungen wimmelnden Leben.»

Es sei kein erbauliches Vergnügen, ihre Geschichten zu lesen, gibtWohmann zu. Obwohl es immer auch viel Heiterkeit und Ironie in ihremWerk gebe. Denn Wohmann liebt angelsächsischen Humor, der hier zuLande leider oft missverstanden werde.

1957 erschien ihre erste Erzählung «Ein unwiderstehlicher Mann»,acht Jahre später sammelte die Pfarrerstochter mit den frühenSchriftsteller-Vorbildern Proust und Joyce erste literarische Ehren,als sie 1965 den Georg-Mackensen-Literaturpreis für die bestedeutsche Kurzgeschichte erhielt. Unter anderem folgten 20 Jahrespäter der Stadtschreiber-Literaturpreis des ZDF und der Stadt Mainzsowie der Hessische Kulturpreis (1988), der Konrad-Adenauer-Preis(1992) und der Montblanc-Literaturpreis (1994). Sie gehörte derGruppe 47 an, wurde 1960 in den PEN-Club und 1980 in die DeutscheAkademie für Sprache und Dichtung gewählt. Den PEN-Club hat sieinzwischen wieder verlassen: Sie war diesen «Massenbetrieb» leid.

Trotz all der Auszeichnungen: Einen Bestseller hat Wohmann nochnie gelandet. Inzwischen bedauert sie das: «Wenn ich einen Bestsellerschreiben könnte, würde ich das tun. Aber ich kann es nicht. Ich kannnicht einmal unter Pseudonym einen einzigen Primitivling schreiben,um Millionen einzustreichen.» Deshalb habe sie mit ihrer Kunst trotzaller Produktivität zu wenig Geld verdient. Bedauert werden will siedeshalb aber nicht. «Ich will lieber Neid als Mitleid.»