Schriftsteller Uwe Timm - mit lustvoller Anstrengung zum 85. Geburtstag
Currywurst, Studentenproteste und ein Rennschwein - die Bandbreite von Uwe Timms Werken ist groß. Zum 85. Geburtstag erzählt er von Jeans, Lässigkeit und einer bizarren Weltlage.

München - „Schlafen in einem zugigen Kellerzimmer mit einer Eislandschaft an der Wand. Hunger und abermals Hunger.“ Was Uwe Timm in seinem Buch „Alle meine Geister“ notiert, zeugt von den schwierigen Bedingungen, unter denen er aufwuchs.
Geboren 1940 erlebte er als Kind den Zweiten Weltkrieg und die karge Zeit danach. Ein Trost: Geschichten, die man ihm vorlas und erzählte. Später fing er selbst an zu schreiben. Mit seinen gesellschaftskritischen Romanen, Kinderbüchern und Filmdrehbüchern zählt er zu den großen deutschen Autoren. Am heutigen Sonntag wird er 85 Jahre alt.
Die Entbehrungen der Kindheit haften immer noch im Gedächtnis. Zu seinen frühesten Erfahrungen zählt die Bombardierung seiner Heimatstadt Hamburg im Sommer 1943. „Ich habe Erinnerungen an diese brennenden Straßen“, erzählt Timm. „Das habe ich als Bild vor Augen, die brennenden Bäume und Häuser, das ist eine meiner ersten Wahrnehmungen.“ Dann die Flucht nach Coburg und nach Kriegsende die Heimkehr nach Hamburg, in besagte Kellerwohnung.
„Bizarr wie Science Fiction“
Dass wieder Bomben fallen in Europa, in der Ukraine, dass rechtsextreme Kräfte erstarken, Hass und Hetze vielfach den Ton angeben, das stimmt den Wahlmünchner nachdenklich. „Ich habe mir nie vorstellen können, dass die Welt so auseinanderfällt“, sagt er. „Die alte Ordnung wird aus den Angeln gehoben.“ Er sieht die Menschheit in einem Kulturkampf. „Es geht darum, Errungenschaften wie die Demokratie, die freie Meinungsäußerung zu erhalten.“
Vor allem die Situation in den USA besorgt Timm. Als „Präfaschismus“ beschreibt er die derzeitige politische Lage unter US-Präsident Donald Trump und Beratern wie Elon Musk. „Das ist bizarr, das ist wie Science Fiction“, findet der Schriftsteller und fordert: „Es ist wichtig, da Stellung zu beziehen.“
Land von Jazz und Schokolade
Für ihn und seine Generation stand das Land, das mit anderen Alliierten den Nationalsozialismus aus Deutschland vertrieb, für Schokolade und Kaugummis, für Freiheit, unbegrenzte Möglichkeiten und ein neues Lebensgefühl. „Jazz war für mich ganz entscheidend, der kam aus Amerika“, erinnert sich Timm heute. „Die Amerikaner waren viel lässiger im Umgang, das war eine ganz andere Lebensform gegenüber dem Soldatischen, das bei uns damals sehr stark vertreten war.“
Musik, Filme und Kleidung - was aus den USA kam, war bei der Jugend angesagt, auch wenn viele Eltern, darunter Timms, das kritisch sahen. „Dass ich mir die erste Jeans kaufen konnte, das habe ich mir erkämpfen müssen.“
Verwöhnt war er ohnehin nicht. Mit 14 Jahren begann er eine Lehre zum Kürschner und übernahm mit gerade mal 18 Jahren nach dem Tod seines Vaters das Pelzgeschäft der Familie in Hamburg. 1963 holte er sein Abitur nach, studierte Philosophie und Germanistik und promovierte.
Vergangenheit, Revolte und ein Rennschwein
Während seines Studiums in München gab Timm in den 1970-er-Jahren mit anderen Publikationen wie die „Literarischen Hefte“ oder die „Autorenedition“ heraus. Und er schrieb selbst, Lyrik und Romane, die einen neugierigen Blick auf die Gesellschaft werfen und auf die Vergangenheit. Etwa über seinen 16 Jahre älteren Bruder, der freiwillig zur Waffen-SS gegangen war und 1943 starb, notiert im Buch „Am Beispiel meines Bruders“.
Er schrieb über die Kolonialvergangenheit Deutschlands („Morenga“) und über die Liebe, wie in „Die Entdeckung der Currywurst“, einem seiner berühmtesten Werke. Und - zur Freude vieler Kinder - schuf er „Rennschwein Rudi Rüssel“.
Eine wichtige Rolle in Timms Schaffen nehmen die Studentenproteste Ende der 1960-er-Jahre ein. Seine Begeisterung für die USA erlitt einen Dämpfer wegen des Vietnamkrieges. 1967 wurde sein Freund, der Student Benno Ohnesorg, während einer Demonstration in Berlin von der Polizei erschossen, was Timm 2005 in der autobiografischen Erzählung „Der Freund und der Fremde“ verarbeitete. Auch sein Romandebüt „Heißer Sommer“ von 1974 dreht sich um diese Zeit.
Lustvolle Anstrengung zum Geburtstag
Nun wird Uwe Timm also 85 - und lässt sich gern feiern. Den Geburtstag will er mit der engsten Familie und einigen Freunden verbringen. Am Montag widmet ihm der Verlag Kiepenheuer & Witsch einen Abend im Münchner Literaturhaus, mit geladenen Gästen und normalem Publikum. Im Mittelpunkt soll sein neu aufgelegter Roman „Der Mann auf dem Hochrad“ stehen.
Ein Termin, auf den sich Timm sehr freut: „Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, wo nicht viel gefeiert wurde, da war alles sehr sparsam.“ Den damit verbundenen Trubel nimmt er gern in Kauf: „Es ist lustvoll anstrengend“.