Protest Protest an Berliner Volksbühne: Offener Brief gegen neuen Intendant Chris Dercon

Berlin - Es könnte alles so schön sein an der Volksbühne: Man sitzt im Saal und lässt sich von „der die mann“ verzaubern, einer burlesken, szenischen Collage, die eigentlich eine Oper ist. Angerichtet hat die Inszenierung der Tausendsassa Herbert Fritsch, auch die knallbunte, surreale Bühne geht auf sein Konto.
Gespielt wird nach Texten des Österreichers Konrad Bayer (1932-1964), den man einen Spät-Dadaisten nennen könnte, der ernsthaften Spaß mit der verrückten Welt treibt.
Florian Anderer, Jan Bluthardt, Werner Eng, Annika Meier, Ruth Rosenfeld, Axel Wandtke und Hubert Wild spielen und tanzen und turnen sich mit Lust und scheinbar mühelos durch Fritschs leichtfüßig anmutendes Körpertheater, das höchste Ansprüche stellt.
Kann Dercon Theater?
Dazu spielt das vorzügliche „derdiemannorchester“, besetzt mit Ingo Günther, Michael Rowalska, Taiko Saito und Fabrizio Tentoni. Es könnte so schön sein, wie gesagt. Das Haus am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz hat viele Freunde, man verabredet sich, trifft Bekannte dort.
Doch nun, da die mehr als 20 Jahre währende Ära des Intendanten Frank Castorf (64) zu Ende geht, hat der Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner einen ganz anderen Plan mit dem Haus: Der Belgier Chris Dercon (57) soll Mitte kommenden Jahres die Leitung übernehmen. Dercon hat Museen, zuletzt die Tate Modern in London geleitet, mit dem Theater war er noch nicht befasst.
Das müsste kein Hinderungsgrund sein, nur waren die Ankündigungen des Neuen, die er abgeliefert hat, einigermaßen wolkig - um nicht zu sagen: nebulös.
Positionierung gegen die Volksbühne
Dagegen wehrt sich nun die Truppe der Volksbühne, ein Offener Brief an Kulturstaatsministerin Grütters hängt im Foyer, auch auf der Website des Theaters ist er zu finden. Zu den Unterzeichnern gehört neben Schauspielstars wie Birgit Minichmayr und Martin Wuttke auch Herbert Fritsch.
Der hat schon angekündigt, unter der neuen Leitung nicht mehr an der Volksbühne arbeiten zu wollen. Und um Sprechtheater, so viel wird immerhin deutlich, soll es dort künftig ohnehin nicht mehr so sehr gehen.
Die Absage als Ansage ist für Fritsch, der immer erfolgreicher wird und dem alles, was er anfasst, auch zu gelingen scheint, freilich kein so großes Problem. Nicht nur an der Komischen Oper Berlin, wo er einen hinreißenden „Don Giovanni“ inszeniert hat, ist Fritsch willkommen. Was aber aus der großen, rebellischen Bühnentradition der Volksbühne wird - es steht einstweilen dahin. Vielleicht nur eine warme Erinnerung. (mz)