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"Puhdys Moskau '77" "Puhdys Moskau '77": Album gilt als Mythos mit geheimnisvoller Entstehungsgeschichte

Von Steffen Könau 01.11.2017, 09:00
Dieter Birr (r.) und seine Kollegen von den Puhdys rockten die Sowjetunion.
Dieter Birr (r.) und seine Kollegen von den Puhdys rockten die Sowjetunion. Archiv/Amiga

Halle (Saale) - Wer das lesen kann, ist ein Ossi. „Puhdys“ steht auf dem Cover, nur eben in kyrillischen Buchstaben. Dieter Birr hätte mit dem Lesen keine Probleme. Er, Sänger der erst kürzlich aufgelösten Puhdys, erinnert sich sogar noch ein ganz klein bisschen an damals, als er und seine Band dieses Album einspielten. „Puhdys Moskau ’77“ (bei Amazon kaufen) heißt es und erschienen ist es nur in der Sowjetunion.

„Puhdys Moskau ’77“: Songs wurden im Archiv der Plattenfirma Melodija ausgegraben

Ein Stück Rockgeschichte, das dank des Düsseldorfer Saxofonisten und Labelgründers Boris Melamoud jetzt dorthin zurückkehrt, wo die Puhdys vor 40 Jahren Superstars waren. Melamoud hat die acht Songs der CD im Archiv der sowjetischen Plattenfirma Melodija ausgegraben und veröffentlicht. Eine Premiere, denn das Album gilt unter Puhdys-Fans als Mythos mit geheimnisvoller Entstehungsgeschichte.

Unterwegs auf einer Tour durch das große Bruderland seien Birr, Gitarrist Dieter Hertrampf, Basser Harry Jeske, Keyboarder Peter Meyer und Trommler Günther Wosylus in ein Moskauer Studio gegangen, um „Wenn Träume sterben“, „Lebenszeit“ und die anderen Stücke neu einzuspielen, hieß es zu DDR-Zeiten in einer Rocklegende, die von gelegentlich auftauchenden Exemplaren einer Melodija-LP bestätigt wurde. Fans, die das Glück hatten, das Vinyl aus dem Land des großen Bruders hören zu können, horchten genau hin. Und entdeckten kleine Abweichungen von den Originalen made in GDR. Klarer Fall: neu aufgenommen!

„Puhdys Moskau ’77“: DDR-Plattenfirma Amiga wollte Rechte an vorhandenen Einspielungen nicht abgeben

Das sei nötig geworden, bestätigt Dieter Birr, weil die staatliche DDR-Plattenfirma Amiga die Rechte an den bereits vorhandenen Einspielungen nicht abgeben wollte. Oder konnte, so genau weiß es Birr auch nicht mehr. Sicher ist: „Wir hatten dort eine Million Startaufklage, da hätten die so viel zahlen müssen, das hätten die nie gemacht.“

Aber Mitte der 70er Jahre lechzt auch das Sowjetvolk nach Rock’n’Roll. Und die Puhdys suchen nach neuen Märkten. „Wir wollten schon Anfang der 70er raus aus der DDR“, erinnert sich Birr, „also haben wir damals eine Tour als Begleitband von Siegfried Walendy gemacht.“ Der Rostocker Schlagersänger („Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“) ist in der Sowjetunion eine Art Ersatz-Elvis. Er verkauft Millionen Platten, füllt die größten Hallen. Und nutzt die Puhdys, wo sie nun schon mal da sind, auch als Begleitkapelle für ein Album, dass er in Moskau zusammen mit dem „vokalen und instrumentalen Ensemble Puhdys“ einspielt, wie auf dem Cover steht.

Puhdys finden in Tadshikistan, Kirgisien und Kasachstan ein begeistertes Publikum

Die Puhdys sehen die Gelegenheit und nehmen vier ihrer bekannten Stücke und das neu geschriebene „Gentleman“ für Melodija auf. Dieter Birr erinnert sich noch, wie er bei einem Lied statt „yeah, yeah“ ein „Jaja“ singen musste. „Die sowjetischen Kollegen wollten nicht, dass da ein englisches Wort vorkommt.“

Aber Deutsch ist gut, deutscher Rock ist fantastisch. Die Puhdys finden in Tadshikistan, Kirgisien und Kasachstan ein begeistertes Publikum, sie spielen in Irkutsk und Nowosibirsk, sehen den Baikal-See und die Taiga und wollen wiederkommen. Dazu braucht es dann Ende der 70er aber auch mal wieder eine neue Platte. Offiziell gehen die Puhdys also in Moskau in ein Studio, eingerichtet in einer ehemaligen Kirche, um mit Toningenieur Gezalyan ihre Hits „Sturmvogel“, „Ikarus“ und „Perlenfischer“ neu einzuspielen. „Aber haben wir das gemacht?“, fragt Dieter Birr sich heute selbst, „wir hatten doch gar keine Zeit!“

Puhdys entscheiden pragmatisch, ein ganz klein wenig zu schwindeln

39 Konzerte spielt seine Band in nur 44 Tagen, während der sie auch noch von Zeitzone zu Zeitzone springt und 24.000 Kilometer im Flugzeug zurücklegt. Ein Tag nur hätte für für die Aufnahmen zur Verfügung gestanden. Unmöglich. Die Puhdys entscheiden pragmatisch, ein ganz klein wenig zu schwindeln. „Wir haben nichts neu aufgenommen, sondern zu den Originalaufnahmen etwas dazugespielt, damit es ein bisschen anders klang.“

Eine klassisch sozialistische Lösung, mit der stillschweigend alle Beteiligten zufrieden sein können. Die sowjetischen Fans habe ihre Schallplatte. Amiga hat den Schein gewahrt, Melodija viel Geld gespart. Die Puhdys pflegen den riesigen sowjetischen Markt. Und die Puhdys-Geschichte ist um einen Mythos reicher: Die verschollene „Russenplatte“, in der Sowjetunion mit verschiedenen Coverbildern, in farbigem Vinyl und mit bunten Labelaufklebern erschienen, wird zu einer gesuchten Rarität. (mz)

Dieter Birr singt und erzählt am 11. November, 20.30 Uhr, im Gasthof „Goldener Löwe“, Landsberg bei Halle.